Im Urlaub entdeckte Charles Darwin den Wert einer Kreatur, die den Menschen bislang als niedrigste Lebensform galt: den Wurm. Jahrzehnte später, am 10. Oktober 1881, erschien seine Schrift zur Rehabilitation des Regenwurms.
Dass Archäologen ab und zu auf Regenwürmer stoßen, liegt in der Natur der Sache. Schließlich graben beide Spezies von Berufs wegen in der Erde. Nicht immer löst diese Begegnung Wohlbehagen aus - jedenfalls nicht auf menschlicher Seite. Auch die Würmer dürften darüber nicht unbedingt erfreut sein, werden sie doch bestenfalls in einer wichtigen Tätigkeit unterbrochen und schlimmstenfalls vom Spaten zerteilt. Doch das bleibt Spekulation.
Mensch, Affe, Wurm
Gesichert ist, dass bis Mitte des 19. Jahrhunderts der Mensch im Allgemeinen und der Landwirt im Besonderen der Ansicht war, der Regenwurm sei als Schädling zu betrachten. Bis ein junger Mann namens Charles Darwin im Sommer des Jahres 1838 bei seinem onkel Urlaub machte, um sich von einer strapaziösen Forschungsreise und deren Nachwirkungen zu erholen. Jener Darwin, der rund zwanzig Jahre später dafür berühmt und berüchtigt wurde, dass er dem Menschen und dem Affen gemeinsame Vorfahren zuschrieb und sie der Evolution unterwarf. Berüchtigt in den Augen jener, die den Menschen als Krone der Schöpfung sahen, als Herrscher über alle anderen Lebensformen. Jener Darwin trat nun auch noch an, das niedrigst angesehene aller Lebewesen zu erhöhen: den Wurm.
In jenem Sommerurlaub nämlich zeigte Darwins onkel seinem Neffen, dass Gegenstände im Garten langsam in die Erde sackten. Schuld daran waren seiner Beobachtung nach die Regenwürmer: Sie fräßen die Erde, beförderten ihre Ausscheidungen - neue Erde - an die Oberfläche und untergrüben damit alles, was dort liegt. Diese Beobachtung faszinierte Darwin. Mit Hilfe weiterer Verwandter baute er Versuche auf, die sich teilweise zu Langzeitstudien entwickelten. Man kann sagen: Der Regenwurm wurde zu seinem Lebenswerk. 43 Jahre lang schenkte Darwin ihm seine Aufmerksamkeit, bis ein Jahr vor seinem Tod.
Am 10. Oktober 1881 erschien das Ergebnis seiner Wurmstudien, ein Buch mit dem Titel: "Die Bildung der Ackererde durch die Würmer". Darin rückte Darwin allen Vorurteilen zu Leibe und erklärte den Regenwurm zum Humusfabrikanten und damit zum wichtigsten Kollegen des Landwirts.
Und des Archäologen! Denn dem Wurm, sagte er, sei es zu verdanken, dass es überhaupt etwas auszugraben gebe. Münzen, Schmuck und Werkzeug unserer Ahnen fallen auf den Boden und werden, so schrieb Darwin, "ganz untrüglich in einigen wenigen Jahren von den Excrementhaufen der Würmer begraben und dadurch sicher aufbewahrt."
Gemeinsam sind wir stark
Darwin beobachtete Ausgrabungen einer römischen Villa und suchte dort nach Wurmspuren. Und tatsächlich: Selbst zwischen den Steinchen eines Fußbodenmosaiks fand sich Wurmkot - jeden Morgen frisch! Jedes Häufchen für sich winzig, doch in der Masse enorm: 133.000 Häufchen und Humus produzierende Würmer schätzte Darwin pro Hektar Erde, das sind umgerechnet 133 Kilo Biomasse. Neueren Hochrechnungen zufolge sind es sogar zwanzig Mal so viele: zweieinhalb Tonnen pro Hektar.
Die Regenwürmer praktizieren schon immer das zeitlose Erfolgskonzept "Gemeinsam sind wir stark". Darwins Hochachtung vor dem Wurm ist also mehr als gerechtfertigt - und heute unangefochten. Sein Fazit: "Man kann wohl bezweifeln, ob es noch viele andere Tiere gibt, welche eine so bedeutende Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben wie diese niedrig organisierten Geschöpfe."