Nur ein Akt - und der wird nicht gespielt, sondern lediglich gesprochen. Vier sprechen, nein schimpfen, beschimpfen ihr Publikum. Theatrale Unmittelbarkeit. Ein Skandal! Autorin: Justina Schreiber
Tumulte im Theater am Turm in Frankfurt am Main! Einige Zuschauer fühlten sich derartig provoziert, dass sie die Bühne stürmten! Die Stimmung war aufgeladen. Was kein Wunder war, am Vorabend der Studentenrevolte. Am 8. Juni 1966, als Peter Handkes Sprechstück "Publikumsbeschimpfung" unter der Regie von Claus Peymann uraufgeführt wurde, saßen viele junge Leute im Theatersaal. Sie trugen noch brav Schlips und Anzug oder hübsche Sommerkleider, während die vier Schauspieler demonstrativ lässig in Jeans und Pulli an die Rampe schlenderten.
Weg mit der vierten Wand!
Nonkonformismus hieß die Parole des 24-jährigen Autors. Peter Handke hatte sein zweites Stück dem Beatle John Lennon gewidmet. Weg vom staatstragenden Heldenepos! Der Monolog, den die Akteure in schnellem Sprecher-Wechsel vortrugen, kannte nur ein einziges Thema: die Zuschauer in ihrer Situation als Zuschauer. Es war das erklärte Ziel des Textes, die Grenze zwischen Publikum und Bühne aufzuheben und keine vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Wirklichkeit vorzutäuschen, sondern eine echte Einheit von Ort, Zeit und Handlung herzustellen. Was allerdings de facto bedeutete, dass sich die Leute unter anderem anhören mussten, dass sie eine tatenlose Masse seien, die gleichgeschaltet atmet, lacht, weint und klatscht: "Sie sind kein hübscher Einfall. Sie sind kein dankbares Thema. Sie sind ein dramaturgischer Fehlgriff." Die inszenierte Situation lud förmlich dazu ein, zu protestieren und die Fiktion des Bühnengeschehens zu ignorieren. Aber nichts da! Man beförderte die erregten jungen Zuschauer, die die Schauspieler in ein Gespräch zu verwickeln versuchten, umgehend von der Bühne auf ihre nummerierten Plätze zurück.
"Beatdrama"
Und weiter steigerte sich die Anklage im frühen Rap-Stil: "Ihr Auswürfe der Gesellschaft, ihr Maulaffenfeilhalter, ihr Genickschuss-Spezialisten". Die Schauspieler ließen die Worte im Stakkato auf das Publikum niederprasseln: