Einsam saß sie auf der Türschwelle, draußen auf dem Balkon, und anstatt die letzten Sonnenstrahlen des Herbstes zu genießen, klammerte sie sich an ihre Zigarette. Für sie war es ein letzter Strohhalm, der sie vor dem Ertrinken bewahren sollte, die letzte Ablenkung, die sie für sich noch finden konnte. Heute war es ihre vierte Zigarette, aus der zweiten Schachtel, zu viel für einen Tag und sie wusste genau, dass die Schmerzen in ihrer Brust davon noch schlimmer wurden, der Husten, die Halsschmerzen, alles.
Sie war sterbenskrank, nur wusste das außer ihr niemand, die Ärzte belächelten sie nur, sagten, sie sei kerngesund und das man in ihrem Alter noch nicht sterbenskrank werden könne. Was sie nicht schon alles untersucht hatten: Das Herz war gesund, die Lunge war gesund, die Magenspiegelung, die sie vorgestern über sich ergehen ließ, war ohne Befund, das Blutbild in Ordnung. Doch sie wusste es besser, sie musste einfach krank sein. Wenn es nicht das Herz war, war es die Lunge und wenn es nicht die Lunge war, dann der Magen, oder Lymphdrüsenkrebs oder ein Gehirntumor. Und immer, wenn sie einen kleinen Schmerz in ihrem Körper verspürte, fing alles von vorne an: Ihr Herzschlag beschleunigte sich, kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn, die Finger wurden ganz weich, sie bekam kaum noch Luft, sie geriet in Panik. Ging es ihr zwischendurch gut, hatte sie Angst vor der nächsten Attacke, inzwischen hatte sie schon Angst vor der Angst.
Alles, was um sie herum geschah, nahm sie nicht mehr wahr. Sie konnte nicht mehr essen, sie hatte zehn Kilo in den letzten zwei Monaten abgenommen, die Wohnung wollte sie nur noch selten verlassen, sie fühlte sich hier zwar nicht wohl, doch draußen ging es ihr noch schlechter. Er war ihr fast egal geworden, obwohl er für sie kämpfte, versuchte, ihr Kraft zu geben, sie zu stützen; Familie und Freunde gab es für sie nicht mehr. Diese unglaubliche Angst hatte sie fest in ihrem Bann, sie lauschte nur noch nach innen, konnte nachts nicht mehr schlafen, es gab kaum noch Momente, die ihr Kraft gaben, Glücksmomente gab es nicht mehr, das Glück hatte wohl einen langen Urlaub angetreten, war tausende Meilen entfernt.
Nur wenn sie einsam auf der Türschwelle, draußen auf dem Balkon, saß und dem langsam aufsteigenden Rauch der Zigarette zusehen konnte, vergaß sie einen Teil ihrer Angst, fühlte sich einen Augenblick wohl, konnte klar denken. So konnte es nicht weiter gehen, das wurde ihr in diesem Moment klar, sie wollte die letzten Sonnenstrahlen des Herbstes genießen, sie wollte leben, sie wollte lieben, ohne Angst, ohne Panik, ohne Schmerzen. Sie drückte die Zigarette aus, öffnete die Tür, ging herein und spürte, wie sich sofort der Hals zuschnürte, sich dieser unerträgliche Kloß festsetzte, sie spürte diesen stechenden Schmerz, der sich bis in ihren linken Arm erstreckte:
Sie hatte Angst.