Der Vizekanzler drückte - drückte er? - eine rote Taste, und die Welt wurde farbig, zumindest zeitweise. Autor: Johannes Roßteuscher
Bei Politikern und anderen wichtigen Personen ist es hilfreich, wenn man sich nur ein bestimmtes Attribut merkt; das macht die Weltgeschichte übersichtlicher. Julius Cäsar - Lorbeerkranz. König Ludwig - Neuschwanstein. Bismarck - Hering. Helmut Schmidt - Zigarette. Helmut Kohl - Wiedervereinigung. Willy Brandt - Kniefall. Stopp! Willy Brandt steht - die anderen Erwähnten mögen es verzeihen - für mehr. Ostpolitik, mehr Demokratie, Guillaume - und den roten Knopf.
Ein magischer Moment
Der besagte rote Knopf hatte zum Glück nichts mit dem Atomkrieg zu tun, sondern mit einem ähnlich epochalen Ereignis. Deswegen war er ja auch rot.
Auf diesen Knopf drückte Willy Brandt am 25. August 1967, auf der Funkausstellung in Berlin. Live übertragen von ARD und ZDF. Und siehe - Brandt konnte zwar nicht über das Wasser wandeln, aber: dunkelgrau in rot verwandeln. Um 10:57 Uhr drückte Brandt den dunkelgrauen Knopf, und sogleich - kurz vorher sogar - wurde nicht nur der Knopf rot, sondern der ganze Fernsehschirm bunt!
Die Übertragung von der Funkausstellung startete an diesem 25. August 1967 um 9.30 in Schwarz-Weiß und endete um 14.30 Uhr in Farbe. Man muss kein Sozialdemokrat sein, um zu sagen, dass damals noch Wunder geschahen.
Ein kleines Wunder war auch die Energie, die Brandts Hand ausstrahlte: sie alleine genügte, um die Farbwerdung einzuleiten, und zwar bevor der Kanzler den Knopf auch nur berührt hatte. Nur Technokraten ohne Sinn für magische Momente bestehen darauf, dass der Knopf nur Attrappe war, und ein Techniker namens Heiner Schulze oder Franz Huber im Übertragungswagen einen Hebel umlegte.
Aber wie viele Menschen durften diesen magischen Moment erleben? Ein paar Tausend. Als das Farbfernsehen eingeführt wurde, gab es nur 6000 Farbfernseher in der Bundesrepublik. Irgendwie ja auch logisch. Wie viele Autos gab es in Deutschland, als das Auto erfunden wurde? Vermutlich noch weniger. Schließlich kostete so ein Farbfernseh- Gerät schlappe 2400 Mark, halb so viel wie ein neuer VW-Käfer!
Die ersten Sendungen in Farbe: der goldene Schuss, der blaue Bock, das aktuelle Sportstudio.
Das muss man sportlich sehen
Zunächst wurde aus Kostengründen nur acht Stunden pro Woche in Farbe ausgestrahlt. Nachrichten, Politik, Sport gab es bis Anfang der 70er weiterhin nur in Schwarz-Weiß. Sogar die Mondlandung! Daher wissen die einen bis heute, dass es auf dem Mond schwarz-weiß zugeht; die anderen, dass wir gar nicht dort waren, sondern nur in einem billigen Schwarz-weiß-Studio in Hollywood.
Apropos Verschwörungstheorien: