Am 16. April 1850 stürzte die Hängebrücke von Angers ein, als 730 Mann einer Militärkolonne darüber marschierten. War es der Gleichschritt, der die rostigen Seile reißen lies?
"Ein Lied kann eine Brücke sein" schmetterte Joy Fleming 1975 auf dem Eurovision Song Contest und wie Recht hatte die Dame. Denn - wie jeder weiß - werden bei einem Lied mit jedem Ton Schwingungen ausgesendet und treffen diese auf einen Körper, dessen Eigenfrequenz zu diesen Schwingungen passt, so gerät auch er ins Schwingen. In unserem Fall könnte ein Jurymitglied also mitwippen und - von Text und Ton im Innersten berührt - am Ende sogar mitsingen! Das allerdings könnte dann zu einer so genannten "Resonanzkatastrophe" führen, natürlich nur im übertragenen Sinne.
Der falsche Schritt
Ganz konkret und aus rein physikalischen Gründen ist das Singen über Brücken zwar erlaubt, das Singen auf Brücken aber verboten. Zumindest wenn man in einem Bataillon mitläuft. Denn Singen kann zu Gleichschritt führen und das kann eine Brücke zum Einsturz bringen. Deshalb ist das Marschieren im Gleichschritt auf Brücken laut Straßenverkehrsordnung untersagt. Zu Ende gedacht kann ein Lied also eine Brücke zum Einsturz bringen. Von Gläsern und Glasscheiben kennen wir das ja schon, siehe Oskar Matzerath in der Blechtrommel. Nur dass dies im wirklichen Leben selbst gut ausgebildeten Sängern nicht gelingt, weil ihre Stimmen dafür in der Regel zu leise sind.
Und so stimmt es auch nicht, dass am 16. April 1850 in Frankreich die Hängebrücke von Angers einstürzte, nur weil eine Militärkolonne darüber marschierte. In Wirklichkeit gingen die 730 Soldaten an diesem Tag "ohne Tritt" über die Brücke. Unglücklicherweise wehte an diesem Tag jedoch ein starker Wind, zu dem sich plötzlich ein heftiger Regenschauer gesellte. Die hinteren Reihen rückten stärker auf, die Sicherheitsabstände wurden nicht mehr eingehalten. Zudem versuchten sich die Soldaten nun instinktiv den starken Schaukelbewegungen der Brücke entgegenzustemmen und verfielen so ungewollt in eine Art Gleichschritt. Zwei Spannseile rissen, die Brücke stürzte in den Fluss.
Die falsche Brücke
Wie später herausgefunden wurde, waren die Drähte dort, wo sie gebrochen waren, rostig gewesen. Trotz einer sofortigen Rettungsaktion starben 226 Menschen bei diesem Unglück. Welcher Grund nun ausschlaggebend für die Katastrophe war, darüber kann noch heute spekuliert werden. Interessanter aber ist die Frage, warum die Militärkolonne damals nicht einfach die sicherere Steinbrücke im Stadtzentrum nahm? Fürchtete die reaktionär gesinnte Obrigkeit etwa, dass sich dort die republikanisch gesinnten Soldaten mit den Arbeitern verbrüdern könnten? Am Ende hätten sie noch die Marseillaise angestimmt und damit zwar nicht die Brücke aus Stein, aber die Machthaber von Angers zu Sturz gebracht. Und dann wäre Joy Flemings Lied doch wieder irgendwie zu seinem Recht gekommen:
"Ein Lied kann eine Brücke sein,
und jeder Ton ist wie ein Stein,
er macht dich stark und fest"