Manchmal muss man sich einfach trauen. Oder beim Strohhalmziehen den kürzeren erwischen. Dann öffnet sich mitunter Tür und Tor zur Weltkarriere. Also wenn man halt was kann… Autor: Xaver Frühbeis
In Harlem, im Apollo Theater, gab es mal wieder einen Talentwettbewerb. Jeder, der Lust hatte, konnte mitmachen. Die drei Freundinnen hatten Strohhalme gezogen, und getroffen hatte es Ella. Ella war siebzehn und Halbwaise. Die Mutter gestorben vor zwei Jahren, an den Folgen eines schlimmen Autounfalls. Der Vater war schon seit langem irgendwo, er hatte die Familie verlassen, da war Ella noch keine drei gewesen. Bloß seinen Namen, den hatte er ihnen dagelassen. Ella hieß Fitzgerald, nach ihrem Vater.
Ella tanzt
Der Tod der Mutter hatte Ella aus der Bahn geworfen. Sie ließ die Schule sausen, verdiente Geld als Wetten-Einsammlerin bei illegalen Glücksspielen und als Aufpasserin an der Tür eines Bordells. Pfeifen, wenn der Schutzmann kommt. Aus der Besserungsanstalt büchst sie aus, danach lebt sie eine Zeit lang auf der Straße. Und was tut Ella da? Ella tanzt. Das hat sie schon als Kind gern gemacht, und so tanzt sie auch jetzt – am Straßenrand - für ein paar Cents, die ihr die Passanten geben.
Und jetzt noch: dieser Talentwettbewerb. Ella hat den Strohhalm gezogen, und so wird sie an diesem Abend auf der Bühne eines riesigen Theaters, mit Live-Musik einer Band und vor Tausenden von Zuschauern – tanzen.
Och ne, die Edwards Sisters
Doch es ist schrecklich. Ella ist nicht die einzige, die da tanzt. Vor ihr treten die Edwards Sisters auf, und wenn jemand tanzen kann in Harlem, dann sind das die Edwards Sisters. Und jetzt steht Ella auf der Bühne - und weiß nicht, was tun. Tanzen - nach den Edwards Sisters – das geht nicht. Da macht sie sich lächerlich. Einfach nur ratlos auf der Bühne stehen: geht auch nicht. Die Leute fragen sich schon, was das soll, der Ansager sagt: mach was, du bist längst dran, und da sagt Ella: ich will was singen. Das Publikum lacht. Aber genau so gern wie Ella tanzt, singt sie auch. Die Mutter hat immer ein paar Songs der Boswell Sisters auf dem Plattenspieler liegen gehabt, und so wie sie wollte Ella immer singen. Das hat sie geübt, und das zeigt sie jetzt. Ella singt "Jude", einen Lieblingssong ihrer Mutter. Da lacht das Publikum nicht mehr.
Es klatscht in die Hände und will mehr hören. Ella singt noch einen Song - und dann noch einen - und noch einen. Und als sie fertig ist, hat sie den ersten Preis des Talentwettbewerbs im Apollo-Theater gewonnen. 25 Dollar. Das war am 21. November 1934: der erste öffentliche Auftritt von Ella Fitzgerald als Sängerin.
Und: Ella bleibt dran. Sie singt weiter, gewinnt einen Wettbewerb nach dem anderen, und es dauert nicht lange, da ist ein Talentscout im Publikum, merkt sich ihren Namen und flüstert ihn dem Bandleader Chick Webb ins Ohr. Der lädt sie ein zu einem Vorsingen. Und die Musiker sind erstaunt. Was ist das für ein schmächtiges, unattraktives, junges Ding, das da bei ihnen auftaucht, mit ärmlichen Kleidern und unbeholfenem Benehmen. "Du meine Güte," denken sie, "wen haben sie uns denn da wieder geschickt." Aber dann fängt Ella an zu singen, und plötzlich sind Mode und Manieren gar nicht mehr so wichtig.