Keiner kommt ungeschoren davon in Schillers "Kabale und Liebe". Die Handelnden nicht und auch nicht die zahllosen Schülerinnen und Schüler, die es seit Generationen als Schullektüre lesen müssen. Autorin: Susi Weichselbaumer
Immer und überall und zu allen Zeiten war und ist es das gleiche Spiel: Reicher Knabe umgarnt armes, aber entzückendes Wesen. Fürderhin entbrennt mittellose, doch holde Maid für reichen Knaben. Reicher Knabe hat noch reicheren Vater. Und der wiederum hat nichts übrig für Schwiegertöchter "mit ohne".
Jede Menge Unbill
Was macht der Sohn? Seit Friedrich Schiller sich am 13. April 1784 in Frankfurt am Main getraut hat, eben diese Frage auf der Bühne zu stellen, haben wir eine Antwort - und jede Menge Unbill. "Kabale und Liebe" ist das erste "Bürgerliche Trauerspiel" in Deutschland. Und das Letzte, womit man als Mittelstufenschülerin oder -schüler traktiert werden will.
Da hilft es nichts, dem Lehrkörper quellenkundig - na gut, wikipediakundig -zu versichern, dass es für Schiller nur ein Ausflug war, wie der Dichter daselbst einst schrieb; der Versuch, sich in eine bürgerliche Sphäre hinabzulassen. Um ganz schnell wieder aufzutauchen und zurückzufinden zur großen, zur hohen Tragödie. "Nein!", wird der Lehrer erwidern: "Kabale und Liebe" ist auch etwas Hohes, Großes, vor allem Richtungweisendes. Zum ersten Mal bricht ein Schriftsteller - und zwar ein renommierter, später Kaliber Klassiker - bricht also mit den Konventionen seiner Zeit und bringt niedriges Personal auf die Bühne. Figuren, Thema, Stil, Sprache sind dem nachempfunden, was das gemeine Publikum kennt.
Das gibt’s nicht!
Spätestens jetzt zeigen seit Generationen die ersten Schülerhände auf mit der Bitte, kurz austreten zu dürfen. "Nein!", winken seit Jahrzehnten die Lehrerinnen und Lehrer ab, nicht in diesem Moment, wo die Hauptfigur, die junge, schöne, aber mittellose Luise Miller - "der Himmel und Ferdinand reißen an meiner blutenden Seele" - zaudert: Soll sie dem reichen, jedoch unentschlossenen Adelsspross Ferdinand die Treue halten, oder zu ihrem Vater stehen, dem armen, aber aufrichtigen Stadtmusikus Miller?
Der nämlich weiß bereits, dass nichts werden kann aus so einer unstandesgemäßen Verbindung mit dem Sohn des Präsidenten von Walter, eines hochangesehenen Mitarbeiters am Hofe des Fürsten. Seit wann gibt es sowas? Gar nicht gibt es das, meint auch Papa von Walter.
An dieser Stelle gehen erneut die Schülerhände hoch. Jetzt vielleicht kurzer Einkehrschwung am Verkaufsstand des Hausmeisters? Zwecks Energieschubs? Auf einen Spezi und eine Kaslaugnleberkassemmel mit Salat, Salami, Gurken und Extrakas?
Abgelehnt, denn so die Lehrkraft, hier geht es erst los: Staatssekretär Wurm entpuppt sich als korrupter Fürstendiener, der nur so getan hat, als würde er den jungen Liebenden beistehen.
Blind vor Wut und Verzweiflung vergiftet Ferdinand sich und Luise. Sterbend offenbart Luise Ferdinand die Intrige und vergibt ihm. Er erkennt die selbstlose Treue seiner Geliebten und reicht im Augenblick seines Todes auch seinem Vater die Hand zur Versöhnung.