Ein verlorener Handschuh im Weltall - die Vermüllung des Alls hatte scheinbar ganz harmlos begonnen. Inzwischen ist der Weltraumschrott, den die Menschen über der Er-de hinterlassen, zum Problem geworden. Autorin: Christiane Neukirch
Der verlorene Handschuh, ein leidiges Kapitel: Vor allem Eltern wissen davon ein Lied zu singen. Wie viele Handschuhe alljährlich im Schneematsch versinken, lässt sich nur schätzen - wahrscheinlich Millionen. Nun fügt ein herrenloser Fäustling seiner Umwelt in der Regel keinen nennenswerten Schaden zu - von den kalten Fingern des Besitzers einmal abgesehen. Schlimmstenfalls taucht das vermisste Accessoire im Frühjahr als unförmige Filzmasse wieder auf, plattgewalzt von Autoreifen oder von Schneemassen zerdrückt. So verhält es sich zumindest auf der Erde.
Schwereloser Müll
Nicht so im All. 1965 brach Ed White als erster Amerikaner zu einem Weltraumspazier-gang auf - und verlor prompt einen Handschuh. Mangels Schwerkraft fiel das Kleidungsstück nicht zu Boden, sondern kreiste fortan um die Erde - mit einer Geschwindigkeit von 28.000 Kilometern pro Stunde. Während es auf Erden wenig schmerzhaft ist, einen Handschuh an den Kopf zu kriegen, wäre es in diesem speziellen Fall mehr als unangenehm gewesen: 28.000 Kilometer pro Stunde entspricht der achtfachen Geschwindigkeit einer Gewehrkugel. Zum Glück war das All damals weit und leer; und so kreiste der Handschuh einen Monat lang um die Erde, ohne Schaden anzurichten. Dann trat er in die Atmosphäre ein und verglühte.
Doch der Mensch ist ein Meister im Müllerzeugen. Was er seither im All gelassen hat, von abgeworfenen Raketenstufen über Werkzeugkästen bis hin zu vereistem Urin, ergibt eine Summe von knapp 20.000 Einzelstücken - das heißt: von Teilen mit mehr als zehn Zentimetern Durchmesser. Solche Teile werden von den Ortungssystemen erkannt. Kleinere Partikel bleiben unentdeckt; man kann ihre Zahl daher nur schätzen und kommt dabei auf mehrere Hunderttausend. Gefährlich sind auch sie: Schon ein zentimetergroßes Schrottpartikelchen erreicht mühelos die Durchschlagskraft einer Handgranate.
Vermisst jemand einen Satelliten?
Und dann sind da noch die Satelliten, fast tausend an der Zahl. Sie sind unproblematisch, sind sie doch gezielt platziert; und man weiß immer, wo sie sind. Oder sagen wir: fast immer.
An einem Februartag im Jahr 2009 vermisste die Firma Iridium einen ihrer Satelliten. An der Stelle, wo er sein sollte, fand sich nur eine Wolke aus Schrott. Genauer gesagt: zwei. Die zweite stellte sich als Überrest eines russischen Satelliten heraus, den jedoch niemand vermisst hatte. Beide waren am 10. Februar miteinander kollidiert. Das war das erste Mal, dass zwei Raumsonden sich unfreiwillig begegneten; und diese Begegnung hatte auf einen Schlag 700 neue Müllteilchen geboren.
Das Weltall ist also längst nicht mehr leer. Wohin mit dem Müll, wohin mit alten Satelliten? Eine Lösung bieten kosmische Mülldeponien, so genannte "Friedhofsorbits". Das sind Umlaufbahnen, die weit genug von den Hauptverkehrsstraßen entfernt liegen, dass die ausgemusterte Technik dort ungestört vor sich hin kreisen kann. Etliche Satelliten werden bereits nicht mehr bis zur Neige ihres Treibstoffs genutzt, sondern mit dem nötigen Restvorrat auf den Schrottplatz befördert. Trotzdem schwirren immer noch genügend unentsorgte Ruinen auf den Betriebsorbits herum. Die NASA überlegt, sie mit bemannten Raumsonden anzusteuern, deren Besatzung dann Triebwerke für den Abtransport anbringen soll.