Die Carnegie Hall: lange geheiligter Boden für klassische Musik. Als man 1938 Benny Goodman mit seiner Band angekündigte, war die Erwartung groß. Autorin: Christiane Neukirch
"Wie komme ich zur Carnegie Hall?", soll ein Passant in New York einst den Geiger Jascha Heifetz auf der Straße gefragt haben. Dessen Antwort: "Üben, junger Mann. Üben." Die Carnegie Hall, eingeweiht 1891, war schon immer mehr als irgendein Konzertsaal. Sie war der Tempel der Musikelite. Wer es als Musiker dorthin geschafft hatte, hatte es geschafft.
King of Swing
An Übung mangelte es dem Klarinettisten Benny Goodman nicht. Er hatte schon als Dreizehnjähriger mit seiner souveränen Spielweise Aufsehen erregt. Der Sohn jüdischer Immigranten war auf dem besten Wege vom Gelegenheitsspieler zum Millionär. Im Gegensatz zum klassischen Violinisten Heifetz hatte Goodman allerdings auf ein anderes Pferd gesetzt, musikalisch gesehen. Goodman, geboren 1909, geriet als Teenager in den Sog jener aufregenden neuen Musikrichtung, die in den 20erjahren aus New Orleans über den amerikanischen Kontinent schwappte: Jazz.
Gerade, als er seinen Weg suchte, zeichnete sich eine neue Entwicklung ab. Big Bands sprossen wie Pilze aus dem Boden, aus Jazz und Tanzmusik entstand der Swing, und Benny Goodman war mittendrin - oder besser: vornedran. Goodman war als Solist und Bandleader ein Alpha-Tier, aber er wusste, dass er starke Musiker brauchte, um Zugkraft zu gewinnen. Er holte sich Größen des Jazz in die Band: Count Basie, Teddy Wilson, Lionel Hampton. Ein ungewöhnlicher Schachzug, war doch eine Band aus weißen und schwarzen Musikern in Zeiten der Rassentrennung etwas Unerhörtes. Nicht überall akzeptierte man diese Besetzung; mancher Vertrag kam deshalb nicht zustande. Doch das schadete dem Aufstieg nicht. Als 1937 eine Einladung in die Carnegie Hall kam, war die Überraschung dennoch groß. Goodmans erste Antwort: "Was zum Teufel sollen wir da?" Jazz in den heiligen Hallen der Klassik? Goodmans Trompeter Harry James sagte, er fühle sich "wie eine Hure in der Kirche".
"Sing, Sing, Sing"
Die Ankündigung erregte denn auch Aufsehen. Das Konzert war im Nu ausverkauft. Die Presse pries das Ereignis schon vorweg als einen Meilenstein der Musikgeschichte. Unter solcher Erwartung lagen die Nerven der Musiker blank, als sie am 16. Januar 1938 die Bühne betraten. Auf sie wartete nicht nur ein zum Bersten gefüllter Saal - die Stuhlreihen reichten bis auf das Podium -; sondern auch Fotografen, Presse und Musikkritiker, die mit Jazz bislang nicht viel am Hut gehabt hatten. Die Reaktionen auf die ersten Stücke waren gemischt, von hibbeligen Teenagern, die immer und überall klatschten, bis hin zu "tränensackigen Intellektuellen, die betont nirgends applaudierten", wie die Jazzzeitschrift "Down Beat" berichtete. Ein namhafter Musikkritiker beobachtete befremdet seine halbwüchsige Tochter, die vergnügt kichernd auf dem Stuhl auf und ab hüpfte. Spätestens in der zweiten Hälfte siegten die heißen Rhythmen des Swing. Beim Finale "Sing, Sing, Sing" wippten alle Füße, kochte der Saal.