»Seien sie jetzt bitte alle vorsichtig und achten sie genau darauf, wohin sie ihre Füße setzen. Es soll doch niemand verletzt werden.«
Sofie nahm Papa fester an die Hand.
»Ich werde schon gut auf die aufpassen. Versprochen.«
Papa lächelte.
Die beiden hatten das schöne Wochenendwetter ausgenutzt und waren mit den Fahrrädern ziellos durch die Gegend gefahren. Irgendwann hatten sie vor einer Höhle gestanden, in der Führungen gemacht wurden.
Eine Frau mit einer großen Taschenlampe in der Hand ging nun voran und zeigte den Besuchern die schönen Tropfsteine und erzählte viel über Steinzeitmenschen, Höhlenbären und Mammuts.
»Im vorderen Teil dieser Höhle sind Knochen von Menschen und Tonscherben gefunden worden. Daher nehmen wir an, dass dieser Ort entweder bewohnt war oder als Grabstätte benutzt wurde. Etwas weiter hinten lag ein vollständig erhaltenes Bärenskelett, welches nun in unserem Museum ausgestellt ist. Sie können es nach der Führung gerne betrachten. Ihre Eintrittskarten behalten dafür ihre Gültigkeit.«
Sofie war schon ganz gespannt darauf. Die glitzernden Tropfsteine waren zwar ganz schick, aber niemand konnte sich ihre komplizierten Namen merken. Stala-dingsbums, Stala-irgendwas. Die einen wuchsen von oben, die anderen von unten. Es gab sogar welche, die den Boden mit der Decke verbanden, als wären sie eine Stütze. Dennoch war ein richtig echtes Skelett viel interessanter.
»Gehen wir nachher noch in das Museum, Papa? Bitte, bitte.«
Papa nickte.
»Natürlich. Den alten Bären lassen wir uns auf keinen Fall entgehen. So etwas sieht man ja nicht alle Tage.«
Hinter der nächsten Kurve bekam Sofie große Augen. An der Wand, zwischen gewöhnlichen Steinen und Lehm, glitzerte etwas.
»Papa, schau mal, ist das etwa …«, Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Es waren Goldnuggets, die sie entdeckte hatten.
»Lass und heimlich ein paar davon mitnehmen. Die scheint ja noch keiner entdeckt zu haben. Wir werden richtig reich. Dann kannst du mir davon ein Eis kaufen.«
Papa lachte leise. Die Höhlenführerin stimmte mit ein, denn sie schien die kleine Unterhaltung mitbekommen zu haben.
»Das ist doch nur Katzengold. Dafür interessiert sich hier kein Mensch.«
Sofie runzelte die Stirn.
»Katzengold? Ist das etwa etwas anderes als richtiges Gold?«
Aber die Frau war schon wieder ein paar Schritte weiter gegangen und erzählte den anderen Besuchern etwas über Höhlenmenschen.
»Papa, was ist eigentlich Katzengold und wie kommt es in diese Höhle?«
Papa hielt inne, kratzte sich am Kinn und dachte nach.
»Das ist eine gute Frage. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig von ein paar ziemlich reichen Katzen. Und die werde ich dir jetzt erzählen.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Eine Geschichte?«, fragte die Höhlenführerin.
Sie und die anderen Leute in der Höhle gesellten sich zu den Beiden, um ebenfalls zuhören zu können.
»Ja genau, ich erzähle euch eine Geschichte. Und wie sollte sie beginnen?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«
Es war einmal ein Kater,der auf den Namen Miro hörte.
Miro ging es gar nicht gut. Es ging sogar sehr schlecht. Er kroch auf seinem Bauch über einen Waldweg. Er war so stark verletzt und erschöpft, dass er sich nicht mehr auf seinen Beinen halten konnte. Trotzdem hatte er es sich in den Kopf gesetzt, so schnell wie möglich zur Katzenstadt zu gelangen.
Aber nach einer Weile verließen ihn die letzten Kräfte und er brach zusammen.
Es dauerte zwei Tage, bis Miro wieder zu sich kam und seine Augen öffnen konnte. Er lag auf einem flauschigen Kissen in einem weißen Zimmer.
»Was? Wo bin ich hier?«
Eine Krankenschwester kam zu ihm, schnurrte ihn kurz an und erklärte, was geschehen war.
»Der Förster hat dich gestern im Wald gefunden. Du warst ohnmächtig. Also hat er dich auf die Schultern genommen und zu uns ins Krankenhaus gebracht. Wäre er nicht gewesen, wärst du bestimmt schnell gestorben.«
Miro versuchte sich zu erinnern. Zuerst fiel es ihm schwer, doch dann war alles wieder da.
»Ich komme aus Katzenhausen. Wir wurden von einem großen Hunderudel überfallen. Wir hatten keine Chance gegen sie. Sie stahlen unser Gold und zerstörten die ganze Stadt. Ich habe als einziger überlebt. Deswegen habe ich mich auf den Weg zu euch gemacht, damit ihr gewarnt seit. Es wird nicht lange dauern, bis es euch ebenso ergeht.«
Die Schwesternkatze erstarrte. Es gab für sich kein schlimmeres Wesen als einen Hund. Und nun stellte sie sich vor, wie es wohl sein würde, wenn man gleich mehreren von diesen Biestern begegnete.
»Ich werde sofort den Bürgermeister holen. Er muss sich das anhören.«, sagte sie schließlich.
Der Bürgermeister stand eine Stunde später an Miros Krankenbett.
»Hunde sagst du? Das sind doch nur Ammenmärchen. Es gibt gar keine Hunde. Daran glauben nur Kinder. Ich habe meinen Jungen auch immer diese Märchen erzählt. Aber sie glauben schon längst nicht mehr an diesen Quatsch. Du bist bestimmt nur ein Rumtreiber, der hier auf Mitleid hofft. Ich werde schon dafür sorgen, dass du schnellstens aus der Stadt geworfen wirst.«
Der Bürgermeister war sauer. So eine Unverschämtheit hatte er noch nie erlebt. Wie konnte es ein fremder Nichtsnutz wagen, die Leute in der Stadt in Angst zu versetzen?
Miro war enttäuscht. Dabei hatte er doch alles mit eigenen Augen gesehen. Er hielt den Bürgermeister fest und hielt ihm seinen verletzten Arm unter die Nase.
»Was denkst du wohl, woher ich diese Bisswunden habe? Ein Eichhörnchen ist sicherlich nicht dazu fähig.«
Der Bürgermeister hielt inne. Er wollte noch immer nicht an diese Geschichte glauben. Aber die Beweise waren eindeutig.
»Das kann alles Mögliche sein. Du musst mir schon etwas besseres zeigen.«
Miro stand auf und stützte sich auf einen Stock.
»Dann komm mit. Ich führe dich zu meiner Stadt. Dort wirst du sehen, was geschehen ist.«
Es war ein Tagesmarsch, bis sie ihr Ziel erreichten. Immer wieder brauchte Miro eine Pause, doch kurz bevor die Sonne unterging, erreichten sie Katzenhausen.
Der Bürgermeister war beim ersten Anblick völlig entsetzt und schockiert. Nicht ein einziges Gebäude war verschont worden. Alles lag in Schutt und Asche. Hier herrschte kein Leben mehr.
Er weigerte sich noch immer, an die Existenz von Hunden zu glauben, bis er einen Schatten durch die Trümmer schleichen sah und ein leises Knurren hörte.
»Es ist also doch wahr. Sie existieren. Dann sind wir alle in Gefahr. Wir müssen sofort handeln und etwas unternehmen.«
Die Hunde waren mit ihrem schrecklichen Werk fertig. Die Stadt war zerstört, das Gold der Katzen geraubt. Der Anführer sammelte sein Rudel zusammen und erteilte neue Befehle.
»Hier gibt es nichts mehr zu holen. Es wird Zeit, dass wir über die nächste Stadt herfallen. Ich denke, bis morgen sollten wir dort sein. Meine Späher haben mich bereits informiert, dass in Katerstadt noch viel mehr Reichtümer für uns bereit liegen. Also bewegt euch, wir haben noch einen langen Marsch vor uns.«
Am nächsten Tag kamen die Hunde in die nächste Stadt. Allerdings fanden sie sie anders vor, als sie erwartet hatten. Die Straßen und Häuser waren leer. Nirgends waren Katzen zu sehen.
»Seht euch sofort um. Ich will wissen, was hier los ist und wo das Gold versteckt wurde.«, brüllte der Anführer.
Sein Rudel schwärmte aus, konnte aber niemanden finden. Erst nach Stunden entdeckte einer der Hunde eine Höhle. Schon von weitem konnte er das Katzengold glitzern sehen.
Er machte sofort kehrt und informierte die anderen.
Mit großen Säcken und Transportkarren kam das Rudel zur Höhle. Vorsichtig liefen sie hinein, bis sie einen großen Haufen Gold vor sich liegen sahen.
»Die Katzen haben sich wohl gedacht, sie könnten ihre Reichtümer vor uns verstecken. Da haben sie sich aber mit dem Falschen angelegt. Hunde sind nicht so dumm.«
In diesem Moment hörten sie ein lautes Rumpeln. Eine große Menge Steine polterte herab. Die Hunde suchten überall Schutz. Aber keiner von ihnen wurde auch nur von einem Staubkorn getroffen. Die Höhle war sicher. Dafür war nun ihr Eingang verschüttet. Das Rudel war gefangen.
Miro wurde vom Bürgermeister gelobt und von den anderen Katzen gefeiert. Dank ihm waren die Hunde in die Falle gelaufen und würden nie wieder einer Katze gefährlich werden.
»Lieber Miro, wir haben zwar unser ganzes Gold verloren, aber dafür unsere Stadt und unser Leben retten können. Wir sind dir zu großen Dank verpflichtet. Wünsch dir etwas, wir werden es dir erfüllen.«
Miro lächelte, dachte nicht lange nach und ergriff die Pfote der Krankenschwester.
»Liebe Schwester Lilly, willst du mich heiraten?«, fragte der Kater.
Eine Antwort bekam er nicht, dafür aber einen richtig dicken Kuss.
Sofie saß auf einem dicken Stein und hatte Papa gebannt zugehört. Sie schien aber mit der Geschichte nicht zufrieden zu sein
»Papa, das ist doch bestimmt nicht so geschehen.«
»Oh, doch. Das kann ich nur bestätigen.«, warf die Höhlenführerin ein.
»Vor ein paar Tagen sind ein paar Wissenschaftler in einem unerforschten Teil der Höhle auf eine große Menge Hundeknochen gestoßen.«
Nun musste Sofie lachen.
»Ich glaube euch beiden kein einziges Wort.«
»Aber schön war die Geschichte trotzdem.«, sagte eine Frau.