Die Gefährlichkeit "westdeutscher Hetzsender" sowie von Reisen nach Westberlin "bewies" die DDR-Spitze anhand eines Mannes, der eigentlich ein Fall für die Psychiatrie gewesen wäre. Autor: Christian Feldmann
Also wie war das denn nun wirklich mit dem Ende der DDR? Die offizielle Version: Der zunehmend schwächelnde Arbeiter- und Bauernstaat ist an seiner falschen Wirtschaftspolitik zugrunde gegangen und schließlich den Massen von verwegenen Republikflüchtlingen und mutigen Demonstranten erlegen, kampflos und staunend.
Das Gemächt des Terroristen
Poeten sehen die Welt zum Glück ganz anders. Deshalb liest sich ein Schelmenroman wie der von Thomas Brussig "Helden wie wir" so spannend. Laut Brussig ist es nämlich der täppisch-verklemmte Stasi-Nachwuchs-Mitarbeiter Klaus Uhltzscht, der eine U-Bahn-Treppe hinunter purzelt, nach der erforderlichen Operation an den Genitalien aus dem Krankenhaus flieht und mit seinem plötzlich monströs angeschwollenen Gemächt nicht nur die eigenen Minderheitskomplexe besiegt, sondern als, na ja, "Gliedvorzeiger" auch die Sicherheitsorgane am Grenzübergang Bornholmer Straße derart beeindruckt, dass sie die Gitter öffnen. Ein Riesenpimmel bringt die Mauer zum Einsturz!
Man möchte es nicht glauben, aber als es die DDR noch gab, hat deren oberste Führungsschicht noch erheblich verrücktere Begründungen für den schleichenden Niedergang des Arbeiter- und Bauernstaats geliefert. Ein Beispiel aus Bautzen: Hohe Justizorgane und dann auch das Politbüro beschuldigte einen psychisch offenbar gestörten Voyeur und Brandstifter als von Westdeutschland gesteuerten - wörtlich - "Terroristen", der im Kreis Bautzen jahrelang weit über 60 000 Menschen "in einer ständigen Angstpsychose hielt".
Die Notwendigkeit des "antifaschistischen Schutzwalls"
Die Vorgeschichte: Der Widerstand vieler Bauern gegen die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft sollte endgültig gebrochen werden.
Allein im Kreis Löbau waren innerhalb weniger Tage 217 Mitglieder aus der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft ausgetreten, anderswo entdeckten ausgerechnet die Bauern die klassische Waffe der Arbeiter, den Streik, als Kampfmethode. Die Partei griff zu drastischen Mitteln: Zwangsumsiedlung, Arbeitslager, Schauprozesse.
Da kam Gottfried Strympe aus Bautzen gerade recht. Der damals Siebenunddreißigjährige hatte keinen Beruf gelernt, war dreimal geschieden, wechselte häufig den Arbeitsplatz, vor allem aber besuchte er regelmäßig seinen in Westberlin lebenden Vater und hörte westliche Radiosender. Mit dem Gesetz kam er zunächst als "Spanner" in Konflikt: Er beobachtete Frauen beim Ausziehen und klaute BHs von der Wäscheleine. Und wenn er auf seinen nächtlichen Streifzügen nicht zum Höhepunkt gekommen war, zündete er Scheunen und schließlich Kellerabteile an.
Der angerichtete Schaden war gering, Strympe wäre ein Fall für den Psychiater gewesen. Doch die Stasi stellte in einem dramatischen Ermittlungsbericht von 137 Seiten fest, der Republikfeind sei ein "Terrorist", der seine Taten auf Geheiß der "westdeutschen und amerikanischen Imperialisten" verübt habe. Eine "Justizkommission", der Stasi-Chef Erich Mielke, Justizministerin Hilde Benjamin, Generalstaatsanwalt Werner Funk und Klaus Sorgenicht vom Zentralkomitee der SED angehörten, schlug am 7. Dezember 1961 dem Politbüro die Todesstrafe für Strympe vor.