1483 gab es sie noch gar nicht: Michelangelos Gemälde, mit all den unsittlichen Geschlechtsteilen, die ab 1564 übermalt wurden – von Daniele da Volterra, genannt "Braghettone" - "Hosenmaler". Autorin: Brigitte Kohn
Die berühmte Sixtinische Kapelle im Apostolischen Palast des Vatikans, der Ort, an dem die Papstwahl stattfindet, vermittelt einen Vorgeschmack aufs Paradies. Das haben die Erbauer so geplant. Beim Betrachten der biblisch-christlichen Gemälde sollen sich die Besucher an die Himmelspforte versetzt fühlen. Und es soll die Gewissheit in ihnen wachsen, dass sie nur dank der katholischen Kirche, ihrer Verkündigung und ihrer Päpste einmal den Weg ins richtige Paradies finden werden.
Schlange und Schlangen
Wobei Michelangelo den menschlichen Körper so prachtvoll in Szene setzt, dass man schon mal auf irdische Gedanken kommen kann. Selbst die Schlange in seinem Gemälde vom Sündenfall hat einen Frauenleib, und man kann sich gut vorstellen, was Adam und Eva nach dem Apfelbiss miteinander vorhaben.
Bevor man das zu sehen bekommt, muss man allerdings erst mal die Schlange vor dem Ticketschalter überstehen und danach dem wenig paradiesischen Gedränge in der Sixtina selbst gewachsen sein. Kaum hat man angefangen zu schauen, schieben einen die nachdrängenden Menschenmassen wieder hinaus. Trotzdem, es ist gut, dort gewesen zu sein. Hoch oben an der Decke macht Michelangelos Erschaffung Adams durch den ausgestreckten Zeigefinger Gottes doch wesentlich mehr Eindruck denn als reproduzierte Schlafzimmerdekoration.
Die Sixtinische Kapelle ist übrigens nach Papst Sixtus IV. benannt, der sie erbauen ließ und am 15. August 1483 einweihte. Wer dann nach der Einweihung am 16. August 1483 Deckengewölbe und Altarwand bewunderte, sah aber keineswegs die heute berühmten Gemälde. Denn Michelangelo war zu diesem Zeitpunkt noch ein Kind; er wurde erst Jahrzehnte später durch den Folgepapst engagiert, der die bereits vorhandenen Gemälde übermalen lassen und alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen wollte.
Unbefleckte Ausschweifung
Michelangelo war eine gute Wahl. Kaum jemand erinnert sich beim Anblick seines hochdramatischen Jüngsten Gerichts noch an die Himmelfahrt der Gottesmutter, die man früher hier sehen konnte. Sixtus IV. war nämlich ein großer Fan und Befürworter der Unbefleckten Empfängnis. Diesem Dogma zufolge ist Maria genau wie ihr Sohn ohne Sünde empfangen worden - notwendige Voraussetzung für die leibliche Aufnahme in den Himmel.
Das Deckengewölbe stellte vormals einen leuchtend blauen Sternenhimmel dar, passend zur Himmelfahrt, wobei die Sternenkonstellation den neuesten Stand des damaligen astronomischen Wissens wiedergab. Denn Papst Sixtus war an Sternenkunde sehr interessiert.