Einer der einflussreichsten Filme der vergangenen Jahrzehnte ist ein Hardcore-Porno, der das Genre aus der Schmuddel-Ecke der Bahnhofkinos herausgeholt haben soll: "Deep Throat". Autorin: Prisca Straub
Als Mann trug man damals breite Koteletten und Schnauzer. Auch im Porno. Gerade im Porno. Denn das Styling sollte stimmen - Anfang der 70er - wenn schon die Handlung so unfassbar schwachsinnig daherkam: Frau geht zum Arzt. Irgendetwas stimmt mit ihr nicht, denn im Bett kommt sie einfach nicht auf Touren. Dr. Young - Koteletten und Schnauzer - stellt im Handumdrehen fest: Lindas Klitoris sitzt nicht da, wo sie hingehört, sondern ist irgendwie verrutscht - tief in den Rachen! "Na, gibt's denn sowas?" Tränenausbruch! "Und jetzt?" - Der Arzt weiß Abhilfe: "Deep Throat!". "Deep was?" "Deep Throat!" Tiefer Schlund, jawohl! Denn mit ein bisschen Übung ließe sich die Halsmuskulatur genügend lockern, dann stünde der sexuellen Erfüllung buchstäblich nichts mehr Weg! Also, warum nicht gleich mit dem Training beginnen?
Katholisch und sexuell befreit
Linda Lovelace, so der Künstlername der 23-jährigen Porno-Darstellerin. In Deep Throat trägt sie jede Menge blauen Lidschatten, blutroten Lippenstift - und ansonsten nicht viel am Leib. Dank ihrem Ehemann, dem Porno-Produzenten Chuck Traynor, ist die Absolventin einer katholischen Mädchenschule bereits bestens mit dem Business vertraut. Bei der Premiere am 12. Juni 1972 verkündet sie unbekümmert, wie "wonderful" es am Set gelaufen sei. Gerüchte, der Ehemann habe sie in den Drehpausen grün und blau geschlagen, so dass die Blutergüsse auf den Oberschenkeln nur mit Mühe überschminkt werden konnten, überstrahlt Linda in Interviews ungetrübt - sie präsentiert sich als moderne, sexuell befreite junge Frau. Passt genau in die Zeit.
"Smile or die!"
Nur wenige Jahre später - ist das Lächeln verschwunden, die Ehe geschieden. Die 62-minütige Hardcore-Klamotte hat Linda Lovelace in den internationalen Star-Himmel katapultiert, doch jetzt versteckt sie sich hinter dicken, dunklen Brillengläsern. Deep Throat - angeblich der profitabelste Film, der je gedreht wurde, hat die Hauptdarstellerin nahezu mittellos zurückgelassen. Die Einnahmen? In dunklen Kanälen versickert!
Die sogenannte sexuelle Revolution, die sogar das Mainstream-Publikum in die Kinosäle von Manhattan lockte und Porno zum Lifestyle erklärte? Eine einzige Lüge, sagt Linda! - Jetzt sitzt sie in Talkshows und berichtet von Vergewaltigung, Schlägen und Waffengewalt. "Smile or die!" - "Lächle oder stirb!" - sei das Motto ihres brutalen Ehemanns gewesen. Es sei verbrecherisch, diesen Film weiter zu zeigen.
Chuck Traynor lässt die Vorwürfe gelassen an der breiten Krempe seines Cowboyhuts abtropfen. Er produziert seine Filme inzwischen ohne Koteletten und Schnauzer, aber mit einer neuen Porno-Protagonistin als Ehefrau an seiner Seite. Selbst Lindas autobiografische Enthüllungen, die 1980 erscheinen unter dem Titel "Ordeal" - "Ich packe aus ", bleiben folgenlos. Obwohl sich Linda einem Test am Lügendetektor unterzieht und tadellos besteht.