[der] (文件或账单末尾的)最后一划
Schlussstrich, der
– abschließender Strich am Ende eines Schriftstücks oder einer Rechnung; Strich, der das Ende einer unangenehmen Sache markiert und diese für abgeschlossen erklärt –
Siebzig Jahre, und noch immer kein Schlussstrich. Dann ist es ja wohl jetzt endlich mal Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. „Genau, wurde ja auch mal Zeit“ werden jetzt einige rufen, diese ewig Gestrigen, denen das Morgen egal ist. Und ja, in einem Punkt haben sie sogar recht. Es ist tatsächlich höchste Zeit. Lasst uns endlich einen Schlussstrich ziehen. Schluss, jetzt reicht’s. Schluss, Strich und aus. Schlussstrich, und zwar unter diese leidige Schlussstrichdebatte. Ein für alle Mal. Denn einen Schlussstrich unter einer solchen Geschichte kann und darf es nie geben.
Tätergeneration, Kollektivschuld, Gnade der späten Geburt… Welche Rolle spielt das heute noch? Es geht doch immer weniger um die Schuld der Vergangenheit (die steht ja außer Frage), sondern vielmehr um die Verantwortung vor der Zukunft. Man kann keinen Schlussstrich unter Vergangenem ziehen, man kann die Vergangenheit nicht ad acta legen, kann und darf sie nicht einfach vergessen. Was passiert ist, ist passiert. Daran ändert auch kein Strich, und sei er auch noch so dick, etwas.
Was man aber tun kann, ist einen Strich vor der Zukunft ziehen, den Schlussstrich zu einer roten Linie werden lassen, die niemand überschreiten darf, damit gewisse Dinge nie mehr geschehen. Denn das heißt wirklich, aus Vergangenem gelernt zu haben. Man muss sich nicht schuldig fühlen, für Vergangenes, an dem man, weil noch gar nicht geboren, nicht persönlich beteiligt war, aber verantwortlich für Zukünftiges, verantwortlich für das in der Zukunft Geschehende. Dabei spielt es auch keine Rolle, welcher Nationalität oder Religion man angehört, woher man kommt und was unsere Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern erlebt und getan haben. Alle können und müssen aus der Vergangenheit aller lernen. Das ist Globalisierung, die Globalisierung der Erfahrung, aus der eine Globalisierung der Verantwortung erwächst.
Man muss sich bewusst sein, dass Geschehenes wieder geschehen kann, nein tagtäglich, wenn auch nicht in diesem, dann dennoch in beängstigendem und schrecklichem Ausmaß, immer wieder geschieht.
Und natürlich taucht immer wieder die Frage auf, ob man damals mehr hätte tun können, ob der Einzelne damals eine Wahl hatte oder zum Mitläufertum verdammt war. Die Frage ist aber auch: Was machen wir heute mit der Wahl, die wir haben? Auch heute sind wir alle noch viel zu sehr Mitläufer, werden uns auch morgen nicht herausreden können, von wegen wir hätten nichts gewusst und so. Was passierte in Srebrenica, in Ruanda, was passiert in Syrien, an so vielen Orten dieser Welt? Was passiert auf den Meeren dieser Welt? Wie viele Menschen leiden dort, sterben dort auf der Suche nach einem Zufluchtsort? Was passiert bei uns?
Wir sehen zu, wir wissen, was passiert. Doch was tun wir? Was können wir tun? Mitläufer sind die meisten von uns, Mitläufer bleiben die meisten von uns. Denn, wer geboren wird, wird dies zunächst als Mitläufer. Wir werden hineingeboren in eine Welt, in ein System, in eine Gesellschaft. Da ist es sehr einfach, mitzulaufen, gleichzutun, nichts zu tun. Aber aufstehen, den Mund aufmachen und seine Stimme erheben, etwas tun, das ist schwer, das ist das Besondere, das ist die Herausforderung. Sie war es damals und sie ist es heute.
Und was bleibt jetzt… unterm Strich?
Einen Schlussstrich im Hinblick auf die Vergangenheit darf es nicht geben, nein, den kann es nicht geben. Ein Schlussstrich richtet sich immer in die und an die Zukunft. Wichtig ist nicht, was bleibt, unterm Strich, sondern was kommt, nach dem Strich. Ein Schlussstrich ist rot, er zeigt Grenzen auf, er ist die rote Linie, die uns und allen anderen sagt: Bis hierhin und nicht weiter!