Ein einsamer Abend in der Kneipe. Wie schon oft sitze ich alleine an einem Tisch, trinke ein Bier und beobachte die Leute. Ich habe nicht viele soziale Kontakte und wenn ich die Stille in meiner Wohnung nicht mehr ertrage, ziehe ich mich an und gehe aus, um ein Bier zu trinken.
Am Nachbartisch sitzt eine Frau. Ein geöffnetes Buch liegt vor ihr. Ihre Augen haben sich in die Seiten vertieft. Ihre Gedanken sind bei der Geschichte, sie scheint ihre Umwelt nicht wahrzunehmen. Nur wenn die Eingangstür aufgeht und ein neuer Gast herein kommt, hebt sie kurz ihren Blick in Richtung des Eintreffenden, um gleich darauf ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Buch zu lenken.
Was liest sie da, frage ich mich. Bestimmt einen Liebesroman, denke ich mir. Sie wartet auf niemanden, glaube ich. Aber sie würde gerne jemanden treffen, da bin ich mir sicher. Sie will nicht alleine sein. Sie möchte Begegnung. Sie träumt von Beachtung.
Das Buch ist ein Alibi. Damit überspielt sie ihr Warten. Niemand soll sehen, dass sie sich über ein Gespräch freuen würde. Ihre Mitmenschen könnten sie für einsam halten und Einsamkeit ist nicht anziehend. Einsame Menschen haben Erwartungen und nur wenige möchten diese erfüllen. Dabei würde sie sich vermutlich schon über ein kleines Lächeln freuen.
Ich versuche ihren Blick zu fangen. Vielleicht treffen sich unsere Augen und tauschen ein Lächeln aus. Eine Wahrnehmung des Anderen. Ein Kompliment an die Attraktivität. Einen gegenseitigen Zuspruch in der Einsamkeit. Denn auch ich warte und träume von der Begegnung eines Liebesromans.