Crushs Eisenbahn-Crash, ein inszeniertes Spektakel im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ein gigantischer Erfolg – bizarrerweise trotz Toter und Verletzter… Autor: Xaver Frühbeis
In Amerika, dem Land, in dem man um grandiose Einfälle nie verlegen ist, hat vor Jahren ein Mann namens Crush ein großes Spektakel veranstaltet. Crush war Angestellter der Kansas-Texas-Eisenbahngesellschaft. Der ging es eher mittelprächtig, die Wirtschaft des Landes lag darnieder, und die Leute gaben ihr weniges Geld für andere Dinge aus als zum Eisenbahnfahren. Doch eines Tages hatte William Crush eine Idee. Ihm war aufgefallen, dass - wo immer auf den Gleisen ein Unglück passiert war, - die Leute zuhauf hinrannten, um sich die Sache zu besehen.
Alles umsonst – außer der Fahrkarte
Man müsste, dachte Crush, so ein Unglück absichtlich herbeiführen. Einen Zusammenstoß, ohne dass jemand dabei verletzt werden würde. Das Ganze würde man ausgiebig bewerben, von nah und fern würden Menschen herbeieilen, alle würden mit dem Zug anreisen, und zwar mit dem seiner Eisenbahngesellschaft. Der Eintritt würde frei sein, umsonst auch Musik und Erfrischungen, das Einzige, was die Leute zahlen müssten, wären die Fahrkarten zum Ort des Geschehens.
Crushs Chef war von dem Einfall begeistert. Und so hat man im Sommer 1896 begonnen, mitten in der Prärie von Texas vier spezielle Kilometer Gleis zu verlegen. Ein riesiges Zelt wurde errichtet, Zuschauertribünen aufgebaut, Plätze für Reporter und Fotografen abgetrennt, Erfrischungsstände. Es war für alles gesorgt. Crush nannte den Ort "Crush", nach sich selbst. Ein "Crush" ist im Amerikanischen zwar auch noch ein "Menschenauflauf", aber das ist sicher reiner Zufall.
Zu Werbezwecken fuhren zwei ausrangierte Dampflokomotiven durch das Land. Die eine: rot angemalt, die andere: grün, jede 35 Tonnen schwer. Das waren die Loks, die bei dem Ereignis mit voller Geschwindigkeit frontal aufeinander zufahren würden. Die Reise zu dem Spektakel war billig, zwei Dollars bloß pro Kopf und Nase, von egal woher innerhalb Texas, aber: mit der Kansas-Texas-Eisenbahngesellschaft. Die Zeitungen berichteten täglich, und die Leute kauften wie wild.
Crushs Crash
Am Vormittag des 15. September 1896 trafen 40.000 Menschen am Ort des Geschehens ein. Gegen fünf Uhr nachmittags ritt William Crush auf das Gleis und schwenkte weithin sichtbar seinen Hut. Die beiden Teams setzten die Loks in Bewegung, nach der Hälfte der Strecke sprangen sie von den Zugmaschinen ab, die -immer mehr Fahrt aufnehmend - aufeinander zurasten. Die Fotografen brachten sich in Stellung, das Publikum drängte nach vorn, Polizei mühte sich, die Menschen zurückzuhalten, und dann - krachten die Loks mit 70 Stundenkilometern frontal aufeinander.
Vorab hatten Experten gesagt, außer kaputten Loks würde da nicht viel passieren. Aber: sie hatten sich geirrt. Bei beiden Maschinen explodierten die Heizkessel, Eisenteile wurden mit großer Wucht mitten in die Zuschauermenge geschleudert, eine Panik brach aus, es gab Tote und Verletzte. Die Überlebenden kletterten auf den Wracks herum, um sich Andenken zu sichern. Crush selbst wurde auf der Stelle gefeuert. Aber als man Tags darauf merkte, dass die Empörung der Presse gering war - und vor allem: als man die Einnahmen gezählt hatte, - hat man Crush gleich wieder eingestellt.
Heute grasen an dem Ort, an dem die "Great Crush Collision" stattfand, friedlich die Kühe. Und eine Gedenktafel aus metall erinnert daran, dass dieses Land Amerika um grandiose Einfälle nie verlegen ist.