Wir schrieben uns Briefe, sahen uns beizeiten, und obwohl ich mir immer geschworen hatte, mich nie auf ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau einzulassen, verfiel ich ihr, und schon bald bestimmte Nora einen Großteil meines Lebens. Ich verbrachte Stunden am Schreibtisch und füllte die Zeit zwischen unseren Begegnungen mit dem Verfassen langer Briefe, in denen ich sie anbetete und meine gespannte Erwartung auf das nächste Treffen in allen Farben ausmalte. Ich wollte sie mit meinen Worten reizen, und während ich es sorgsam vermied, ihren Mann auch nur in einem Nebensatz zu erwähnen, pries ich mich als den einzig Wahren, den großen Verehrer und sicheren Hafen für Nora.
Sie schrieb viel von ihren Bedenken, ihrer Verantwortung gegenüber ihrer Ehe und der innigen Aber-Beziehung zu ihrem Mann. Erst dann kam ich an die Reihe. In ihren Briefen suchte sie lange nach Entschuldigungen für ihr eheliches Vergehen, wiegte sich gar in der Hoffnung, ihr Mann habe, fast ohne Zweifel, auch die eine oder andere außereheliche Affäre, was sie ihm kaum verzeihen könne. Das sei mitnichten eine Legitimation ihrer Ausschweifungen, nur habe sie auch ein Recht auf Leidenschaft. Die Welt müsse sie verstehen, es sei nicht immer einfach, auch wenn sie ihren Mann liebe, so sei ihr doch seine Nachlässigkeit in Liebesdingen ein Antrieb nicht, doch aber eine Erleichterung auf dem Weg zu unserem nächsten Treffen. An einer Trennung allerdings, setzte sie noch in plötzlicher Derbheit hinzu, sei sie nicht interessiert, das solle ich mir abschminken.
Ich las ihre Briefe mit Beglücken, sie erregten mich, in ihrem Ausdruck schwoll kühlste Leidenschaft mit, nicht Romantik, nein, eine geradezu berechnende Lust auf eine körperliche Errungenschaft, eine kleine Eroberung, die ihrem Leben nicht das Notwendige, sondern das Erhabene bescherte. Nach dem ersten Lesen aber fluchte und rumorte ich, interpretierte jedes Wort in alle Richtungen, wollte mich ihrem erotischen Pragmatismus verweigern und sie mit jedem Brief mehr besitzen. Ich stürzte mich auf meinen Antwortbrief, in harten, schlanken Lettern schrieb ich ihr meine Liebe gestochen scharf auf seidenes Papier. Mit einem plumpen Aufprall fiel das Kuvert in den einsamen Briefkasten am Ende meiner Straße, und ich verbrachte die nächsten Tage damit, unruhig und gespannt auf das erlösende Klappern der Blechabdeckung über dem Türschlitz zu warten.
Hörte ich etwas, stürzte ich zur Tür, griff den Umschlag, und plötzlich wieder ganz ruhig, schritt ich durch das Wohnzimmer in mein Arbeitszimmer, setzte mich an den Schreibtisch, nahm den zuvor bereitgelegten Brieföffner, schlitzte den Umschlag und zog den Inhalt ehrfurchtsvoll heraus. Die Aufregung war vergangen, denn längst hatte ich gefühlt, ob es sich um einen wortreichen Aufschub oder aber um ein erlösendes Zettelchen handelte, auf dem ein Datum, eine Uhrzeit und eine Stelle an einem verschwiegenen See bezeichnet waren. Ich schrieb ihr dann nie zurück, es war ausgemacht, ihr Wort, ein Angebot, das auf eine widerspruchslose Nachfrage stieß und keines weiteren Belegs bedurfte. Es war um mich geschehen. Ich wusste und genoss das, war ich doch ihr beizeiten herbeigerufener Lakai.
Ich schrieb Verluste. Ihre Audienz und meine lang zuvor getroffenen geschäftlichen Vereinbarungen fielen in wundersamer Weise immer wieder auf gleiche Tage. Ich spreche nicht von Uhrzeiten. Ein Tag mit ihr war für mich ein verlorener Tag, nie gönnte sie uns ein Wochenende, nicht einmal einen ganzen Tag, von Nächten wollte sie nichts wissen. Wir trafen uns am Vormittag. Sie nannte das eine logistische Maßnahme, mir waren es unglückliche Umstände. Die Stunden mit ihr verzückten mich, ich lieferte mich ihr aus, verschwenderisch sprühte ich mit Lebensenergie um mich - sie ließ es geschehen. Ließ mich in Ohnmacht zurück. Noch Stunden lag ich allein im Gras, mich wiederfindend, unfähig, Schritte zu tun, unfähig, dem Leben hinter ihr ins Gesicht zu sehen.
Die Erinnerung pulsierte in mir, es gab nur sie und mich, ihren Körper, der sich vor Leidenschaft bäumte, und ihre Worte, die honigsüß um meine Ohren spielten. Wir sprachen davor vom Leben, wie es im Frühling erblühte und wie der Herbst es mit einem melancholischen Schimmer überzog, wie es im Sommer fast platzte und wie es im Winter, dem Schlafe gleich, sich in ein weiches Lager bettete. Die Worte danach. Ein Trümmerhaufen. Blieben entrückte Blicke, ein Erschlaffen, voneinander gehen.
Blieben Briefe.
Der Verfall durchzog mich, wie ein langsam tropfendes Gift. Ich wuchtete mich zwischen Briefen und gespannter Erwartung hin und her, Worte retteten mich über mein Verlangen, im Strudel der Affäre gab ich mich ihr hin, war ihr Hermes und Adonis, schrieb mich wund und gebar mit der Begierde die Hoffnung, sie zu besitzen, sie ihrer Ehe abtrünnig zu machen. Ein Sein ohne ihren Anteil konnte ich mir nicht mehr vorstellen, es kam mir unvernünftig vor. Die Zeit würde einem Würgegriff gleich ihrer Ehe die Luft nehmen, wenn ich nur eifrig meine Briefe schrieb und mich mit angehäufter Glut in unsere Treffen stürzte. Ich kannte sie nur ohne ihn, und so existierte er für mich wie ein großes Dunkel, ein Feind, den ich, ohne ihn auszumachen, mit breitgestreuten Geschossen erwischen musste. Er erwischte mich.
Das erlösende Klappern, zu früh dachte ich noch, nicht in so rascher Folge, aber Freude überzog Zweifel, ich eilte zur Tür, nahm den Umschlag, fühlte und verstand nicht. Die gleichen Umschläge, kein Absender, zu dünn für einen Brief, zu viel Papier für eine Verabredung. Ich riss ihn auf. Zog es heraus. Schreibmaschine, Buchstaben die sich auf die andere Seite durchdrückten, wie mit Gewalt aufs Papier gehämmert. Er schrieb mir, eine Aufforderung, er wisse von dem dichten Briefverkehr, es sei ihm daran gelegen, an dieser Stelle kein Aufsehen zu erregen. Ich faltete den Brief zusammen und steckte ihn zurück in das Kuvert.
Unmöglich konnte ich von ihr ablassen. Er hatte sie nicht einmal zur Rede gestellt. Eine Sache zwischen Männern, stillschweigend, als wäre nichts passiert, als könne man es aufhalten. Er wusste nicht viel und ließ sie im Ungewissen. Ich schloss mich ihm an. Der Feind hatte sich gezeigt, und es war sein Fehler. Der Brief eine plumpe Ansammlung von Worten, ein grober Possenreißer im feigen Gewand, nicht wert, gehört oder beachtet zu werden. Postwendend schrieb ich ihr und protzte mit Leidenschaft und Ewigkeit. Gar den Kindeswunsch holte ich hervor, wollte ihr ein Ebenbild unserer Sinneslust schaffen.
Ihre Antwort war prompt. Die Weide ließ schleierhaft ihre Zweige in den See hängen, da lag sie hingegeben auf grünem Moos, und sanft glitt ich zu ihr hinab, küsste die geschlossenen Augen, und sie frohlockte, pries die göttliche Schöpfung und ließ ihre Füße im Wasser baumeln. Dem süßen Worte folgte köstliche Ergötzung. Danach wollte ich mich sträuben, widersetzte mich der eigenen Ermattung und war gewillt, dem ehelichen Gebilde einen funkenden Schlag zu versetzten. Nichts hielt mich mehr, es mochte die Aufforderung zur Unterlassung sein, die mich willig zeigte, ihr alles abzuverlangen. "Nora, du bist mein Traum. Ich muss mit dir leben. Verlass deinen Mann!" Ich stand dabei, kaum angekleidet, ihr den Rücken zuwendend, und schrie es über den See hinweg, als würde ich nicht sie, sondern ihn auffordern. Kaum war es ausgeschrieen, reute es mich, denn ihre Reaktion war Lachen und an den Händen zog sie mich zu sich herab und vergrub mich tief in ihrem Busen. "Du bist mein Mann", flüsterte sie, "hier und jetzt, in meiner Welt, die nicht seine Welt ist und die anders ist, als die Welt, in der du nicht sein kannst."
Gereizt überließ ich den restlichen Tag meiner Wehklage und gab mich trägen Phantasien hin. Not und Entbehrung ließen mich zu den Reliquien greifen, ihre Worte labten meine Sinne, und wiederum verzückt von ihrer sachlichen Begierde schrieb ich, es sei ein Leben wert, auf sie zu warten.
-Warte nicht- Zwei Worte. Mit gnadenloser Hand geschrieben, versetzten mich in einen Schock. Den Umschlag hatte ich entzückt geöffnet, auch sie würde nicht mehr warten können, und dann zwei Worte nur, kein Ort, keine Zeit, keine Liebe. Ich rannte umher, fluchte jähzornig und verdammte die Ehe und ihre Institution. Er stand zwischen uns. Er beanspruchte sie, dabei war sie mein, ich gab ihr all meine Liebe, ich gab mich auf für sie. Wir waren ein Opfer des Herrschaftsdenkens, der Vermengung von Liebe und Besitz, der Heirat als bloßer Form der Ordnung. Das war nicht leben. Er sollte sie zurückgeben.
Ihre Aufforderung schüchterte mich nicht ein, schon saß ich wieder am eichenen Tisch und drückte das Blei aufs Papier. In Rage setzte ich Wort an Wort, attackierte sie mit meinem Verlangen, doch nur, um mich wieder als Liebhaber anzubiedern. Ich würde weiter zur Weide kommen, was konnte ich mehr verlangen, was ließ die Ehe anderes zu? Sie gab mir nur einen Teil von sich, aber was bleibt dem Verliebten vom Tage? Der Vormittag.
Sie verzieh mir meinen Ausbruch, und wir trafen uns beständig an der Weide. Ich war ihrer Macht verfallen, flehte und würgte, ihre Droge drang tief in mich hinein, zerfleischte mich, und es ließ mir keinen Frieden. Eines Tages sprach ich es aus: "Nie wieder wirst du einen finden wie mich, du kannst dich opfern, dich ihm hingeben, aber ich bleibe dein. Er wird mich jagen und töten, ich aber werde nicht von dir lassen. Sei mein. Entsage dich ihm!" Sie schaute auf. Sie schüttelte den Kopf. Nora lächelte nicht mehr. Ich schlug meine Fäuste gegen die Weide, kahle Zweige hingen im Wasser.
Tage später lag ein Brief vor mir, eine Warnung, jeder Buchstabe mit Gewalt in das Papier gemeißelt, mechanisch, brutal. Wieder wollte er jedes Aufsehen vermeiden. Es sei nicht an ihm, ihr Verhalten zu maßregeln, aber es sei an ihm, mich zurechtzuweisen. Er wusste alles, und er sprach es aus. Er verzichte auf eine persönliche Konfrontation, mahne nur meine Mannesehre, drohte mit Mitteln und Wegen.
Ich zeigte mich unbeeindruckt, war sie doch mein, ihr Herz würde ich nicht brechen, mochte er kommen und Fluch und Schande über mich bringen, dem Dämon Ehe würde ich erhobenen Hauptes entgegentreten. Was sollte ich noch verlieren, und der lockende Preis war kolossal. Sollte es ruhig zu einer Konfrontation kommen, lieber heute als morgen würde ich ihm meinen Anspruch auf seine Frau dartun, ich zitterte nicht von ihm, nicht vor jemandem, der mir geradezu unauffällige, nur durch die Gewalt einer Maschine überhaupt deutliche Briefe schrieb, ich ließ nicht ab, nicht von meiner Nora.
"Nora, kannst du nicht zwischen mir und deinem Mann wählen? Wie lange kannst du uns noch verschweigen?", fragte ich sie bei unserer nächsten Begegnung. "Du fragst zuviel!", war ihre Antwort. "Du und mein Mann, das sind zwei Welten. Die eine hat mit der anderen nichts zu tun. Du bist mein Brieffreund. Er ist mein Ernährer. Da gibt es nichts zu rütteln." - "Ich will mehr, kleine Mädchen haben Brieffreunde", sagte ich. Sie lächelte und küsste meine Stirn.
Längst war es zu kalt für unseren Platz am See geworden, und künftig trafen wir uns in einem tristen Hotel. Monate waren vergangen, ich konnte nicht von ihr lassen, meine Spannung wandelte sich immer mehr in Unmut. Ich hatte Angst, die Zeit ließe sie mir doch langsam aus den Fingern gleiten. Aber sobald ich einen Versuch unternahm, eine gemeinsame Zukunft zu erwägen, vergrub sie mich lächelnd in ihrem Busen, gleich einem schreienden Baby.
Eines Tages wühlte ich meinen Kopf aus ihrem Körper, löste die Umarmung und hielt sie mit beiden Armen von mir. "Du", sagte sie, "lass uns nicht sprechen, unsere Zeit ist ohnehin so knapp." - "Aber ich möchte dich ganz", sagte ich. Sie zuckte mit den Achseln. "Ich bin verheiratet, das weißt du, ich habe es dir schon im ersten Brief geschrieben, du wusstest, worauf du dich einließest. Komm her zu mir." Und ich ließ mich wieder in ihr nieder. Für einen Moment nur. Dann barst es aus mir heraus, meine Worte klangen noch lange in mir nach: "Nora! Nora!", schrie ich sie an. "So können wir nicht leben. So kann ich nicht leben. Ich gehe!"
Lange passierte nichts. Ich saß an meinem Schreibtisch, neben mir lagen stapelweise begonnene Briefe, ich schrieb ein paar Sätze und ließ den Stift wieder fallen. Mich verzehrte es nach ihr. Doch wollte ich sie ganz. Mit ihr, ohne sie - ich konnte nicht leben. Ich arbeitete nicht mehr, den ganzen Tag beschäftigte ich mich mit ihr, schwelgte in Erinnerungen und vergrub mich in tiefem Selbstmitleid. Irgendwann kam ein Brief, er benutzte wieder ihre Umschläge, die Schrift gehämmert, eine Drohung, Unglück würde über mich und Nora kommen, ließe ich nicht ab von ihr. Für ihn war es die allerletzte Warnung, für mich eine Aggression, hatte ich sie doch Wochen nicht gesehen und kein Wort von ihr erhalten. Was bildete er sich ein? Mir drohte kein Ehemann. Gleich schrieb ich ihr eine hinreißende Liebeserklärung. Ich musste sie wiedersehen, ich wollte von ihr nehmen, was ich von ihr bekommen konnte, und sei es nur, um ihn zu hintergehen, der sie mich nicht haben ließ. Dem konnte ich nicht widerstehen.
Wir sahen uns am gewohnten Ort. Ich triumphierte. Was kümmerte er mich, bekam ich doch bedingungslose Liebe von ihr, während ihm der graue Alltag blieb. Sollte er nur den ehelichen Pflichten nachkommen, ich erfüllte die Pflicht der Leidenschaft und erntete den Beifall. Aus einer leidigen Notwendigkeit wurde mir eine lüsterne Machenschaft.
Ich sonnte mich in dieser kruden Affäre, und die Tatsache, dass ihr Mann mich erst auf den Pfad der abenteuerlichen Leidenschaft gebracht hatte, ließ mich Freudentränen vergießen. Ich ging weiter und erkundigte mich nach ihm, ließ mir Geschichten aus ihrer Ehe erzählen und fühlte eine tiefe Schadenfreude über jedes neue Ärgernis, das der Alltag ihrer Ehe brachte, mir aber eine Begehrende unter die Weide trieb. Sie berichtete ganz ungerührt, offenbarte Intimes und ließ mich wissen, wie glücklich ich mich schätzen könne, nur einen Teil von ihr zu besitzen. Ich schwieg, aber je mehr sie erzählte, desto erhabener fühlte ich mich in meinen selbstlosen Machenschaften. War ich es doch, der die Ehe als materiellen Zweckbund verschrien hatte, wie konnte ich nur auf die Idee gekommen sein, sie ganz für mich zu wollen und mich ihr bis an das Ende meines Lebens zu verschreiben. Nie würde ich mich in seine Situation begeben, Anspruch erheben auf ein Ehefrau, die dann auch Anspruch auf mich hätte. Jetzt pries ich die Freiheit und ergötzte mich an den Frauen anderer. Weiter noch, es reizte mich, einen betrogenen Ehemann hinter mir her zu ziehen, was hatte er sich auch eingelassen, seine lächerlich-flehenden Briefe. Ich war ihr wahrer Held. Ich brauchte keinen Ring, und die Vorstellung, er würde vielleicht eines Tages sogar für meine Kinder sorgen, erfüllte mich mit gehässiger Freude. Mein Sehnen nach ihr war voll und ganz befriedigt. Ich war befreit und verliebt.
Und sie war schwanger. "Es ist dein Kind", sagte sie. Ich lächelte sie gönnerhaft an. Sie erwartete einen Aufschrei, ich beruhigte sie. Er solle es großziehen, niemand müsse wissen, wer der wahre Vater sei. Wir hätten ein kleines wunderbares Geheimnis miteinander. "Es gibt keinen Mann", sagte sie da. "Es gibt keine Ehe. Es gibt nur dich und mich." Was redete sie da mit Tränen in den Augen? "Liebst du mich denn nicht?", fragte sie. "Doch natürlich, aber wir wollen, dass alles so bleibt!" Ich liebte sie, aber ich liebte sie als die Frau eines anderen. "Ich habe ihn erfunden", sagte sie da. "Ich wollte einen Liebhaber, du wolltest mehr, er hat mich vor dir abgeschirmt, und als du nicht mehr wolltest, hat er dich sogar zurückgebracht." Sie zuckte mit den Schultern. Ich wollte mich empören, sie aber nahm meinen Kopf und vergrub ihn tief in ihrem Busen.