Trau schau wem! Besonders mit wem den Bund der Ehe geschlossen! Dass Schriftsteller Tolstoi einen komplizierten Gatten abgeben würde, damit musste Sofia rechnen - nach solch einem Hochzeitstag. Autorin: Julia Devlin
Sofia Tolstoi hatte keine gute Presse. Lange galt sie als überspannte Gattin ihres genialen Ehemannes Leo Tolstoi. Nun, da ihre Tagebücher veröffentlicht wurden und auch literarische Werke aus ihrer Feder, entdeckt man eine neue Sofia. Nämlich eine tüchtige, intelligente, warmherzige Frau, die dreizehn Kinder zur Welt brachte, zwei Haushalte managte, Redakteurin und Verlegerin für die Werke ihres Mannes war und seine Launen und Krankheiten, sein Zaudern und Zagen, seine Höhenflüge und Abstürze ertrug. Und dabei immer versuchte, sich selber treu zu bleiben.
Kein einfacher Typ, der Herr
Schon am Hochzeitstag lieferte Leo Tolstoi eine Probe seines zukünftigen Verhaltens ab. Am 23. September 1862 stürmte er frühmorgens ins Haus seiner Braut. Das war gegen alle hergebrachten Sitten: Das Paar sollte sich erst in der Kirche treffen, ansonsten bringt es Unglück! Sofia packte gerade ihre Aussteuertruhen. Ihr schwante Übles, und dann kam genau, was sie befürchtet hatte: Ihr Bräutigam hatte kalte Füße bekommen. Sprach davon, dass man noch alles rückgängig machen könnte, zweifelte an ihrer Liebe zu ihm. Die junge Frau brach in Tränen aus. Die zukünftige Schwiegermutter eilte alarmiert hinzu, machte dem Bräutigam Vorwürfe, und mit schlechtem Gewissen trollte er sich.
Die Trauung sollte um acht Uhr abends sein. Wer nicht auftauchte, war der Bräutigam. Die junge Braut starb fast vor Angst. Sollte er doch geflohen sein? Obwohl sie ihn ihrer Liebe versichert hatte? Aber nein. Er hatte nur kein sauberes weißes Hemd mehr gehabt, und da es Sonntag war, hatte er Schwierigkeiten, eines aufzutreiben. Aber schließlich wurden sie doch getraut.
Der Hafen der Ehe - sicher?
Neun Monate später brachte Sofia einen gesunden Jungen zur Welt. Doch statt die Krönung seines Eheglücks zu genießen, quälte Tolstoi Sofia mit seiner Vorstellung von natürlicher Mutterschaft. Despotisch bestimmte er, dass sie das Baby selber stillen musste. Doch sie wurde krank, eine Amme musste aushelfen. Das war zu viel für Leo. Er verkündete, er werde in den Krieg ziehen. Sofia traute ihren Ohren nicht. In ihrem Tagebuch schimpfte sie auf Männer, die erst heiraten wollen und Kinder produzieren, und dann von einem Tag auf den anderen Tschüss und ab in den Krieg!
Zum Glück war ihr Ehemann so inkonsequent, wie sie ihm vorwarf. Tolstoi zog doch nicht in die Schlacht. Stattdessen nahm er die Arbeit an einem Roman auf, der ihn die nächsten sieben Jahre beschäftigte, und sie - als Leserin, als Kritikerin, als Kopistin ebenfalls. Der Titel: Krieg und Frieden.