Der Einsturz des Turms am 30.April 1573 war die letzte große Panne auf der Baustelle in Beauvais. Schon Jahre zuvor war der Chor der Kathedrale zusammengefallen. Denn Gotik und Statik hatten manchmal wenig miteinander zu tun.
Nihil aeternum est. War es eine Strafe des Herrn, weil die Menschen - wie vor Urzeiten in Babel - zu hoch hinaus gewollt hatten? Was bedeutete es, dass der 153 Meter hohe steinerne Turm von Saint Pierre in Beauvais am 30. April 1573 in sich zusammenfiel? Und noch dazu kurz nach der Prozession zu Christi Himmelfahrt!
Nicht die erste große Panne
Nun ja, zunächst einmal bedeutete es, dass die Konstruktion nicht stimmte; was dem Baumeister Jean Vast übrigens durchaus bewusst zu sein schien. Die Stützmaßnahmen, mit denen man aus Geldmangel erst kurz vor dem Unglück begonnen hatte, kamen jedoch zu spät.
Der Wettstreit der Kirchenmänner, wer den filigraneren Dom sein eigen nennen konnte, trieb die gotischen Baumeister zu waghalsigen Experimenten. Immer wieder mussten die geistlichen Auftraggeber deshalb massive Schlappen einstecken. Zu hoch gespannte Gewölbe krachten eines Tages plötzlich ein oder mit zu vielen spitzwinkligen Fenstern durchbrochene Wände bekamen Risse. Ja, ja, nihil aeternum est.
In Beauvais hätten sie vorgewarnt sein müssen: Ende des 13. Jahrhunderts, also zweihundert Jahre, bevor der Turm von Saint Pierre einstürzte, war auf der Baustelle bereits der Chor der Kathedrale zusammengebrochen. Im zweiten Anlauf brachte man dann ein noch imposanteres Gewölbe zustande: Die Raumhöhe lag jetzt bei unglaublichen 46 Metern 77. Da konnten die Bischöfe von Amiens, Chartres und Reims mit ihren Kirchenschiffen glattweg einpacken! Einziges Manko: Das himmelstürmende Werk wurde und wurde nicht fertig. Zunächst unterbrach der sogenannte hundertjährige Krieg die Bautätigkeiten in Beauvais, dann fehlte das Geld.
Eines Tages aber legten sie endlich wieder los, die Steinmetze, Zimmerleute, Maurer, Schmiede, Bleigießer, Glaser, Polierer, Windeknechte, Fuhrleute, Gräber, Mörtelmacher, Erdarbeiter und Hüttenknechte. Ihnen gelang ein besonders reich verziertes, imposantes Querhaus. Weitere knapp siebzig Jahre später kam auch der letzte Stein auf den Turm.
Das mit 153 Metern damals höchste christliche Bauwerk bot einen überirdisch schönen Blick über die Picardie. Leider konnte der gotische Wolkenkratzer der Schwerkraft, die ihm von Anfang an zu schaffen machte, lediglich vier Jahre trotzen. Als der Turm ironischerweise am Fest zu Christi Himmelfahrt zu Boden ging, riss er Teile des so mühsam wieder aufgebauten Chors und des Querschiffes nieder.
Schluss mit der Gotik!
Ach, wie viele Millionen Stunden hatten die Menschen in dieses große Werk zum Lobe Gottes investiert, wieviel Schweiß war geflossen beim Ziehen, Schleifen und Heben der Steine, beim Arbeiten mit Wolf, Zange, Kran und Beil? Wie viele Tote und Verletzte mag die Erschaffung des halben Domes gekostet haben? Aber wahrlich! Nichts hält ewig.