Mopti - der wohl staubigste Busbahnhof Malis. Zwei Tage warten wir nun schon. Beobachten, wie andere ankommen und abfahren. Wir bleiben. Warten heißt plaudern mit Souvenirverkäufern, Schuhputzern und Obsthändlern. Immerhin konnte ein geländegängiger Pickup aufgetrieben werden, auf dessen Dach das Gepäck seit zwei Stunden verladen ist. Doch wir warten. Es ist Markt in Mopti, und zwei Mitreisende, sagt Abdullah, hätten noch etwas zu besorgen. Abdullah muss es wissen, denn er organisiert die wöchentlichen Fahrten nach Timbuktu. Zwei Tage schaut er uns nun schon aus seinem Turban heraus mitleidig an.
Es ist Mittag, als wir uns endlich von Abdullah verabschieden und losfahren. Hinten auf der Ladefläche des Pickup sitzen einige alte Männer, eine Frau mit zwei kleinen Mädchen, eine dicke Araberin und die beiden, die versucht haben, uns das hartnäckige Warten beizubringen, Ali, ein junger Tuareg, und Salif - insgesamt zehn Leute. Und wir, die einzigen Europäer, wir haben die Plätze neben dem Fahrer. Das war Abdullah wichtig, wahrscheinlich, weil wir so genötigt waren, doppelt so viel zu zahlen wie die anderen. Jetzt winkt er uns nach zum Abschied.
Endlich lassen wir Mopti hinter uns. Die Straße in Richtung Gao ist in sehr gutem Zustand. Frische Teerdecke, ohne Schlaglöcher. Dennoch, schneller als 50 km/h geht es nicht. Der lange Riss in der Windschutzscheibe, der sich wie eine Spinne auf der Fahrerseite ausstreckt, ist Schuld daran, dass wir über die einzige tadellose Strecke des Landes schleichen müssen. Bei jedem entgegenkommenden Fahrzeug scheint sich die Spinne in Bewegung zu setzen und die Scheibe endgültig zu zersprengen. "Ein Flughuhn ist vor einigen Wochen dagegen geflogen", erzählt Mahmadou, der Fahrer. Seitdem der Riss, seitdem muss er 50 km/h fahren.
Das mit der Scheibe kostet Zeit, genauso wie die Polizeikontrollen. Ölfässer stehen als Sperre auf der Straße, grimmige Polizisten wollen die Papiere sehen und Wegegeld und das alle 100 km. Zweimal werden wir angehalten, bis wir in Konna sind - die erste wirkliche Pause.
Alle verschwinden zum Essen, wir bleiben beim Wagen. Durch die sengende Hitze geht der Appetit bei uns gegen null.
Nach einer halben Stunde geht es weiter, und bei Boree verlässt der Pickup endlich die Straße. Fast 300 Kilometer Piste liegen noch vor uns, zehn Stunden Fahrt. Zum ersten Mal wird uns klar, dass der Weg nach Timbuktu weit ist, sehr weit.
Kleine Dörfer der Peul und Songhai, die in der Trockenheit des Sahel dennoch ihre Rinder weiden lassen können, ziehen an uns vorüber. In der Fahrerkabine ist es eng und heiß. Wir sind froh, dass wir nicht hinten sitzen, denn da ist auch noch staubig.
Die Piste verliert sich irgendwann. "Eine Abkürzung", sagt Mahmadou. Vor wenigen Monaten noch war das Gebiet das fruchtbarste Malis, als der Niger während der Regenzeit über die Ufer trat und eine Seenlandschaft entstehen ließ. Kein Auto kann in dieser Zeit diese Strecke passieren.
Jetzt ist davon nur wenig zu sehen, die Trockenheit regiert wieder, wie jedes Jahr. Je weiter wir nach Norden kommen, desto mehr wird die Savanne zur Wüste. Der Bewuchs wird weniger, der Sand mehr.
Mahmadou hat in dieser Gegend das Fahren gelernt und zusammen mit seinem Bruder, der hier als Hirte lebt, die Route ausgekundschaftet. Er ist der einzige Timbuktu-Fahrer der sie fährt. Zweimal die Woche macht er das, wenn es gut läuft. Touristen fahren selten mit ihm. "Die fliegen lieber", sagt er.
Gegen sechs Uhr abends hält der Wagen zur letzten Rast vor der Dunkelheit. Wir steigen aus, alle anderen sind schon zum Pinkeln in den kärglich verteilten Büschen verschwunden. Die Muslime traditionell im Sitzen, die Songhai auch, alle anderen im Stehen, wie wir. Der Mond liegt am Himmel wie ein Nachttopf, streng behütet vom Wächter und seinem Hund. Hier, irgendwo in der Wüste zwischen Mopti und Timbuktu, orientiert man sich am islamischen Sternenhimmel. Es ist kühl, zum ersten Mal heute. Mahmadou und sein Gehilfe Boubaca montieren Scheinwerfer an die Stoßstange des Wagens. "Es ist unbequem und staubig dahinten", sagt Salif, und meint, wir sollten mal Plätze tauschen. Er lacht, als wir ihm erklären, dass wir ganz zufrieden sind da vorne. Er fragt uns, was wir für die Plätze bezahlt haben, und lacht wieder, als er es erfährt und steigt kopfschüttelnd auf die Ladefläche. Als wir weiterfahren, ist es bereits stockdunkel.
Ab und zu kreuzen Wüstenspringmäuse unseren Weg, angelockt vom Scheinwerferlicht, auch ein Springbock und eine Eule und immer wieder Flughühner. Mahmadou drückt gegen die Scheibe. Noch eins darf da nicht gegen fliegen.
Mehr Sorgen als die Hühner macht allerdings die Lichtmaschine. Um sie zu schonen, legen wir Kilometer um Kilometer in der Finsternis zurück. Manchmal lässt Mahmadou das schwache Licht aufflackern, um sich zu orientieren.
Die neu angebauten Scheinwerfer geben aber langsam ihren Geist auf, irgendwann stehen wir im Dunkeln. Wieder steigen alle aus, jeder darf mal Hand anlegen oder gute Ratschläge geben. Als klar ist, dass der Schaden hier nicht zu beheben ist, fahren wir ohne Licht weiter - nicht viel langsamer als vorher. Keine Wüstenspringmäuse mehr, nur Dornenbüsche im Mondlicht.
Es wird immer sandiger, und Mahmadou muss aufpassen, dass er den Wagen nicht festfährt. Immer öfter schaltet er, reißt das Lenkrad herum, kuppelt, bis der Untergrund wieder kurzzeitig fester wird. Mahmadou hat alle Hände voll zu tun, wir rauchen derweil seine Zigaretten. Regelmäßig muss Boubaca vom Dach springen und mit der Taschenlampe den richtigen Weg suchen. Manchmal entdeckt man Lagerfeuer im Dunkel der Wüste, von Timbuktu ist nichts zu sehen.
Die nächste Pause beschert uns der Motor. Ein ohrenbetäubender Lärm unterbricht das Tosen der Fahrt, der Wagen hält, der Motor schweigt. Ende, aus, vorbei, denken wir, Timbuktu gibt es nicht, jedenfalls nicht für uns.
Zum Glück ist bei Fahrten wie dieser immer ein findiger Fahrgast an Bord, der aus irgendetwas irgendwas basteln kann, so dass die Reise schließlich doch weitergeht. Ali hat die zündende Idee: Ein Stück Draht, das er im Polster des Fahrersitzes findet, biegt er passend zurecht, setzt es im Motor ein und weiter geht's - bei der Lichtmaschine ist allerdings nach wie vor - auch mit Draht - nichts zu machen.
"Hinter den Bergen liegt der Niger", Mahmadou deutet auf eine Hügelkette im Mondlicht. Es ist weit nach Mitternacht, als wir den Fluß endlich erreichen. Von hier aus werden wir eine Fähre nehmen, das hatte uns Abdullah in Mopti schon gesagt. Eine Anlegestelle für Fähren ist nicht zu sehen, am Ufer stehen lediglich Hütten von Fischern, die hier Bozo heißen.
In einer von ihnen soll die Nacht verbracht werden, morgen geht's es weiter - nach Timbuktu? Fragen wir uns. Drinnen in den Hütten sind Bastmatten für alle ausgerollt. Die dicke Araberin schnarcht, kaum dass sie sich hingelegt hat, die Mädchen drehen sich unruhig von einer Seite auf die andere, Kälte und Insekten kriechen an uns hoch, an Schlaf ist kaum zu denken. Wir stehen auf und gehen zum Ufer. Es ist dunkel und still. Ruhig fließt der Niger dahin. Stromaufwärts entzünden Fischer die ersten Lagerfeuer, an ihren Booten beten sie zu Allah.
Auch unser Lager erwacht zum Leben. Der Wagen wird entladen und das Gepäck zu einem Boot, schmal wie ein Einbaum, gebracht - unsere Fähre nach Timbuktu. Der Fährmann, ein Bozo, stakt die Pirogge langsam über den breiten, braunen Strom. Am gegenüberliegenden Ufer sind die ersten Hütten zu erkennen, Menschen bei der Arbeit, und nach einer Stunde Fahrt schließlich Kabara, ein kleiner aber trubeliger Hafen. Dort gibt es nur eine einzige Straße, und die führt nach Timbuktu. Wieder laden wir das Gepäck auf das Dach eines Autos, ein Taxi Marke Landrover, Vorkriegsmodel, der Benzintank neben dem Fahrer auf dem Boden, in diesem Fall zwischen meinen Füßen.
Es ist noch früh am Morgen, und wir nähern uns mit viel Getöse der sagenumwobenen Stadt. Links und rechts der Straße zunächst nur Sand, schließlich die ersten Lehmhäuser. An dem Stadtmonument endet die Teerstraße, wir fahren weiter über eine Sandpiste mitten durch die alte Stadt bis zum Marktplatz Azalai. Jeden zweiten oder dritten Tag kommen hier die Karawanen an - und ab und zu auch mal ein Taxi aus Kabara.
Wir verabschieden uns von Mahmadou, die meisten anderen sind bereits in irgendwelchen Häusern verschwunden, die dicke Araberin ebenso wie die kleinen Mädchen mit ihrer Mutter, Ali und Salif auch. Es ist heiß, die Sonne steht schon hoch über der Stadt am dunstigen Himmel. Polizisten langweilen sich auf der Veranda ihrer Wache, eine Gruppe Tuareg wartet im Schatten der großen Moschee. "In den Straßen scheinen Schlaf, Trägheit und Traurigkeit der Einöden ringsum zu schweben", schrieb schon Rene Caillie, der französische Timbuktu-Entdecker 1828 in sein Tagebuch. Und wir nehmen unser Gepäck vom Dach des Landrovers und gehen, die Schuhe voller Sand.