Der Regensburger Luftschutzpolizist Johann Igl unterstand dem Reichsführer SS Heinrich Himmler. Trotzdem hielt er sich mit seiner Ablehnung des NS-Regimes nicht zurück. Am 20. September 1944 wurde er verhaftet.
Von einem Turm hat man den besten Überblick. Wer ganz oben von einem Kirchturm in die Weite schaut, vielleicht auch noch mit einem Fernglas ausgerüstet, der sieht alles, was in Stadt und Land vor sich geht. Der Glockenturm der karolingischen Basilika St. Emmeram in Regensburg, bekannt durch uralte Steinreliefs und Königsgräber, ist 63 Meter hoch. Hier auf dem Turmumgang stand, wachte und fror in den Jahren des Zweiten Weltkriegs der Luftschutzpolizist und Hilfsmesner Johann Igl, von Beruf Schneider und bei den Kolpingsöhnen sehr engagiert. Wegen eines Herzfehlers galt er als nicht kv, also nicht kriegsdienstverwendungsfähig, und war deshalb zur Luftschutzpolizei eingezogen worden. Er trug Uniform, wohnte in einer Kaserne und unterstand dem Reichsführer SS Heinrich Himmler.
"Das ist mir gleich ..."
In den langen Nächten, wenn er auf dem Kirchturm Luftschutz- und Feuerwache hielt, schweiften seine Blicke weit über die Stadt Regensburg und seine Gedanken in eine beklemmende Ferne. Er sah das Landgerichtsgefängnis, in dem die immer noch nicht völlig zum Schweigen gebrachten Regimegegner auf ihre Verurteilung warteten. Er sah die ausgebrannten Ruinen und kontrollierte die Verdunkelung der Wohngebäude, die vorgeschrieben war, wenn man mit neuen Bombardierungen rechnete. Und er dachte an seine Brüder, die an der russischen Front standen, bei Minsk.
"Bald werden sie zurück sein!" Das war ihm einmal rausgerutscht, als er mit seinen Kameraden eine Karte von den Kriegsschauplätzen betrachtete. Und als sie im Radio die Meldung von der Invasion der alliierten Truppen in Nordfrankreich hörten, da klatschte er begeistert in die Hände. Er solle sich doch nicht um Kopf und Kragen reden, raunten ihm Freunde zu. Sie wussten, dass ihn die Gestapo schon einmal sieben Monate eingesperrt hatte, weil er nicht verraten wollte, wo er die ihm anvertrauten Gelder der Kolpingfamilie St. Emmeram aufbewahrte. Doch Johann Igl wehrte die Warnungen ab: "Das ist mir gleich, was mit mir geschieht. Wir sollten alle mehr Mut haben!"
"Schaden am Leben ..."
Als er im Frühjahr 1944 nach einem nächtlichen Fliegeralarm seinen Zorn auf Hitler und dessen wahnwitzige Kriegspolitik in die Worte fasste: "Findet sich denn keiner, der ihn beseitigt?" - nach einer anderen Version: "Findet sich denn keiner, der ihm das Messer reinrennt?" -, war das Maß voll. Der Einunddreißigjährige wurde denunziert, verhaftet, und am 20. September 1944 wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt. Nach mehrmonatigen Qualen im KZ Dachau wurde er kurz vor Kriegsende in Regensburg gehenkt. Die gesamte Einheit der Luftschutzpolizei, der er angehörte, 54 Mann, musste zur Exekution antreten.
Ein paar Tage später scharrte man den Leichnam - den Strick noch um den Hals - auf dem Friedhof ein. Seiner Frau, deren Nerven seit der Hinrichtung zerrüttet waren, billigte der Freistaat Bayern nach langem juristischem Hickhack 1962 eine Rente von 220 Mark für - wörtlich - "Schaden am Leben" ihres Mannes zu, wovon die normale Hinterbliebenenrente von 185 Mark abgezogen wurde. Der SS-Richter, der damals die Hinrichtung geleitet hatte, tat längst wieder Dienst als Amtsgerichtsrat in Nürnberg.