»… erstürmten die närrischen Weiber um elf Uhr elf die Rathäuser deutscher Städte. Unzählige Krawatten fielen diesem Überfall zum Opfer.«
Sofie machte große Augen. Eine Horde Frauen hatte den Bürgermeister aus seinem Büro vertrieben. Sie übernahmen die Macht über die Stadt.
»Können die denn die Arbeit des Bürgermeisters wirklich übernehmen?«, fragte sie?
Papa musste lachen, bevor er einen Versuch startete, ihr den Beginn des Karnevalsfestes zu erklären.
Sofie verzog den Mund und schmollte.
»Nun lach mich doch nicht aus. Ich bin noch klein und weiß nicht Bescheid.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Papa, was die Weiber da im Rathaus?«
Papa hielt inne, kratzte sich am Kinn und dachte nach.
»Also gut. Ich werde auch nicht mehr lachen, denn das ist eine gute Frage. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig von einer Horde Karnevalsweiber. Und die werde ich dir jetzt erzählen.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«
Es war einmal vor langer Zeit eine kleine Stadt, in der die Menschen tagein und tagaus ihren Geschäften nachgingen. Doch einmal im Jahr änderte sich das.
Immer, wenn sich auf dem Kalender der Aschermittwoch näherte und mit ihm die Fastenzeit, legten die Männer der Stadt ihre Arbeit nieder. Eine Woche lang feierten sie rauschende Feste, aßen so viel sie konnten und tranken übermäßig Wein und Bier. Sie waren der Meinung, dass sie sonst die lange Fastenzeit bis Ostern nicht anders überleben konnten.
In der Zeit der großen Feste blieb die Arbeit natürlich nicht liegen. Die Männer bestanden darauf, dass sich die Frauen darum kümmern sollten.
So hatten die Frauen die stressigste Woche des ganzen Jahres vor sich. Sie kümmerten sich um den Haushalt, die Wäsche, die Kinder und nun auch noch um alles andere. Bis zum Abend waren sie kraftlos, müde und richtig sauer. Doch das interessierte die Männer nicht.
Irgendwann waren es die Frauen Leid. Wieder einmal stand die Karnevalszeit vor der Tür. Die Wein- und Bierfässer wurden in die Wirtschaften und Gasthäuser gebracht. Die Feste würden schon in wenigen Tagen beginnen. Doch dieses Mal sollte alles anders kommen.
In einer alten Waschküche standen fünf Waschweiber zusammen. Sie redeten über die bevorstehende Woche und sofort graute es ihnen.
»Dagegen muss man doch etwas unternehmen. Unsere Männer nutzen uns doch nur aus.«
Dieser Meinung waren sie alle. Also schmiedeten sie einen Plan.
»Aber wie sollen wir uns denn wehren? Der Bürgermeister achtet doch ganz genau darauf, dass die Männer nicht gestört werden.«
Also musste er als erster aus dem Weg geräumt werden.
Es war der Donnerstag vor Aschermittwoch. Der Bürgermeister saß in seinem Sessel und zitterte. Seit Urzeiten feierten die Männer ihren Karneval, ohne dabei gestört zu werden. Doch nun war das Gerücht umgegangen, dass die Weiber etwas dagegen unternehmen wollten. Man sagte sich, dass sie um elf Uhr das Rathaus erstürmen und die Macht übernehmen wollten. Aus diesem Grund hatte der Bürgermeister Soldaten vor den Eingangstüren postieren lassen.
Die Uhr schlug elf. Doch in den Straßen blieb es ruhig. Zuerst waren die Wachmänner unsicher. Doch mit jeder Minute wurden sie ruhiger und sicherer, dass alles nur Gerede gewesen sein. Nach ein paar Minuten verließen sie ihre Posten und kehrten in ihre Feierstuben zurück.
Auf diesen Augenblick hatten die Frauen nur gewartet. Die Uhr zeigte elf Minuten nach elf Uhr an. Mit Scheren bewaffnet lief eine Horde Weiber in das Rathaus hinein. Allen Männern wurden sofort die Krawatten abgeschnitten und die Schnürsenkel der Schuhe durchtrennt.
»Du meine Güte. Ohne meine Krawatte kann ich mich doch nicht auf dem Fest sehen lassen.«, riefen die einen verzweifelt.
»Hilfe. Wie soll man sich denn noch in diesen Schuhen fort bewegen?«, sagten die anderen.
Es dauerte nicht lange, bis auch der Bürgermeister den Weibern zum Opfer fiel. Er wurde aus seinem Büro vertrieben. Die Anführerin der Frauen stellte sich mit ihrer Krawattenbeute auf den Balkon und unterrichtete die Stadt darüber, dass nun die Weiber herrschen würden.
Sofort bekamen die Männer Angst. Mussten sie nun auf ihre Feiern verzichten? Würde nun alles anders herum ablaufen?
Doch die Frauen waren freundlich und hatten andere Ideen im Kopf.
»Wir feiern von nun an zusammen. Der heutige Tag gehört uns Weibern. Wir übernehmen das Rathaus, die Macht und den ganzen Spaß. Danach dürft ihr gerne wieder in die Gasthäuser einziehen.«
Mit diesem Vorschlag waren alle zufrieden. Ein paar Änderungen gab es dann aber doch noch. Die Frauen wollten jedem Mann zeigen, dass sie wirklich die Herrschaft übernommen hatten. Also verkleideten sie sich als Bürgermeister, Lehrer, Bäcker und was ihnen noch alles einfiel.
Sofie lachte.
»Da sind die Weiber und Frauen ja sehr schlau gewesen. Man darf die Männer ja nicht immer alleine feiern lassen.«
Sie drückte Papa an sich.
»Das ist endlich mal eine Geschichte von dir, die ich dir wirklich glaube.«
Sie ging in ihr Zimmer, verkleidete sich und kam anschließend mit ihrer Bastelschere in das Wohnzimmer gestürmt. Sie schnitt Papa die Krawatte vom Hals und strahlte über das ganze Gesicht.
»Jetzt habe ich die Macht hier im Haus.«, sagte sie zu Papa.
»Also gehst du jetzt in die Küche und kümmerst dich um das Mittagessen. Ich werde mich so lange um den Fernseher kümmern. Der gehört für heute mir.«