Aller Anfang ist schwer. Auch für den Höhepunkt der goldenen Operettenära. Aber heute? Sylvester oder Fasching ohne "Fledermaus"? Undenkbar. Autor: Markus Vanhoefer
Künstlerische Qualität erschließt sich meist nicht beim ersten Eindruck. Qualität muss sich beweisen, sich gegen Widerstände durchsetzen. Erst dann taugt sie zu Unsterblichkeit. Das sollte uns nachdenklich machen, denn unser gegenwärtiger Kulturbetrieb agiert nach anderen Kriterien. Das, was sich nicht sofort auszahlt, verschwindet gnadenlos von der Bildfläche. Was würde geschehen, könnte man einige Meisterwerke der Musik heutigen Marketing-Strategen anvertrauen? Hätten diese Werke dann überhaupt eine Überlebenschance? Die Antwort liegt auf der Hand.
Beifallsumtoste Plattitüden
Nehmen wir zum Beispiel die "Fledermaus" von Johann Strauss, die ihren Jungfernflug am Ostersonntag, dem 5. April 1874 im Theater an der Wien absolvierte. "Durchwachsen" ist das treffende Adjektiv, um die Reaktion der Presse auf die Uraufführung der "Operette aller Operetten" zu charakterisieren. Lob und Tadel hielten sich in den großen Wiener Blättern die Waage.
Zwar schrieb die "Sonn- und Montags-Zeitung" von einem "Beifallstosen, das das Haus erschüttern ließ", und der Rezensent der "Bombe" sagte zumindest den Tänzen der Operette eine grandiose Zukunft voraus: "Die Damen und Herren im Parterre werden bis zum nächsten Carneval nach dieser Seligkeit schmachten müssen".
Dem stand jedoch harsche Ablehnung gegenüber. "Plattitüden", wetterte der dem Walzerkönig sonst durchaus gewogene Eduard Hanslick. Und wir können uns gut vorstellen, dass Johann Strauss Sohn die Mokkatasse aus der Hand gefallen sein muss, als er beim Frühstück in einer Morgenzeitung folgendes über sich las: "Sein Talent ist beschränkt und seine Musik eine musichetta...".
Nein, die junge "Fledermaus" war kein fulminanter Überflieger. Sie geht zunächst für Strauss-Verhältnisse mäßige 16 Mal über die Bühne. "Es ist noch nicht der durchschlagende Erfolg, den sich das Theater von dieser Novität versprach", brachte es das "Fremdenblatt" auf den Punkt.
Wenn ein Bühnenwerk mehr als ein kommerzielles Strohfeuer sein soll, dann braucht es einen langen Atem. Und da spürten Publikum und Kritik trotz aller Verunsicherung: Die Fledermaus, die hat was. Die Komödie um den betrogenen Betrüger Gabriel von Eisenstein ist prickelnd frivol, die Musik von genialer Schmissigkeit. Was will man mehr?
Die Königin der Operette
Ein weiterer Umstand half der Operette, die der Wiener Dreivierteltakt-Maestro in erstaunlichen 42 Tagen komponiert hatte, auf die Sprünge: Der Name Strauss war zugkräftig genug, um der "Fledermaus" die Türe zu den Theatern der internationalen Metropolen zu öffnen.
Im Sommer 1874 flattert das Werk, dessen Libretto die Bearbeitung eines französischen Boulevard-Stücks mit dem Titel "le Réveillon" ist, über eine Berliner Bühne. London, New York und Paris sollten folgen. Und selbst im skeptischen Wien wird die "Fledermaus" zum unverzichtbaren Bestandteil des Theaterprogramms.