"Wir hauen alle ab! Zum Strand von Tunix!" Am 27. Januar 1978 begann an der Technischen Universität in West-Berlin der legendäre "Tunix"-Kongress. Ganz anders als der Name verheißt schoben die Spontis dort keine ruhige Kugel.
Ein deutscher Herbst ist vorbei, und die Bilanz ist grauenvoll: Die GSG-9 kämpft um 82 entführte Lufthansa-Passagiere im somalischen Mogadischu. Ein Arbeitgeberpräsident liegt mit drei Kopfschüssen tot im Kofferraum eines Audi 100. Und im Hochsicherheitstrakt Stammheim bringen sich die Anführer der Roten Armee Fraktion in ihren Zellen um. Ein bisschen viel für einen einzigen Herbst.
"Strand von Tunix" gegen trübe Aussichten
Doch die übrigen Jahreszeiten versprechen kaum besser zu werden.
Das zumindest befürchten deutsche Spontis und lassen verlauten: "Der Winter ist uns zu trist, der Frühling zu verseucht, und im Sommer ersticken wir hier!" Drei Monate nach einem ereignisreichen deutschen Herbst rufen junge Autonome, Anarchisten und Alternative also zu einem internationalen Treffen auf, das nicht nur die Jahreszeiten wieder zu dem machen sollte, was sie mal waren, sondern in wenigen Tagen auch das Leben in der Republik nachhaltig veränderte.
Am 27. Januar 1978 beginnt an der Technischen Universität in West-Berlin der legendäre "Tunix"-Kongress - die größte linksintellektuelle Veranstaltung seit Beginn der Studentenbewegung: mit dabei - Sponti-Guru Daniel Cohn-Bendit und hoher Besuch aus Paris - der Star-Philosoph Michel Foucault.
Ein Wochenende, mehrere tausend Teilnehmer und ein Motto:
"Wir hauen alle ab! Zum Strand von Tunix!"
Selbstverständlich ist die Reise nach "Tunix" ein rauschendes Fest.
In Schlaghosen und selbstgestrickten Pullovern aus Alpaka-Wolle. Doch nicht nur das: Am Strand von „Tunix“ werden auch ganz neue Klamotten anprobiert: Statt ums Nichtstun geht es dort nämlich ums Machen. Von wegen: "Tu-Nix", "Geht-Nix", "Macht-Nix"! Blanke Busen und Pflastersteine, das war einmal!
Die Sponti-Reise in den imaginären Süden wird ein Aufbruch zu neuen Ufern. Jetzt geht es volle Fahrt voraus - zurück in die Gesellschaft. Zu Inseln des richtigen Lebens im falschen System. Denn Alternativen gibt es so gut wie zu allen wichtigen Fragen der Gesellschaft: von "A" wie Atommüll bis "W" wie Windenergie.
Gründerjahre nach Tunix
Was also tun? "Tunix" ist ein Startschuss für unzählige Alternativ-Projekte. Verlage und Buchläden, Kfz-Werkstätten und Kneipen. Öko-Bauernhöfe und die Vorläufer der heutigen Bio-Läden. Und über diesem ungemein fruchtbaren, selbstverwalteten Biotop hängt ein dicker, runder Mond: "Rosa glänzt der Mond von Tunix" - Schwule Männer organisieren die ersten Paraden zum Christopher Street Day.
Die "Tunix-Gute" aus den späten 70ern legen auf ihrem Kongress auch den Grundstein für so manches bundesweite Superprojekt: für eine Ökologie-Partei, aus der wenig später die Grünen werden sollten. Und sie entwickeln das Konzept für ein alternatives Zeitungsprojekt: Die linke, unabhängige Tageszeitung "taz" wird ohne Geld, ohne journalistische Erfahrung, dafür aber mit größenwahnsinnigem Selbstvertrauen aus dem Boden gestampft. Frei nach dem Motto, "Du hast keine Chance, also nutze sie!" Konkret heißt das: Handverkauf und ein Einheitslohn von 800 Mark netto. Egal ob Redakteur oder Reinigungskraft.