Gedacht war das Buch für bierselige Rechthaber in der Kneipe, dann schlug es alle Auflagenrekorde. Am 27. August 1955 erschien zum ersten Mal das Guinness-Buch der Rekorde.
Au weia! Wahlweise auch: Na sauber! Oder aber: Respekt! Solche Reaktionen löst es wohl am häufigsten aus: das Buch, das nach Angabe seiner Herausgeber, am häufigsten aus Bibliotheken gestohlen wird und das sich trotzdem bald häufiger verkauft als die altehrwürdige Bibel. Was könnte es also sein, das uns noch mehr an der Wurzel packt als die Frage nach dem Sinn, die uns ein Buch wie die Bibel beantworten will?
Massenhaft neue Rekorde!!
Es sind Superlative - umgangssprachlich: Rekorde. Aus nichts anderem besteht Das Guinness-Buch der Rekorde. Seit es am 27. August 1955 zum ersten Mal erschienen ist, hat sich an diesem Prinzip nichts geändert. Aber für die alljährliche Neuausgabe versprechen die Herausgeber, dass sie mindestens
20 Prozent neue Rekorde ins Buch aufnehmen. 20 Prozent pro Jahr!
Zugegeben, da kann die Bibel nicht so ganz mithalten. Ihr Inhalt steht seit Jahrhunderten ziemlich fest. Auch wenn Martin Luther sich vor einiger Zeit mal mächtig ins Zeug gelegt hat - und tatsächlich ist die Auflage der Bibel seitdem ordentlich gestiegen. Was natürlich auch ein bisschen damit zu tun hat, dass sie seit ungefähr dieser Zeit nicht mehr einzeln Buch für Buch von Hand abgeschrieben werden muss.
Aber trotzdem: altbekannter Inhalt hin - 20 Prozent neue Rekorde her: Ist der Mensch derartig verrückt ist nach Superlativen? Allerdings. Und zwar schon immer! Schon als Kind, wenn Kirschkernweitspucken, wer am weitesten Pinkeln kann, oder die Anzahl der gesammelten Panini-Bildchen noch eine wichtige Rolle spielen. Und offenbar bleibt der Mensch auch so, wie die Geschichte des Guinness-Buchs belegt:
Als Sir Hugh Beaver die Idee für das Buch entwickelte, hatte er noch die bierseligen Rechthaber in englischen Pubs als Käufer im Auge. Darum ließ Sir Beaver die erste Ausgabe genau dort auslegen und verkaufen - in Kneipen. Ziemlich clever, denn wer seine Wette gewinnt, weil er mit Hilfe vom Guinness-Buch der Rekorde beweisen kann, wie zum Beispiel der schnellste Jagdvogel der Welt heißt, nämlich "Regenpfeifer", der wird anschließend vielleicht eine Lokalrunde des gleichnamigen Getränks spendieren. Sir Beaver, Geschäftsführer der Guinnessbrauerei, hatte sich in der Tat eine superclevere Schleichwerbung ausgedacht.
Sensationell sinnlos!!
Auf dem ganz normalen Buchmarkt eroberte sich das Buch noch im selben Jahr die Herzen der Zielgruppe, die sich bis dahin mit Autoquartett durchschlagen musste: Welches Auto hat den größten Hubraum? Wie heißt das kleinste Säugetier, der heißeste Planet - extrem interessant im besten Angeber-Alter zwischen sieben und 17 Jahren.
Inzwischen geht es längst nicht mehr darum, das Buch zu kaufen, um möglichst viele Rekorde auswendig zu wissen. Inzwischen geht es darum, selbst einen Platz im Buch der Rekorde zu ergattern: Wurscht ob mit der höchsten Pappkaffeebecher-Pyramide oder den meisten gleichzeitig getragenen T-Shirts; berühmt zu sein für fünf Minuten, wahlweise für eine Guinness-Buchausgabe, das ist es.
Aber ... was würde Sir Beaver denken, wenn er wüsste, dass sich das Buch der Rekorde 2012 selbst einen Rekord verliehen hat? Es hat sich zum "sinnlosesten Buch" gekürt. Würde er sagen: Respekt? Da schau her? Oder einfach nur:
Au weia!