Herr des Hauses war der alte Jäger, der neben dem Feuer saß. Den Tiger, dessen Fell an der Wand hing, hatte er im letzten Monat mit dem Gewehr erlegt. Die übrigen Sechs waren seine Schüler. Sie stammten aus den führenden Familien der verschiedenen Sippen. Der kenntnisreiche Alte hatte seine besten Jahre damit verbracht, unermüdlich als Lehrmeister zu dienen und seinen Schülern alles über Fallenstellen, Kriegskünste, Medizin und Heilkräuter beizubringen. Jeden Tag führte er sie in die Berge, und wenn sie zuhause waren, versammelte er sie um sich und nutzte die Zeit der Muße für die Unterweisung in anderen nützlichen Kenntnissen. In allen Dingen ging er als Vorbild voran. Er nahm die Mühe auf sich, den jungen Leute zu helfen, ihren Charakter auf das Vortrefflichste auszubilden, und mahnte sie, unaufhörlich nach Höherem zu streben. Wein zu trinken und Lieder zu singen war nicht untersagt, doch lehrte er sie, sich beim Wein als auch beim Umgang mit Frauen zu zügeln. Und wie stand es mit seinen sechs Lehrlingen? Sie waren mutig und ehrlich. Ihre natürlichen Gaben waren durch des Meisters Tugendhaftigkeit verfeinert und durch seine Klugheit gestählt worden, so dass sie alle Eigenschaften eines vortrefflichen Mannes besaßen. Sie sahen den Alten als ihren Vater an und die Gefährten als ihre Brüder. Sie hielten alle Gebote ein und verbrachten ihre Tage glücklich und in Eintracht, ohne je Neid oder Mißtrauen gegen andere zu hegen. Zur Jagd stiegen sie hinauf in die Berge und um ehrlichen Handel zu treiben begaben sie sich ins Tal. Die Tiere, die sie in den Bergen erlegt hatten, tauschten sie gegen alles ein, was sie benötigten: Gewehrkugeln, Pulver, Pfeilspitzen, Bogensehnen und Wein. Wenn sie Glück hatten, konnten sie noch weitere Dinge erwerben, die von weit her kamen, z. B. Ringe oder Wollmützen und dergleichen mehr. Unbeschwert arbeiteten und aßen sie und führten ein sorgloses Leben. Mit ihren Kugeln jagten sie das Wild, mit ihren Liedern lockten sie die Mädchen in die Berge.
Sie lebten in ihrer separaten Welt, bis sie erfuhren, dass sich ganz in der Nähe Beamte und Behörden angesiedelt hatten. Nun wurde ihnen bewußt, dass die Veränderungen bald auch Beixi erfassen würden. Sonst hatten sie zum Frühlingsfest immer neue Kleider angelegt und dann Fasane, Hasen, Pilze, Marderhunde und dergleichen als Geschenke in die Häuser ihrer Mädchen gebracht. Doch diesmal machten sie sich nicht auf den Weg. Sonst hatte sich ihr Meister immer zum Dorftempel begeben um dort mit den Alten zu trinken. Doch diesmal ging er nicht.
Dem Befehl des Alten folgend blieben die sechs Lehrlinge zuhause, saßen still um das Feuer und lauschten seinen Erzählungen. Er sprach über die Wandlungen, die im Orte vor sich gingen, und beschrieb auch alles, was er über die Folgen wußte, die die Einführung der Gesetze anderswo gebracht hatte. Seine Empörung wuchs, und auch die Jungen gerieten bald in Wut. Sie schwiegen zwar, aber alle spürten in diesem Moment einen unbestimmten Widerwillen gegen das Gesetz. Da ergriff der Alte wieder das Wort: “Was könnte so ein Beamter hier mitsamt seinem Trupp Soldaten nützen? Wen sollten sie beschützen? Wenn der Tiger kommt oder die Heuschrecken, kann er nichts ausrichten. Bricht ein Feuer aus oder schwellen die Flüsse an, kann er nichts dagegen tun. Bei uns gibt es keine säumigen Schuldner, aber dort, wo es Beamte gibt, sind nicht wenige, die ihre Schulden nicht begleichen. Bei uns weiß man noch nicht, dass man von Betrug leben kann.
Beamte sind nutzlos, darin waren sich alle einig. So schlossen sie endlich eine Vereinbarung: Wenn in Beixi jemals das Beamtentum seinen Einzug halten sollte, würden sie sich alle einmütig dagegen zur Wehr setzen. Sie wollten weiter frei und gleichberechtigt leben, und ein Gott, der von nichts wußte, wäre ihnen als Herr lieber als ein Beamter. Ein Gott ist immer unparteiisch. Beamte hingegen sind nicht sonderlich vertrauenswürdig. Außerdem ahnten sie, dass das ganze Leben zur Last würde, wenn es Beamte gäbe. Sie fanden, dass der Mensch nicht nur für jene lästigen Pflichten lebte; deshalb wäre eine Regierung nur für Völker nötig, die sich gerne mit solchen Unannehmlichkeiten plagen. Die Leute aus Beixi aber, die im allgemeinen solche lästigen Pflichten scheuten, hatten daran keinen Bedarf. Angesichts der enormen Macht, die eindringen würde, und des Unheils, das ihnen letzten Endes drohte, überschätzten einige der Jungen ihre Kräfte und verpflichteten sich, Widerstand zu leisten. Noch am selben Abend schworen sie einander, bis zum letzten Tropfen Blut zu kämpfen. Als sie dies besprochen hatten, war es bereits Mitternacht und jeder legte sich zur Ruhe. Hätte jemand an diesem Abend in Beixi eine Untersuchung angestellt, hätte er herausgefunden, dass die Mengen an Alkohol, die man konsumiert hatte, ganz außerordentlich waren und man alle bisherigen Frühlingsfeste übertroffen hatte. Die Leute hier hatten sich so hemmungslos dem Feiern hingegeben, dass der Tag unbemerkt gegangen und das Neue Jahr bereits gekommen war.
Bald kam der Frühling. Schon im März spross erstes Grün an den Berghängen, die Bäume schlugen frische Triebe aus, Vögel brüteten in ihren Nestern und auf den Regen folgte die wärmende Sonne. Mehrere Tage war es klar gewesen und überall an den Hängen und auf den Feldern waren die Leute bei der Arbeit oder sangen Lieder. Gerade in dieser Zeit kamen Abgesandte aus der Grenzstadt, um das Projekt der Einrichtung eines Amtes zu untersuchen. Es waren zwei Leute gekommen, die sich mit den wichtigen Leuten im Dorf trafen. Unter deren Führung begutachteten sie unterschiedliche Plätze im Dorf. Die Frauen versammelten sich mit ihren Kindern an der Hand in der wärmenden Sonne, um die Angelegenheit zu besprechen. Die Männer aus der Stadt hatten unzählige Fragen gestellt, hatten den Altar des Erdgottes vermessen und die Haushalte registriert. Nach zwei Tagen waren sie wieder abgereist.
Beim zweiten Mal kamen fünf Leute und die Situation unterschied sich von der voran gegangenen. Beim letzten Mal hatten sie sich nur umgesehen, aber nun sollte das Amt offiziell eingerichtet werden. Besonders achteten sie auf die Frauen. In jeder Familie und in jedem Haushalt wurden die Frauen registriert, und, verängstigt wie sie waren, wussten sie nicht wie sie darauf reagieren sollten. Kaum hatten die Lehrlinge davon erfahren, berichteten sie es ihrem Meister. Er rief alle zusammen, um erste Gegenmaßnahmen zu erörtern: “Die Entwicklung entspricht genau unseren Erwartungen,” begann er. “Der Tag, an dem unser ganzes Dorf vernichtet wird, ist gekommen, und wir müssen unsere Plicht erfüllen. Was sollen wir tun? Ihr könnt alle Vorschläge machen, über die wir dann diskutieren können. Auf keinen Fall werden wir hinnehmen, dass wir von Beamten regiert werden.”
Der Erste sagte: “Wir jagen sie weg und damit ist die Sache erledigt.”
Der Zweite sagte: “Wir vertreiben sie.”
Der Dritte, Vierte, Fünfte und Sechste waren der gleichen Meinung. Da die Beamten gekommen waren, obwohl man sie nicht gerufen hatte, schien es keine andere Möglichkeit zu geben als sie zu vertreiben. Wenn sie sich nicht verjagen ließen und wenn Blut vergossen werden müsste, würden sie nicht zögern sich zu opfern. Sie hatten ein reines Gewissen, und wen man auch fragte — niemand brauchte einen Beamten. Da niemand sie gerufen hatte, und sie dennoch unbedingt kommen wollten, war die Gegenseite für alle Folgen verantwortlich.
Für diese jungen, einfachen Hirne war die Macht der Beamten nicht viel bedrohlicher als ein Tiger oder Panther. Mit vereinten Kräften würde man sie vertreiben können. Wie es sich bei den anderen Leuten im Dorf verhielt, wissen wir nicht, aber daß diese Sieben eines Sinnes waren ist gewiß.