Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zur Sendung "Typisch Helene". Heute ist der 1. Juli, und ich bin fast ein bisschen erschreckt darüber, wie schnell die Zeit vergeht. Haben wir nicht eben erst über Weihnachten gesprochen und darüber, dass ich den Weihnachtsstress nicht mag? Und jetzt ist es schon Juli, und bald ist es Herbst und dann schon wieder Weihnachten. Also, manchmal wünsche ich mir, dass ich die Zeit bremsen [1], die Tage und Nächte verlängern könnte. Geht es Ihnen auch so? Falls Sie ein Rezept kennen, mit dem Sie die Zeit bremsen können, sagen Sie es mir. Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür! Aber - jetzt konzentrieren wir uns auf die aktuelle Sendung. Ich erzähle Ihnen heute von meiner Rückkehr aus Kairo, meiner ersten Verliebtheit und davon, wie peinlich es werden kann, wenn man versucht, etwas in die Schweiz zu schmuggeln [2]. Sind Sie bereit? Dann legen wir los.
Ich bin eben gerade aus Kairo zurückgekommen. Ich war zusammen mit einem Fotografen eine Woche dort, um zu erfahren, was die Menschen nach der Revolution denken, welche neuen Projekte sie haben und wie sie ihre Zukunft sehen. Wir sind fast rund um die Uhr [3] unterwegs gewesen, haben mit vielen Leuten geredet, uns in dieser gigantischen Stadt immer wieder verirrt [4], sind stundenlang in Taxis im Stau gesessen und haben diskutiert, was wir gesehen und erfahren haben. Meine Koffer sind noch nicht fertig ausgepackt, auf dem Boden in meinem Wohnzimmer liegen Berge von Blättern, Notizen und Büchern, und in meinem Kopf schwirren die Gedanken herum [5] wie Schmetterlinge. Ich werde wohl einige Tage brauchen, um sie alle zu ordnen. Als ich heute Morgen aber auf Facebook die neusten Meldungen anschaute, ist mir eine besonders aufgefallen: "Sonntage sind immer langweilig. Egal was man tut", hat eine Freundin von mir geschrieben. Ich betrachtete die Zeilen lange. Und ich überlegte, warum ich sie so lange betrachtete. Irgendwie sind sie mir vorgekommen, wie ein Schrei aus dem Luxus. Ja, Sie haben richtig gehört: Wie ein Hilfeschrei aus dem Luxus. Warum ich das sage? Nun, die Menschen, die ich in Kairo getroffen habe, sind oft verzweifelt gewesen, misstrauisch [6] und voller Angst, gleichzeitig aber auch ungeheuer [7] energisch, enthusiastisch, mutig, und voller Hoffnung und Optimismus. Aber sie waren nie gelangweilt. Im Gegenteil, viele arbeiten fast 24 Stunden am Tag, haben zwei Jobs, um sich und ihre Familien über Wasser zu halten [8], gehen zur Schule oder an die Universität und arbeiten dazu noch an einem Projekt, das helfen soll, die ägyptische Gesellschaft nach der Revolution neu aufzubauen.
So habe ich zum Beispiel Studenten getroffen, die eine eigene Online-Nachrichten-Agentur gegründet haben und mit ihren Handykameras kritische Filme drehen. Oder ich habe mit jungen Frauen gesprochen, die Gegenden in den Slums von Kairo putzen und schön bemalen und jetzt daran sind, eine NGO [9] zu gründen. Diese jungen Leute haben mich sehr beeindruckt [10]. Und wissen Sie was? Sie haben mich sogar ein bisschen eifersüchtig gemacht. Ja, eifersüchtig! Eifersüchtig auf ihren Enthusiasmus, ihre Fantasie und ihre Kreativität. Ich finde nämlich, dass wir das hier in der Schweiz verloren haben. Viele Leute scheinen mir nur noch furchtbar gelangweilt zu sein. Vielleicht, weil sie alles haben, vielleicht aber auch, weil es nichts mehr gibt, für das sie wirklich kämpfen müssen, um zu überleben oder einfach, um ein besseres Leben zu haben. Eigentlich ist das ja eine Ironie des Schicksals: Wir geniessen hier eine extrem hohe Lebensqualität, die wir uns während Jahrhunderten hart erarbeitet haben. Und jetzt, da wir fast alles haben, ist es uns langweilig, weil wir fast alles haben. Was tun? Wir müssen uns wieder inspirieren lassen von jedem, der etwas tut, wovon er schon lange geträumt hat oder ein Projekt lanciert, von den anderen Leuten profitieren. Und dann selbst einen Traum oder ein Projekt realisieren. Denn es gibt noch viel zu tun. Auch in der Schweiz. Darüber erzähle ich Ihnen mehr in der nächsten Sendung.
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Nach dem doch eher philosophischen Anfang kommen wir nun zu etwas ganz Anderem, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Und zwar zur ersten Liebe, oder besser gesagt: Zur ersten Verliebtheit. Wissen Sie noch, wann Sie sich zum ersten Mal verliebt haben? Und können Sie sich noch daran erinnern, wie es dazu kam? Ich liebe es, diese Erinnerungen aufleben zu lassen [11], und kürzlich habe ich sogar einen kleinen Artikel darüber geschrieben. Der Titel des Artikels hiess "Das erste Mal", und darin haben meine Kolleginnen und ich beschrieben, wie es war, als wir uns zum ersten Mal verliebt haben. Bei mir war das so: Ich war sechs Jahre alt und ging in den Kindergarten. Jeden Morgen und Nachmittag mussten wir im Kreis sitzen, im "Stübli", wie es die Kindergärtnerin nannte, um still sein zu üben. Das war natürlich eine ziemlich komische Praktik, aber damals bemerkte ich nur, dass mich Lorenz im Stübli immer anschaute. Lorenz war ein hübscher Junge mit dunklen Haaren, blauen Augen und Sommersprossen auf der Nase. Er gefiel mir sehr, aber ich wagte nie mit ihm zu spielen, weil ich Angst hatte, dass er merken würde, wie sehr ich ihn mochte. Ich tat also nichts, und wenn er mich im Stübli anschaute, klopfte mein Herz zwar, aber ich schaute in eine andere Richtung.
Das ging so lange, bis wir eines Tages in der Pause das "Rösslispiel" spielten. Er und einige andere Jungs waren die Pferdebesitzer und wir Mädchen waren die Pferde. Die Besitzer hatten die Aufgabe, die Pferde wieder einzufangen, die aus ihrem Stall weggelaufen waren. Und der, der bis zum Ende der Pause die meisten Pferde einfangen konnte, hatte gewonnen. Ich war immer ein Pferd, das sofort von seinem Stall fortlief, denn ich wollte natürlich eingefangen werden. Und in dieser Pause ging meine Rechnung endlich auf [12]: Lorenz rannte mir nach und fing mich ein. Er strahlte über das ganze Gesicht, ich natürlich auch. Und in diesem Moment spürte ich ein Zucken in meinem Magen, es war, als würde ein Blitz durch meinen Körper fahren, mir war schwindlig, in meinem Kopf drehten sich die Gedanken wild und ich wusste: Ah, jetzt ist etwas ganz Besonderes passiert. Nach dieser Pause sind Lorenz und ich dann drei Wochen lang nebeneinander im "Stübli" gesessen. Das war alles - aber ich erinnere mich noch heute gerne daran.
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Und nun zum Schluss noch dies, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie kennen das sicher: Sie kommen am Flughafen an, nehmen das Gepäck vom Band und gehen zum Zoll [13]. Natürlich nehmen Sie dann den Ausgang, über dem geschrieben steht: "Nichts zu Verzollen" und sind ein bisschen nervös. Also, zumindest geht mir das immer so. Was ist, wenn die Zollbeamten mich trotzdem kontrollieren und vielleicht etwas finden, was sie nicht finden sollten? Man darf legal nämlich nur Waren bis zu 300 Franken pro Person in die Schweiz einführen. Wer mehr einführt, muss dafür eine Zollgebühr bezahlen, das heisst, er muss die Waren verzollen. Nun hat man in den Ferien aber oft schnell etwas gekauft, das teuerer ist als 300 Franken. Eine Tasche, zum Beispiel, Teppiche, Kleider oder Schmuck. Und wer will dann noch extra dafür bezahlen? Also schmuggeln viele Reisende ihre Waren in die Schweiz und verstecken sie dabei sorgfältig in ihren Koffern, am liebsten unter der schmutzigen Wäsche. Frauen schmuggeln ihre Einkäufe übrigens oft, indem sie sie gleich tragen. So haben sie die neue, teuere Bluse an, den Mantel oder tragen den neuen Ring locker am Finger. Das ist sehr raffiniert und funktioniert auch oft.
Und das hat auch meine Freundin Karin mehrere Male getan, das letzte Mal, als sie vor ein paar Wochen aus den Ferien zurückkam. Sie war mit ihrer Familie auf Mallorca gewesen und hatte sich eine wunderschöne Perlenhalskette gekauft. Weil sie sie nicht verzollen wollte, trug sie sie einfach um den Hals. Das war das sicherste Versteck, dachte sie. Als sie dann am Flughafen durch den Zoll ging, wurde sie von der Zollbeamtin zum Untersuch gebeten. Die Zollbeamtin zeigte auf die Halskette und fragte: "Ist der Schmuck an Ihrem Hals neu?" - "Nein", antwortete meine Freundin unschuldig. "Das ist ein Geschenk von meiner Mutter." - "Mami, das stimmt aber nicht", sagte Karins dreijährige Tochter, die auf dem Arm ihrer Mutter sass. "Schatz, was sagst du denn da?", fragte Karin ihre Tochter erschreckt. "Aber Mami, die Halskette haben wir doch zusammen in diesem langweiligen Laden auf Mallorca gekauft", sagte das Mädchen erstaunt. "Die von Oma liegt doch im Koffer." Meine Freundin Karin wurde rot im Gesicht wie eine Tomate, die Zollbeamtin schmunzelte. Karin musste für ihre Halskette eine Zollgebühr bezahlen. Und von nun an geht Karin immer alleine durch den Zoll. Ihre kleine Tochter kommt nun jeweils ein paar Minuten später - an der Hand ihres Vaters.
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Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, das wars für heute. Wir hören uns wieder am 15. Juli auf www.podclub.ch. Das ist dann auch die letzte Sendung vor der Sommerpause. Dann reden wir über die schönsten Reiseziele in der Schweiz und, wie schon gesagt, darüber, was man hier in der Schweiz alles verbessern könnte. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine wunderschöne Zeit. Auf Wiederhören!
[1] bremsen: langsamer machen
[2] schmuggeln: Waren illegal ins Land bringen
[3] rund um die Uhr: den ganzen Tag, 24 Stunden lang
[4] sich verirren: den Weg nicht mehr finden
[5] herumschwirren: herumfliegen
[6] misstrauisch: ängstlich, nicht vertrauend
[7] ungeheuer: unglaublich, sehr stark
[8] über Wasser halten: genug Geld verdienen, um leben zu können
[9] die NGO: Nichtregierungsorganisation der UNO (non-governmental organisation)
[10] beeindrucken: imponieren
[11] aufleben lassen: sich erinnern an etwas
[12] die Rechnung geht auf: der Plan funktioniert
[13] der Zoll: Ort an der Grenze, an dem man für teuere Waren bezahlen muss