Er gehört zu den schönsten Sitzgelegenheiten überhaupt. Er wurde eigentlich als Innenmöbel entwickelt. Deshalb staunten die Warnemünder sehr, als sie am 15. Juni 1882 den ersten Strandkorb aufgestellt sahen. Autorin: Carola Zinner
Der Mensch liegt, kriecht, steht, geht und sitzt. Und wie er sitzt! Aufrecht, mit geradem Rücken, die Füße beisammen, die Hände ordentlich vor sich auf dem Tisch gefaltet - so haben wir es einst gelernt in der Schule. Das Sitzen ist ein Zeichen unserer Zivilisation: Wer ordentlich auf seinem Stuhl sitzt, ist ein Kulturmensch. Und der, der uns dazu macht, der Stuhl nämlich - das Wort kommt übrigens vom gotischen "Stöls", was so viel heißt wie „Thron“ - der Stuhl also ist denn auch Sinnbild für unseren Platz im Leben. Vom "Stuhl Petri" angefangen bis hin zu dem, dem "der Stuhl vor die Tür gestellt wird" - immer sind wir mit ihm, auf ihm irgendwie im Dienst, bekommen per Stuhl unsere Stellung in der Gemeinschaft zugewiesen.
Zugluftschutzstuhl
Und wenn wir mal unserer Pflichten ledig sein wollen? Wenn wir im Urlaub sind?
Die Lösung dieses Problems verdanken wir Herrn Wilhelm Barthelmann, dem kaiserlichen Hofkorbmacher aus Warnemünde. Für eine rheumageplagte Kundin fertigte er einen großen, mit einem Sitz ausgestatteten Korb, in dessen Schutz die Dame den Anblick des Meeres genießen konnte, ohne vom Wind gequält zu werden. Ganz neu war die Idee nicht; für alte und kranke Personen wurden in nördlichen Landen immer mal wieder Sitzkörbe gefertigt, die sie in den Stuben vor Zugluft schützen sollten. Neu war jedoch, dass man sich mit so etwas ins Freie begab!
Ein deutsches Möbel
Dementsprechend großes Aufsehen erregte es, als am 15. Juni 1882 am Fuß des Warnemünder Leuchtturms Barthelmanns erster Strandkorb aufgestellt wurde - ein Einsitzer übrigens. Im Jahr darauf folgt die Version für zwei Personen - und die tüchtige Frau Barthelmann tritt auf den Plan. Sie beginnt, Strandkörbe zu vermieten und begründet so den legendären Ruf jener Mischung aus Babywiege, Einkaufskorb und Campingliege, der auch heute noch vom deutschen Nord- und Ostseestrand in alle Welt dringt. Der Ruf - nicht der Strandkorb.
Denn ach, keiner außer den Deutschen mag ihn. Alle Versuche, den edlen Windschutz an den Stränden Dänemarks, Italiens oder Spaniens heimisch zu machen, sind gescheitert.
Sogar in Bayern, heißt es, wird die Bedeutung des Strandkorbes unterschätzt. Doch ganz so ist es nicht. Auch einige süddeutsche Vorgärten sind mittlerweile geschmückt mit den gestreiften Ungetümen. Wer könnte auch widerstehen, bei der großen Auswahl, vom Angebot für schlappe siebenhundertneunundneunzig bis hin zum Luxusmodell mit integrierten Seitenfenster, Stereoanlage und Kühlfach für den Champagner, für stolze fünftausend. Dennoch - ein bisschen sieht ein Strandkorb in Bayern immer aus, als hätte er hier Asyl erhalten und warte nur auf den Moment, wo er wieder zurückkehren kann an heimatliche Gestade. Denn dort - und nur dort können wir ihn erleben in seiner wahren Pracht, können in ihm uns schützen vor den sandigen Böen der Nord- oder Ostsee; nur dort können wir das wahre, wachstuchene Sitz-Liege-Gefühl erleben wie so viele vor uns.