Aus den "Namenlosen" machte der Sportreporter Sammy Drechsel eines der berühmtesten politischen Kabarett-Ensembles. Autorin: Justina Schreiber
Was wäre der Mensch ohne seine kleinen und großen Bildschirme? Vermutlich komplett uninformiert. Aber es gab eine Zeit, da leisteten sich nur etablierte Spießer mit dickem Geldbeutel die notwendigen Apparate und Anschlüsse für das sogenannte Pantoffelkino. Schön blöd warfen sie sich für die Krönungsfeierlichkeiten der englischen Königin extra in Schale oder waren stolz wie Oskar, wenn sie sich mal schlauer als die Kandidaten der wöchentlichen Quizshow fühlen konnten. Auch wenn die Tagesschau bald allabendlich für etwas mehr Durchblick sorgte - über der gar nicht so fernen braunen Vergangenheit lag dennoch ein dichter Schleier. Und dass Deutschland nach dem Koreakrieg, im Osten wie im Westen, wieder aufrüstete und die BRD gerade die Wehrpflicht einführte…? Na und? Der alte Adenauer wusste bestimmt, was er tat!
Denn sie müssen nicht, was sie tun
Wer andere Töne hören wollte, musste sich schon vom Sofa bequemen, um eins der verrauchten einschlägigen Etablissements aufzusuchen. Das Düsseldorfer "Kom(m)ödchen" etwa oder die Münchner "Schaubühne", für die der berühmte Erich Kästner schrieb. Hier holten sich kritisch denkende Studenten und Bildungsbürger ihre Anregungen, wenn sie sich nicht vor Lachen auf die Schenkel schlugen. Die Szene der intimen Zimmertheater blühte bereits recht üppig, als am 12. Dezember 1956 in der Schwabinger Kneipe "Stachelschwein" ein weiteres Kabarett eröffnete. Es trug den etwas langen, launigen Namen "Münchner Lach- und Schießgesellschaft". Und der Titel des ersten Programms klang mindestens genauso kompliziert: "Denn sie müssen nicht, was sie tun". Und zwar äh… was genau? Oder winkte hier Heinz Erhardt mit dem Kalauer-Zaunpfahl? Wurscht. Das Premierenpublikum bestand eh aus wohlwollenden Freunden und Kollegen. Die Presse zeigte sich sogar höchst angetan von der ausschließlich aus Zugereisten zusammengewürfelten Truppe. Das 29-jährige Küken des Ensembles jedoch, ein verkrachter Schlesischer Theaterwissenschaftsstudent, der viele der Texte "verbrochen" hatte, ließ bereits in der Pause die Schultern hängen. Dieter Hildebrandt war unzufrieden. Seine Mitstreiter Hans Jürgen Diedrich und Klaus Havenstein besaßen sichtbar mehr Routine.
Und ihr Zugpferd, die bekannte Diseuse Ursula Herking, spielte ihn glatt an die Brettl-Wand. Der Figur des herumstammelnden Intellektuellen mit der dicken Brille fehlte noch der rechte, nein linke Biss.
Spieglein, Spieglein…
Da konnte der großartige Impresario Sammy Drechsel, im Hauptberuf Sportreporter beim Bayerischen Rundfunk, so keck verhandeln wie er wollte und die jährliche Übertragung des Lach- und Schiess-Programms in der ARD in die Wege leiten – auf dass man die wachsende Fernsehgemeinde für die politische Opposition gewänne. Das freche Profil des "Ladens" schärften letztlich die Zuschauer selbst, die verklemmten Protagonisten der Wirtschaftswunderjahre, die alten Nazis und braven Muttis, die korrupten Politiker und feigen Medienmacher, die den Stoff für pfeffrige Satiren lieferten und sich dennoch meist bereitwillig den Spiegel vor die Nase halten ließen, ohne deshalb ihr Verhalten zu ändern. Ein bitterkomischer Teufelskreis also kam damals in Schwung. Er funktioniert bis heute recht gut.