Das alles, was ich jetzt hier schreibe, ist für Sie, liebe Frau. Ich sehe so viel Zeit vor mir, die ich zu nichts anderem als zu einer künstlichen Spielerei verwenden kann, eine solche Menge, einen solchen Haufen von Zeit, daß ich nur von Herzen froh sein kann, diesen Zeitvertreib gefunden zu haben. Man will und kann mich nicht beschäftigen, man braucht mich nicht, ich stehe völlig außerhalb jedes Bedürfnisses, wohlan, so gebrauche ich mich eben selber, wähle mir selber den Zweck und halte mich für gut genug, irgendein Werk, wäre es auch das sonderbarste und nutzloseste, zu vollführen. Ich bin breit und schwer und voll von Empfindungen. So kläglich auch meine jetzige Lage sein mag in dieser Spiegelgasse, so seltsam frei und mutig komme ich mir vor, so leicht und erfinderisch in wohltuenden Gedanken ist mein Herz. Nur ab und zu, um es offen herauszusagen, bin ich traurig und hoffnungslos, denke an meine Zukunft als wie an etwas Verlorenes und Düsteres, aber das sind Augenblicke, weiter nichts.
Ich schreibe an Sie, weil Sie eine schöne und liebe Frau sind, weil ich jemanden im Sinne tragen muß, um lebhaft und aufrichtig schreiben zu können, weil ich auf Erden immer das Nächste liebgehabt habe, und weil Sie mir die Nächste sind, Sie, von der ich nur durch eine dünne, dumme Zimmerwand abgetrennt atme und lebe. Ich finde darin etwas Schönes, es hat für mich etwas Berauschendes und Geheimnisvolles und Weithintragendes. Ich bin zu Ihnen gekommen an einem heißen Tag, Sie wissen es auch, wo die Sonne die Gasse verbrannte, durch Zufall und Einfall, vielleicht auch durch Wunderlichkeit, weil ich dachte, daß in dieser Gasse die Zimmer besonders dunkel, sonnenlos, schattig, eng und auch ... billig sein müßten. Sie standen auf dem Treppenansatz und sahen mich mit Ihren Augen ziemlich durchdringlich an, und ich muß gestehen, ich zitterte ein wenig vor diesem Blick, denn ich kam mir so recht vor wie ein Suchender, Bittender, auch hatte ich nur noch eine Kleinigkeit von Geld in der Tasche und glaubte, Sie müßten mir das ansehen. Bettler betragen sich bekanntlich immer unsicher. Sie zeigten mir das Zimmer, und ich drückte Ihnen, ich weiß nicht mehr aus welchem Gefühl des Stolztuns, meine letzten Geldmünzen in die Hand; Sie nickten befriedigt und der Handel war abgeschlossen. Seitdem habe ich kein Wort mehr mit Ihnen gesprochen, und doch ist beinahe ein Monat seither verflossen, und ich nehme an, Sie halten mich für einen stolzen Menschen. Es macht mir Vergnügen, dies annehmen zu dürfen und zu denken, daß Sie es gar nicht wagen, mich mit einem Wort anzureden, der doch glücklich wäre, wenn Sie es tun würden. Nun, ich bin auch so glücklich. Ich sehe, ich mache einen günstigen Eindruck auf Sie, mein Schweigen erzwingt sich Ihre Achtung, denn gewöhnlich sind Bettler geschwätzig. Sie halten mich für einen armen Menschen, Sie haben schon Mitleid mit mir und fürchten sicher, daß ich nicht werde bezahlen können, wenn der Monat zu Ende geht, und doch wagen Sie nicht die geringste Annäherung, sagen kein Wort, machen immer ein achtungsvoll freundliches Gesicht, wenn Sie mir begegnen, in dessen Zügen ich den Wunsch, zu reden, lebhaft unterdrückt sehe. Während Sie fürchten müssen, von mir hintergangen zu werden, werden Sie immer freundlicher zu mir, erweisen mir kleine Aufmerksamkeiten, die man schätzt, weil sie schweigend geschehen, stellen mir einen Teppich und einen Spiegel ins Zimmer und gestatten mir, Sie nachts, wenn Sie schlafen, aus der Ruhe zu schrecken, um mich ins Haus einzulassen, verzeihen mir das und verzeihen sogar, wenn ich nicht einmal dafür um Entschuldigung bitte. Im ganzen genommen, Sie sehen etwas Besonderes an mir, Sie meinen vielleicht, daß ich ein guter Mensch bin, der etwas in die Klemme geraten ist, Sie sind davon überzeugt, daß meine Eltern hochachtbare Menschen gewesen sind, oder noch sind, Sie schätzen mich und wünschen, mich nicht zu kränken; nun, aus all diesen Gründen, die ich mir zunutze machen will, und die ich deutlich klar sehe, will ich, wenn der Monat zu Ende sein wird, vor Sie hintreten, kurz und rasch, vielleicht mit etwas empfindlicher Röte im Gesicht, mit etwas absichtlicher Wärme in der Stimme, und Ihnen offen bekennen, und Sie dabei anblicken, wie, das weiß ich noch nicht, aber jedenfalls bezwingend, Ihnen einfach frech das Bekenntnis ablegen, daß ich außer der Lage sei, bezahlen zu können. Ich weiß, daß ich siegen werde und daß der Sieg nicht einmal ein unfreundlicher sein wird, Sie liebe Frau! Wie ich Sie liebe, daß ich dieses alles so genau weiß. Sie kennen mich und ich kenne Sie, ich finde das so wunderschön, so erwärmend. Es kann mir, solange ich bei Ihnen bin, unmöglich schlecht gehen. Nein, unmöglich!