Die strahlende Sonne und der stürmische Wind haben auf eine Zeit miteinander gewettet, wer stärker unter allen beiden sei. Nachdem sie einander die Hand darauf gegeben, so mußte die Prob' geschehen an einem Wandergesellen, welcher mit seinem Bündel oder Ranzen in die Fremde gereist. Welcher diesem seinen Mantel samt den Kleidern werde abziehen, der sollte gewonnen haben.
Der Wind, welcher ohnedas ein stolzer und aufgeblasener Gesell, macht den Anfang und fangt mit solcher Gewalt zu blasen und rasen an, daß bei einem Haar dem armen Handwerksbürschel der Hut wäre vom Kopf geflogen. Wie aber der gute Mensch solches vermerkt, da hat er dergestalten den Hut an den Kopf gedruckt, daß auch ein Binder oder Küfer den Reif an das Faß nicht besser zwingen könnte. Desgleichen hat er sich auch dermaßen in den Mantel eingewickelt, daß auch ein Zigeunerweib ihr Kind nit besser könnte einfätschen:
Ja zu mehrer Sicherheit hat er sich an einen großen Eichbaum gelehnt, alldort so lang zu verharren, bis der tobende Wind den Kehraus pfeife. Wie solches der Wind wahrgenommen, da hat er alsobald an dem Sieg verzweifelt.
Hierauf hat die Sonn' ihre Kräften angespannt und dem reisenden Wandergesellen, so sich allbereits wieder auf den Weg gemacht, angefangen auf den Buckel zu stechen und nach und nach denselben mit den hitzigen Strahlen zu quälen, daß er den Mantel ernstlich abgelegt, nachgehends das Wams und, wie er zu einem Bach gekommen, gar alle Kleider ausgezogen und sich darin durch das Baden abgekühlt, wodurch die Sonn' den glorreichen Sieg erhalten, der tobende Wind aber mit seinem Sturm nichts ausgerichtet.
Mit glimpflicher Art, mit Sanftmut und Güte richtet man öfter mehr aus als mit unmäßiger Schärfe.