Meine bescheidene Wenigkeit war im elterlichen Hause, als kleiner Junge, der noch unglaublich grün und noch ziemlich naß hinter den Ohren war, der bevorzugte Inszeneur, Theaterspieler, Dramaturg, Regisseur und Geschichtenmacher meiner jüngern Schwester, der ich eine Zeitlang immer Geschichten, nicht etwa nur erzählen, nein, machen mußte, wessen ich mich heute glücklicherweise noch deutlich erinnere, da ich sonst diesen interessanten Aufsatz ja gar nicht schreiben könnte. Fanny, so, meine ich, hieß die entsetzliche kindliche Tyrannin, die gebieterisch von mir verlangte, ich solle ein dichterisches Genie sein, um sie mit Vorgängen zu erbauen und mit Geschichten zu unterhalten, wobei sie mir stets, und das war das Schreckliche, drohte, zu Mama zu gehen und mich als Bösewicht zu verklagen, wenn ich mich von Zeit zu Zeit eines so ermüdenden und geistig so aufreibenden Geschäftes, wie das edle Dramatisieren ist, ein wenig entziehen wollte. Stundenlang dauerte das Theater; und die Geschichten, die ich machte und in Szene setzte, wollten schon, aber durften nicht enden, da sonst mein gestrenges Publikum, das heißt: meine liebe Schwester, indem sie eine mir nur zu wohlbekannte zürnende Miene aufsetzte, sogleich sagte: »Du scheinst heute keine besondere Lust zu haben, mir eine Geschichte zu machen, an welcher ich mich ergötzen könnte. Ich rate dir, habe nur Lust, sonst geh ich zu Mama und sage ihr, daß du mich immer ärgerst, und dann bekommst du Prügel, das weißt du. Nimm nur deine Phantasie mit aller Kraft zusammen und gib mir stets nur das Beste von deinem Können. Ich weiß, daß du kannst, wenn du willst, und ich will keinerlei Entschuldigungen anhören, wie die, daß dir der Geist erlahme. Umsonst sind alle deine Bemühungen, die du machst, um dich deiner Aufgabe, einer Aufgabe, zu deren Lösung du verpflichtet bist, zu entziehen. Du mußt, du mußt spielen. Sonst werde ich erbärmlich zu weinen anfangen, was Mama haßt, und was das für unausbleibliche peinliche Folgen für dich hat, das kann dir dein Geschichtenmacherkopf erzählen, den schon so mancher Schlag von Mamas Hand getroffen hat.« So oder ähnlich redete eine schauderhafte Unterdrückerin zum erbarmungswürdigen, armseligen Gedrückten, Gepreßten, Verkauften und Unterdrückten. Machte ich meine Sache gut und war Schwesterchen zufrieden mit der Kunst, die ich ausübte, so belohnte ein reizendes, gnädiges, wenngleich etwas höhnisches Lächeln den Angstschweiß, mit dem ich gekämpft hatte. Wenn ich aber der Tyrannin trotzte und mich den schwesterlichen Befehlen nicht fügen wollte, so kam es heran, das Ungeheure, und ich erhielt Hiebe auf meinen phantasielosen Schädel, eine Maßregel, die ich natürlicherweise im höchsten Grade verabscheute. Und da mir Mamas Zorn stets mindestens ebenso weh tat wie die Ohrfeige, die sie mir versetzte, so suchte ich im allgemeinen meines geehrten Publikums Gunst zu erwerben und Mißfallen zu vermeiden, und bald kam ja dann die Zeit, wo die lästige Geschichtenmacherei und dramatische Kunst überhaupt aufhörte.