Früher gehörten schrankwandfüllende Enzyklopädien ins gutbürgerliche Wohnzimmer und wurden nie verliehen. Heute holen wir uns die Information aus dem Netz und teilen bereitwillig unser Wiki-Wissen.
300.000 Stichwörter in 30 Bänden - das ist die neueste Auflage des Brockhaus - eine edle, gebundene Buchserie in Rot und Schwarz. Sie füllt wohl einige Regalmeter, aber nur wenige werden sie sich tatsächlich kaufen. Denn die simple Erfindung eines einzigen Mannes hat die altehrwürdigen Enzyklopädien dieser Welt k.o. geschlagen. Ohne, dass er das wollte. Ward Cunningham, Programmierer aus den USA, hat Mitte der Neunziger Jahre eine Internetseite entwickelt, deren Inhalte von ihren Nutzern nicht nur gelesen, sondern auch unkompliziert verändert werden konnten. Und weil Ward Cunningham so häufig auf Hawaii gewesen ist, sprechen wir auf der ganzen Welt immerhin ein Wort hawaiianisch, nämlich "Wiki". So heißt der Bus, der auf dem dortigen Flughafen die Terminals miteinander verbindet: Wiki-Wiki-Bus - der "schnelle" Bus. Und schnell und unkompliziert war Ward Cunninghams Programm auch - der Name war gefunden.
Flott wie Wiki-Wiki
Am 25. März 1995 ging das erste Wiki der Welt, das Wiki-Wiki-Web, online, das man übrigens noch heute im Netz aufrufen kann. Ein Wiki für Experten, denn Ward Cunningham hat sich für Softwaredesign interessiert, nicht für den Brockhaus. Nun versprach so eine Insider-Diskussion keinen bahnbrechenden Erfolg, vor allem in einer Zeit, in der man mühsam per Modem und mit äußerst geringen Datenübertragungsraten im Netz unterwegs war. Dennoch, die Wiki-Software selbst, die etablierte sich. Ward Cunningham hat sie ja auch öffentlich zugänglich gemacht. Im Jahr 2000 dann gingen zwei Internet Enzyklopädien, Nupedia und GNUpedia, online, die eine wurde von ausgewählten Fachautoren gepflegt, äußerst hochwertig aber unflexibel, die andere öffnete sich für Laienautoren. Beide Plattformen sind nur mäßig erfolgreich.
Die Gründer von Nupedia, Jimmy Wales und Larry Sanger wagten den Sprung - sie haben auf die Intelligenz des Schwarms gesetzt und eine neue Plattform im Wiki-Prinzip aufgesetzt, bei der jeder mitschreiben durfte. "Wikipedia" ging 2001 online. Innerhalb von nur wenigen Jahren explodierte die Anzahl an gut recherchierten Fachartikeln. Wikipedia fegte die etablierten Enzyklopädien weitgehend vom Markt.
Wiki ist für alle da
Mittlerweile gibt es Wikis für fast alle Bedürfnisse, ob man nun Harry Potter Fan ist oder sich für eine bestimmte Region interessiert. Das Stadtwiki Karlsruhe zum Beispiel ist das größte Regiowiki der Welt, 2.000 Autoren schreiben mit, es gibt eine englische, französische und sogar eine russische Fassung. In Zeiten von immer mehr grafischen Spielereien, multimedialen Anwendungen und sonstigen Gimmicks im Netz wirkt die Anmutung von Wikis schlicht und etwas aus der Zeit gefallen. Macht nichts - sie sind aus unserem täglichen Internetgebrauch nicht mehr wegzudenken. Und beweisen damit: Auf den Inhalt, nicht die Verpackung kommt es an. Mit Wikis hatte Ward Cunningham einfach eine genial-einfache Idee, die das Netz für immer verändert hat.