"Quietsche-Entchen, nur mit dir plansche ich so gerne hier, Quietsche-Entchen, ich hab dich so furchtbar lieb" - unzählige Kinder haben ihre Badetiere so in der Wanne begrüßt. Wie Ernie in der Sesamstraße. Autorin: Prisca Straub
Amerikanische Slums in einer TV-Sendung seien nichts für bayerische Kinder! - fand der Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks. Als am 8. Januar 1973 die Sesamstraße aus den USA erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, war der BR nicht mit von der Partie. Vorschulkinder zwischen Hof und Bodensee mussten auf die synchronisierte Erbauung also zunächst verzichten. Auf "in der Sendung auftretende Neger", wie es hieß, aber auch auf das ausgehungerte Krümelmonster, auf Kermit, den Reporter-Frosch - und natürlich auf das wunderbar spannungsreiche Kult-Paar der Serie - Ernie und Bert, der eine quer-, der andere längsgestreift, quasselnd ohne Unterlass. Einem Gerücht zufolge sollte das Betrachten der wild herumhampelnden Puppen bei den kleinen Zuschauern sogar Epilepsie auslösen.
Gestreifte Freunde fürs Leben: Ernie und Bert
Die Sesamstraße ließ also die Puppen tanzen: struppige kleine Monster und einen zweieinhalb Meter großen, unbeholfenen Riesenvogel namens Bibo. Und zwischen ihnen - mitten in einer erkennbar amerikanischen Hinterhofkulisse mit dampfenden Gullys und scheppernden Abfalleimern - Menschen mit dunkler Hautfarbe und bauschiger Afrofrisur. Das hatte es im Kinderfernsehen so noch nie gegeben: friedliches Miteinander, gelebte Toleranz in einem echten sozialen Brennpunkt! Sogar der übellaunige Griesgram der Gruppe hatte seinen Platz, der zottelige Oscar aus der Tonne, der ganz besonders im Verdacht stand, einen schlechten Einfluss auf das junge Publikum auszuüben: "Ich maaaag Müll! - Alles was schmutzig ist, stinkig und dreckig!"
Tausend tolle Sachen
Der Erfolg war atemberaubend: Nur wenige Monate nach ihrem Start war die Sesamstraße die meist gesehene Kindersendung in Deutschland. "Tausend tolle Sachen!" - Hier durfte man sich einmischen und ausprobieren. Ganz nach dem Motto: "Wer nicht fragt, bleibt dumm!" "Manamana!"
Hinter dem wilden Mix aus Spielszenen, Musik und lehrreichen Puppen-Dialogen stand ein ausgeklügeltes pädagogisches Programm: buchstabieren und zählen lernen - einfach so nebenbei. Auf geht’s zum Äpfelzählen mit Graf Zahl! Das amerikanische Konzept richtete sich an benachteiligte Slumkinder, denen der Einstieg in die Schule erleichtert werden sollte: "Pssssst, Duuu, willst Du eine Acht kaufen?" Doch Schwarzmarkthändler Schlemihl und seine dubiosen Geschäftspraktiken entzückten bald Kinder rund um den gesamten Globus. "Genaaaaauuuu!"
Aufgrund der großen Beliebtheit führte man in Deutschland fünf Jahre nach Sendungsstart eine eigene Kulisse ein: 1978 wurde aus dem amerikanischen Hinterhof eine blitzblanke Wohngemeinschaft. Gleichzeitig gingen in der deutschen Version mit Samson und Tiffy auch zwei neue Plüschviecher an den Start: ein einfältiger Hanswurst in übergroßen Turnschuhen und ein altkluger Vogel mit rosa Dauerwelle. Und auch andere Länder passten die Original-Muppets aus der New Yorker Werkstatt von Jim Henson ihren jeweiligen Lebensrealitäten an: Südafrika erfand eine HIV-positive Puppe. In China spielte die Sesamstraße in einer Fahrradwerkstatt.