Fachhochschule Aachen - Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH)
Modelltest 4: Hörverstehen (Text)
Wirtschaftskrise und Innovation
1 Ein Blick zurück
1.1 Deutschland – ein Trümmerfeld
Im Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg für Deutschland nicht nur mit einer totalen militärischen Niederlage, sondern auch mit einer weitgehenden Zerstörung der eigenen Infrastruktur. Eine der führenden Industrienationen war nur noch ein riesiges Trümmerfeld. Produktionsanlagen, die den Krieg überstanden hatten, wurden demontiert und in die Siegerländer
abtransportiert. Deutschland sollte so geschwächt werden, dass es nie wieder in der Lage
sein würde, Krieg zu führen. Niemand hätte damit gerechnet, dass das Land innerhalb weniger Jahre wieder zur Spitzengruppe der Industrienationen gehören könnte.
1.2 Das Wirtschaftswunder
Doch das für unmöglich Gehaltene geschah. Bereits 1952 hatte die Bundesrepublik Deutschland – der westliche der beiden ‚neuen’ deutschen Staaten – wieder einen Produktionsstand
erreicht, der mit dem Vorkriegsniveau vergleichbar war. Bald sprach alle Welt mit einer Mischung aus Bewunderung und Sorge vom „deutschen Wirtschaftswunder“. Voller Neid blickten selbst ehemalige Kriegsgegner auf den „Superstar“ Bundesrepublik. Der Verlierer war, so
schien es, innerhalb kürzester Frist zum eigentlichen Sieger geworden. Insgesamt wuchs die
bundesdeutsche Wirtschaft zwischen 1950 und 1959 um 107 Prozent. Die Arbeitslosenquote, die noch im März 1950 bei über 12 Prozent lag, sank auf unter 1 Prozent.
1.3 Vom Erfolg in die Krise
In den folgenden Jahrzehnten flachte die Kurve des Wirtschaftswachstums jedoch immer
mehr ab. Wurde zwischen 1960 und 1969 noch ein Wachstum von insgesamt 55 Prozent erzielt, so waren es in den siebziger Jahren nur noch 31 Prozent. In den achtziger Jahren ging
die Wachstumsrate dann bis auf 23 Prozent zurück, also auf etwas mehr als zwei Prozent
jährlich. Andere Zahlen waren womöglich noch alarmierender: So stieg die Staatsverschuldung von 1970 bis 1990 um 750 Prozent und die Arbeitslosigkeit sogar um 1100 Prozent.
2 Die Gegenwart
2.1 Nullwachstum
Seit der Jahrtausendwende kann von einem Wachstum der nunmehr gesamtdeutschen
Volkswirtschaft kaum noch gesprochen werden. Den bisherigen Tiefpunkt markierte das Jahr
2003: 0,0 Prozent. Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit stiegen dagegen weiter an. Zurzeit gehen in Deutschland an jedem Tag fast 500 Arbeitsplätze verloren, weil sie nicht mehr
wettbewerbsfähig sind.
2.2 Ursachen der Wirtschaftskrise
Viele Experten sehen die Hauptursache der Wirtschaftskrise in den hohen Lohnkosten. Da
sich die Lohnkosten in den Preisen niederschlagen, entscheidet sich mancher Kunde eher
für billigere ausländische Produkte, zumal deren Qualität oft nicht schlechter als die deutscher Erzeugnisse ist. Als weitere Ursache der Wirtschaftskrise werden die zahlreichen bürokratischen Barrieren genannt, die die unternehmerische Tätigkeit behindern. Dazu gehören etwa Regelungen aus dem Bereich des Arbeitsrechts oder des Umweltschutzes sowie Vorschriften, die bei der Neugründung einer Firma zu beachten sind.
3 Innovation als Wachstumsfaktor
3.1 Die Notwendigkeit von Innovation
Auf längere Sicht würden allerdings auch niedrigere Löhne und weniger Bürokratie die
deutsche Wirtschaft nicht unbedingt konkurrenzfähiger machen. Mindestens ebenso wichtig
ist ein dritter Punkt: Nur durchschnittlich 11 Prozent ihres Umsatzes erwirtschaften die gro-
ßen deutschen Unternehmen mit neuen oder wenigstens neu gestalteten Produkten. Das
heißt: Wir brauchen entschieden mehr Innovation. Denn immer häufiger werden deutsche
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Modelltest 4: Hörverstehen (Text)
Produkte im Ausland kopiert und billiger produziert, und dies in immer kürzerer Zeit. Dadurch
aber wird der ursprüngliche Hersteller früher oder später vom Markt verdrängt – es sei denn,
er betreibt Innovation.
3.2 Formen von Innovation
Produktbezogene Innovationen sind in mehrfacher Hinsicht möglich. Um sein Produkt preiswerter zu machen, kann ein Unternehmen beispielsweise rationellere Produktionsverfahren
einführen oder billigere Materialien verwenden. Etwas weiter geht der Versuch, das Produkt
zu verbessern, etwa dadurch, dass es mit neuen Funktionen ausgestattet wird, über die die
Konkurrenzprodukte noch nicht verfügen. Der sicherste Weg zum Erfolg ist natürlich die
Entwicklung eines völlig neuen Produkts – vorausgesetzt, dass ein Markt dafür existiert oder
geschaffen werden kann. – Nicht unterschätzt werden sollten aber auch Innovationen in den
Bereichen Management und Organisation, denn sie sind oft die Voraussetzung dafür, dass
produktbezogene Innovationen zustande kommen oder durchgesetzt werden können.
4 Innovation in Deutschland
4.1 Exportweltmeister Deutschland
Noch haben deutsche Produkte, vor allem Technologiegüter, einen sehr guten Ruf. Wie
sonst wäre es zu erklären, dass die Bundesrepublik auch im Jahr 2005 wieder „Exportweltmeister“ war, also insgesamt mehr Waren ins Ausland verkaufen konnte als irgendein anderes Land, davon etwa zur Hälfte so genannte „technologieintensive Produkte“? Eine solche
Position kann auf Dauer aber nur dann gehalten werden, wenn man auch technisch an der
Spitze des Fortschritts steht.
4.2 Deutschland – Land ohne Ideen?
Doch in Deutschland, dem Land der Ingenieure und der Ingenieurtechnik, scheinen die Ideen
knapp zu werden. Es stimmt zwar, dass im Jahr 2004 vom Europäischen Patentamt über
23.000 Patente an Deutsche vergeben wurden, erheblich mehr als an jedes andere europä-
ische Land. Doch sind bei weitem nicht alle patentierten Erfindungen wirtschaftlich interessant. Aufschlussreicher als die Zahl der Patente ist die so genannte Patentbilanz, und diese
ist für Deutschland seit langem negativ. Das heißt: Deutsche Firmen kaufen seit Jahren wesentlich mehr Patente im Ausland, als sie dorthin verkaufen. Beim wichtigsten Rohstoff der
Neuzeit – beim Wissen – ist die Bundesrepublik demnach vom Exporteur zum importeur geworden – was umso schwerer wiegt, als sie ansonsten kaum über eigene Rohstoffe verfügt.
– Sogar eine Studie der Bundesregierung stellt fest, dass gerade bei den Hoch- und Schlüsseltechnologien von einem Vorsprung Deutschlands nicht die Rede sein kann. Mit Ausnahme des Automobilbaus sei Deutschland nicht mehr „auf forschungsintensive Produktionen
spezialisiert“.
4.3 Wissensgesellschaft und Innovationskultur
Deutschland muss also wieder eine „Wissensgesellschaft“ mit umfassender Innovationskultur werden. Dazu sind unter anderem große finanzielle Anstrengungen erforderlich. Zurzeit
liegt Deutschland bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung international nur auf
Platz 9. Auch der Anteil der 25- bis 35-Jährigen mit Hochschulabschluss ist erheblich niedriger als in vielen anderen Ländern. Bereits 2010 werden voraussichtlich 90.000 Ingenieure
fehlen. Außerdem verlassen zu viele junge Wissenschaftler Deutschland wegen der oft
unattraktiven Arbeitsbedingungen, zumeist in Richtung USA. Vor allem bei der Jugend muss
mehr Interesse und Verständnis für Naturwissenschaft und Technik geweckt werden. Kritik
an schlechter, überflüssiger und gefährlicher Technik ist zwar berechtigt. Dennoch sollte man
neue Technologien nicht primär als Bedrohung und Gefahr betrachten, sondern als Chance,
das Leben der Menschen zu verbessern.
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