Als der Junge von der Schule heimkam, war die Mutter verschwunden. Erst viele Jahre später erfährt der Hollywood-Star Cary Grant was mit seiner Mutter damals passiert ist. Am 22. Januar 1973 ist Elsie Leach gestorben.
Man kann nicht sagen, dass der kleine Archibald Leach eine glückliche Kindheit hatte. Wie auch, bei den Verhältnissen. Vater trinkt. Mutter depressiv, seit ihr Erstgeborener als Baby starb. Schnell ein zweites Kind hinterher, um sie auf andere Gedanken zu bringen - eben Archibald.
Archie erblickt das Licht der Welt 1904 in Bristol. Queen Victoria ist gerade mal drei Jahre tot, ihr Sohn Edward ist König von England. Ein Lebemann mit vielen Affären. Und was dem König recht ist, sollte seinen Untertanen nur billig sein. Denkt sich wenigstens Archies Vater. Zwar gehört er zur working class, aber attraktiv ist er zweifelsohne, mit seinem vollen dunklen Haar, dem sinnlichen Mund, dem markanten Grübchen im männlichen Kinn. Das gefällt den Frauen, und Elias Leach sagt zu den Verlockungen des anderen Geschlechts ebenso wenig "no" wie zu denen des Alkohols.
Sie kommt nie wieder
Die Mutter Elsie hingegen stürzt sich verbittert auf die Erziehung von Archie: Er soll es mal besser haben. Raus soll er aus diesem baufälligen Haus in einem heruntergekommenen Stadtteil von Bristol, mit dem Plumpsklo im Garten und der Wasserpumpe im Hof; und zwischen den bröckelnden Wänden die ständige Sorge ums Geld. Die Stimmung im Hause Leach, man ahnt es, ist nicht, was der Engländer als "happy home" bezeichnet.
Es kommt noch schlimmer. An einem Frühlingstag im Jahre 1914 kehrt Archie von der Schule nach Hause zurück, und seine Mutter ist fort, angeblich zur Erholung weggefahren. Aber sie kommt nie wieder, und irgendwann erfährt Archie, dass sie gestorben sei. So wächst er als Halbwaise auf. Ein Onkel, die analphabetische Großmutter, der Vater und seine neue Freundin, sie alle kümmern sich mehr oder weniger um den Zehnjährigen. Seine wahre Ersatzfamilie aber wird eine Zirkustruppe, mit der er auf Tour geht.
Auf große Tour, auf den Kontinent, nach Amerika. Dort bleibt er, feiert Erfolge am Broadway, zieht dann nach Hollywood. Hier wird aus Archibald Leach - Cary Grant.
Cary Grant. Was assoziiert man nicht alles mit dem Namen: Hollywood-Glamour. Makellose Eleganz. Weltmännischer Charme. Nicht: Alkoholkranker Vater. Depressive Mutter. Plumpsklo im Garten.
Totgesagte leben länger
Doch das holt Archie höchst unerwartet wieder ein. Anfang der Dreißiger besucht er seine Heimatstadt. Da erfährt er, dass seine Mutter gar nicht tot ist. Sie lebt. In einer psychiatrischen Anstalt. Der Vater hatte sie dort einliefern lassen, weil er ihrer überdrüssig war. Archie war die ganze Zeit belogen worden. Das Wiedersehen kann man sich nur schwer ausmalen. Als Archie seine Mutter das letzte Mal gesehen hatte, war er ein Schulkind. Nun ist er Anfang Dreißig und ein erfolgreicher Hollywoodschauspieler, sie seit gut zwei Jahrzehnten in einer Anstalt für Geisteskranke. Und das, obwohl sie gar nicht geisteskrank ist.
Cary Grant übernimmt die Vormundschaft, holt seine Mutter aus dem Heim. Wie heißt es so schön: "Totgesagte leben länger". Elsie Leach erreichte das gesegnete Alter von 95 Jahren, wohlversorgt von ihrem märchenhaft reichen Sohn. Sie starb in Bristol am 22. Januar 1973.