Der Herbst hatte begonnen. Die heißen Tage des Sommers gehörten mittlerweile der Vergangenheit an und die Blätter an den Bäumen färbten sich langsam rot, gelb und braun. Doch nach den letzten regnerischen Tagen, war es nun wieder sonnig und angenehm warm.
Das hatten Papa und Sofie natürlich ausgenutzt und waren den ganzen Tag über draußen an der frischen Luft gewesen. Aber nun saßen sie gemeinsam in Sofies Zimmer und sahen durch das Fenster der untergehenden Sonne zu.
»Das war heute richtig schön.«, schwärmte Sofie, während sie sie in ihr Nachthemd schlüpfte.
Papa nickte und lehnte sich gemütlich zurück.
»Das ist das schöne am Altweibersommer.«, erklärte er.
Sofie stutzte und begann zu grübeln. Man konnte es ihr ansehen, dass eine Frage in ihrem Kopf enstand.
»Papa, was ist eigentlich Altweibersommer? «
Papa kratzte sich am Kinn. Er dachte noch nach.
»Das ist eine sehr gute Frage. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig vom Altweibersommer. Und die werde ich dir jetzt erzählen.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«
Es war einmal eine kleine Spinne, die den ganzen Tag an Ästen und Pflanzenhalmen herum kletterte und ein Spinnennetz nach dem anderen wob. Ihr Name war Eleonora.
Am frühen Morgen kam Eleonora aus ihrem Versteck gekrochen und begann mit ihrer Arbeit. Erst am späten Abend, wenn die Sonne unterging, unterbrach sie ihr Tun und ging zu Bett.
Eines Tages, es war gerade früher Morgen, kam ein junges Mädchen daher. Sie spazierte durch die grüne Wiese und erfreute sich am frischen Morgentau, der ihre Füße kitzelte und mit Wassertropfen benetze. Das war ein herrlich erfrischendes Gefühl.
In diesem Moment kam ihre Freundin um eine Ecke gebogen.
»Marie, warte auf mich. Du sollst doch nicht allein durch den Wald laufen. Dir könnte etwas zustoßen.«
Aber Marie lachte nur und lief einfach weiter.
»Ella, komm her.«, rief sie.
»Zieh dir Schuhe und Strümpfe aus. Genieße den schönen Morgen. Bald ist es Herbst und es wird zu kalt dafür sein.«
Nur ungern kam Ella der Aufforderung nach und setzte vorsichtig einen Fuß nach dem anderen in die nasse Wiese.
»Brrr, ist das kalt.«
Marie grinste über das ganze Gesicht.
»Nun hab dich nicht so. Es ist einfach nur schön.«
Sie nahm ihre Freundin an der Hand und zog sie hinter sich her.
Doch plötzlich blieben die beiden Mädchen stehen. Sie hatten etwas Seltsames entdeckt.
»Wie schön es doch ist.«
Sie mussten es sich von allen Seiten genau anschauen und konnten ihre Blicke nicht mehr davon lösen.
Das bemerkte natürlich auch die kleine Spinne Eleonora. Sie sah sich um und es fiel ihr auf, dass die Menschen von den Spinnennetzen fasziniert waren. An ihren Fäden hingen die frischen Tropfen des Morgentaus.
»Das geschieht nur im Altweibersommer.«, flüsterte Marie.
»Wenn der Wind geht, gehen die kleinen Gespinste auf die Reise. Sie fliegen den alten Weibern nach, die noch immer nicht verheiratet sind. Wer von den Netzen berührt wird, steht schon bald vor dem Traualtar und bekommt ein Baby.«
Ella bekam große Augen.
»So ein Quatsch. Das glaube ich dir nicht. Du willst mir doch wieder nur einen Bären aufbinden.«
Trotzdem war es ihr nicht ganz geheuer.
Marie grinste wieder.
»Doch. Jedes meiner Worte ist wahr. Also geh lieber nicht zu nah heran.«, neckte sie ihre Schwester weiter.
Eleonora musste leise lachen, als sie das alles hörte.
»Wartet es nur ab. Euch werde ich einen kleinen Schrecken einjagen.«
Schon kletterte sie zum nächsten Netz und biss die Befestigungsfäden durch. Genau in diesem Moment gab es einen kleinen Windstoß, der das Gespinst direkt zu Marie wehte.
Mit einem entsetzten Aufschrei sprang das Mädchen zur Seite und konnte dem Netz gerade noch ausweichen. Sie bekam einen hochroten Kopf und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht.
Nun war es Ella, die lachen musste.
»Jetzt bist du selbst auf deinen Scherz herein gefallen.«
Marie verzog die Mundwinkel und brummte leise vor sich hin, bevor sie antwortete.
»Ich wollte nur sicher gehen. Vielleicht ist ja doch etwas Wahres dran. Denn zum Heiraten ist es mir noch viel zu früh.«
Aber dann schoben die beiden Mädchen die ängstlichen Gedanken fort und liefen wieder vergnügt über die grüne Wiese.
Eleonora aber bewahrte dieses kleine Erlebnis in ihrem Herzen. Von nun an musste sie immer im September an Marie und Ella denken, wenn sich ihre Netze mit Morgentau benetzten.
»Ja, der Altweibersommer ist wirklich die schönste Zeit im ganzen Jahr.«, murmelte sie dann vor sich her.
Sofie hatte Papa aufmerksam zugehört. Während sie noch über das Gehörte nachdachte, schlüpfte sie bereits unter die Decke.
»Das war eine sehr schöne Geschichte.«, sagte sie schließlich.
Papa war zufrieden als er das hörte. Doch dann fiel Sofie noch etwas ein.
»Aber ich glaube dir trotzdem kein einziges Wort davon.«
Grinsend zog sie sich die Decke bis zur Nase und schloss ihre beiden Augen.