Drohendes Scheitern der Gleichberechtigung von Frau und Mann Eine neue Datenanalyse legt nahe, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu scheitern
droht. Laut FrauenDatenReport, den das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung alle fünf Jahre herausgibt, sind Frauen immer gebildeter. In der Schulbildung haben sie die Männer inzwischen überholt: 40,6 Prozent der Frauen bis 30 Jahre hatten im Jahr 2004 Abitur. Von den Männern waren es nur 37,8 Prozent. Unter den Hochschulabsolventen
herrscht inzwischen Geschlechtergleichheit; die ehemalige Dominanz der Männer ist gebrochen.
Angesichts solcher Zahlen müsste man sich freuen, denn Bildung wird immer wichtiger; die Frauen
sollten nun gesellschaftlich und beruflich auf dem Vormarsch sein. Das würde auch zur allgemeinen Wahrnehmung passen, sagt Silke Bothfeld, eine der Autorinnen der Studie. „Unsere Zahlen zeigen aber, dass dieser Eindruck falsch ist.“ Die Gleichberechtigung sei eben nicht, wie viele
dächten, ein automatischer sozialer Wandel, der in drei Generationen erledigt sei. Vielmehr gerate die gesellschaftliche Emanzipation der Frauen ins Stocken, meint die Demografin, da nütze ihnen die gute Bildung nichts – zumindest beruflich.
Immer noch ist Diskriminierung wegen des Geschlechts auf dem Arbeitsmarkt üblich. Frauen, die ganztags arbeiten, verdienen in Westdeutschland durchschnittlich 23 Prozent, im Osten sogar 10 Prozent weniger als Männer. Nahmen die Lohnunterschiede in den letzten 50 Jahren ab, ist der
Aufholprozess nun fast zum Stillstand gekommen. In Ostdeutschland entwickeln sich die Einkommen von Mann und Frau sogar wieder sehr unterschiedlich.
Mancher Grund für diese Ungleichbehandlung ist eher harmlos: Zum Beispiel werden typische
Frauenberufe schlechter bezahlt als typische Männerjobs. Eine Frau aus der weiblichen Spitzengruppe – laut WSI-Bericht sind das Rechtsberaterinnen – verdient weniger als ein Mann im zehntbest bezahlten „männlichen“ Berufsfeld, also als ein Physiker oder Mathematiker.
Kriminell wird es allerdings, wenn solche Strukturunterschiede gar nicht existieren. Das ist laut
Bericht für ein Drittel der Einkommensdifferenzen in Westdeutschland und für ein Viertel der Lohnunterschiede im Osten der Fall. Hier diskriminieren Arbeitgeber die Frauen direkt. Sie verdienen
weniger als ein Mann, der genau den gleichen Job macht, nur weil sie Frauen sind. Das sei zwar gesetzlich verboten, sagt Silke Bothfeld, „aber die Frauen klagen nicht, weil sie Angst um ihren
Arbeitsplatz haben.“
Nicht viel besser sieht es bei der Verteilung der Arbeitszeit zwischen den Geschlechtern aus. Zwar
ist der Anstieg der Frauenerwerbsquote ein unumkehrbarer Trend, doch das Bild täuscht: Die Zahl
der Frauen, die voll beschäftigt sind, hat stark abgenommen: von 1991 bis 2004 um 1,6 Millionen.
Die Frauenquote stieg nur, weil gleichzeitig 1,8 Millionen Frauen mehr in Teilzeit arbeiteten. Dabei
sind Frauen in Westdeutschland weit häufiger teilzeitbeschäftigt (45 Prozent) als in Ostdeutschland
(28 Prozent).
Traditionelle Erwerbsmuster werden noch deutlicher, wenn Kinder im Haushalt sind. Von den
Frauen mit Kindern arbeitet nur noch ein Fünftel ganztags. Die Erwerbstätigkeit von Männern
nimmt hingegen zu. Die Sprache der Zahlen ist deutlich: In Deutschland dominiert immer noch das
klassische Ernährermodell. Der Mann verdient das Geld, die Frau steigt aus dem Job oder der
Vollzeitarbeit aus und kümmert sich um die Kinder. Da tröstet es nicht, dass es in anderen EULändern ähnlich ist.
Insgesamt stellt der WSI-Report der Gleichberechtigung kein gutes Zeugnis aus. Ist mehr Gleichstellung in Deutschland nicht möglich? Wer oder was lässt das mit so vielen Hoffnungen verbundene Generationenprojekt der weiblichen Emanzipation scheitern? Und schon ist sie da: die
Schuldfrage. Die Medien machen generell die Männer dafür verantwortlich, die im Patriarchat verharrten.
Für eine wirklich faire Debatte reichen die Daten des WSI-Reports allerdings nicht aus, sagt Stephan Höyng, Professor für Pädagogik. „Bei Männern gibt es positive Veränderungen.“ Generell würden die Männer in der Gleichberechtigungs-Debatte zu negativ dargestellt. So hätten Befragungen ergeben, dass inzwischen sehr viele Männer gerne eine aktivere Erzieherrolle übernehmen und dafür weniger arbeiten wollten. Zu finden sind die Hindernisse laut Höyng in unseren
Köpfen. Heute werde nur respektiert, wer möglichst viel arbeite. Der soziale Druck auf Männer sei darum groß, das traditionelle Muster vom" Leben für den Beruf " beizubehalten. Höyng kennt die nahe liegende Lösung, und die lautet, jenseits der alten Muster zu denken. Weniger Arbeit und mehr Freizeit für die Männer statt mehr Arbeit und weniger Freizeit für die Frauen. Wenn Männer mehr traditionelle Aufgaben der Frauen übernähmen, könnten diese dann ja mehr arbeiten – wenn sie wollen.
Teil 2.2: Aufgaben zum Leseverstehen
(Sie können für Ihre Antworten auch die Rückseiten beschreiben! Bitte in ganzen Sätzen antworten
und nicht aus dem Lesetext zitieren!)
1. Was sagt der FrauenDatenReport über schulische und universitäre Abschlüsse von
Frauen und Männern aus?
2. Führt die höhere Bildung von Frauen zur Verbesserung ihrer Lage auf dem Arbeitsmarkt?
Begründen Sie Ihre Antwort!
3. Welche Ungleichbehandlung nennt der Autor harmlos, welche nennt er kriminell?
4. Aus welchem Grund kann man von einem Anstieg der Frauenerwerbsquote sprechen?
5. Was erfahren Sie über die Erwerbstätigkeit in Haushalten mit Kindern?
6. Welche Hindernisse auf dem Weg zur Gleichberechtigung nennt Prof. Höyng?
7. Wie sieht Prof. Höyngs Lösungsvorschlag aus?
Teil 2.3: Bearbeiten wissenschaftssprachlicher Strukturen
1. Die Gleichberechtigung sei eben nicht, wie viele dächten, ein automatischer sozialer
Wandel, der in drei Generationen erledigt sei.
Setzen Sie die indirekte Rede in die direkte!
2. Frauen, die ganztags arbeiten, verdienen in Westdeutschland durchschnittlich 23
Prozent weniger als Männer,
Formen Sie den Relativsatz in ein Partizipialattribut um! (Beispiel: Das Signal, das gut erkennbar ist. – Das gut erkennbare Signal.)
3. Nahmen die Lohnunterschiede in den letzten 50 Jahren ab, ist der Aufholprozess nun
fast zum Stillstand gekommen.
Setzen Sie die passende Subjunktion im Nebensatz ein!
4. Zum Beispiel werden typische Frauenberufe schlechter entlohnt als typische Männerjobs.
Bilden Sie einen Aktivsatz! (Beispiel: Der Mann wird vom Hund gebissen. Der Hund beißt
den Mann. )
5. Hier diskriminieren Arbeitgeber die Frauen direkt.
Bilden Sie einen Passivsatz! (Beispiel: Der Hund beißt den Mann. – Der Mann wird
vom Hund gebissen)
6. Sie verdienen weniger als ein Mann, der genau im gleichen Job arbeitet.
Formen Sie den Relativsatz in ein Partizipialattribut um! (Beispiel: Das Signal, das gut erkennbar ist. – Das gut erkennbare Signal.)
7. „aber die Frauen klagen nicht, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben.“
Nominalisieren sie den Nebensatz! (Beispiel: Das kann man erst sehen, wenn verdunkelt wird. – Das kann man erst bei Verdunklung sehen.)
8. Die Zahl der Frauen, die voll beschäftigt sind, hat stark abgenommen
Formen Sie den Relativsatz in ein Partizipialattribut um! (Beispiel: Das Signal, das gut erkennbar ist. – Das gut erkennbare Signal.)
9. Wenn Männer mehr traditionelle Aufgaben der Frauen übernähmen,
könnten diese dann ja automatisch mehr arbeiten."
Welche Formen sind "nähmen" und "könnten" und warum werden sie hier benutzt?
10. Generell würden die Männer in der Gleichberechtigungs-Debatte zu negativ dargestellt.
Bilden Sie einen Aktivsatz! (Beispiel: Der Mann wird vom Hund gebissen. Der Hund beißt
den Mann. )