"Siehe", unterbrach ihn der Schreiber, "dort steht der vierte Sklave auf; der Aufseher hat ihm wohl schon das Zeichen gegeben, lasset uns niedersetzen und hören!"
(Im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der gebackene Kopf" von James Justinian Morier)
Der Scheik äußerte seinen Beifall über diese Erzählung. Er hatte, was in Jahren nicht geschehen war, einigemal gelächelt, und seine Freunde nahmen dies als eine gute Vorbedeutung. Dieser Eindruck war den jungen Männern und dem Alten nicht entgangen. Auch sie freuten sich darüber, daß der Scheik, auf eine halbe Stunde wenigstens, zerstreut wurde; denn sie ehrten seinen Kummer und die Trauer um sein Unglück, sie fühlten ihre Brust beengt, wenn sie ihn so ernst und stille seinem Grame nachhängen sahen, und gehobener, freudiger waren sie, als die Wolke seiner Stirne auf Augenblicke vorüberzog.
"Ich kann mir wohl denken", sagte der Schreiber, "daß diese Erzählung günstigen Eindruck auf ihn machen mußte; es liegt so viel Sonderbares, Komisches darin, daß selbst der heilige Derwisch auf dem Berge Libanon, der in seinem Leben noch nie gelacht hat, laut auflachen müßte."
"Und doch", sprach der Alte lächelnd, "und doch ist weder Fee noch
Zauberer darin erschienen; kein Schloß von Kristall, keine Genien,
die wunderbare Speisen bringen, kein Vogel Rock, noch ein
Zauberpferd—"
"Ihr beschämt uns", rief der junge Kaufmann, "weil wir mit so vielem Eifer von jenen Märchen unserer Kindheit sprachen, die uns noch jetzt so wunderbar anziehen, weil wir jene Momente aufzählten, wo uns das Märchen so mit sich hinwegriß, daß wir darin zu leben wähnten, weil wir dies so hoch anschlugen, wollet Ihr uns beschämen und auf feine Art zurechtweisen; nicht so?"
"Mitnichten! Es sei ferne von mir, eure Liebe zum Märchen zu tadeln; es zeugt von einem unverdorbenen Gemüt, daß ihr euch noch so recht gemütlich in den Gang des Märchens versetzen konntet, daß ihr nicht wie andere vornehm darauf, als auf ein Kinderspiel, herabsehet, daß ihr euch nicht langweilt und lieber ein Roß zureiten oder auf dem Sofa behaglich einschlummern oder halb träumend die Wasserpfeife rauchen wolltet, statt dergleichen euer Ohr zu schenken. Es sei ferne von mir, euch darum zu tadeln; aber das freut mich, daß auch eine andere Art von Erzählung euch fesselt und ergötzt, eine andere Art als die, welche man gewöhnlich Märchen nennt."
"Wie versteht Ihr dies? Erklärt uns deutlicher, was Ihr meinet.
Eine andere Art als das Märchen?" sprachen die Jünglinge unter sich.
"Ich denke, man muß einen gewissen Unterschied machen zwischen Märchen und Erzählungen, die man im gemeinen Leben Geschichten nennt. Wenn ich euch sage, ich will euch ein Märchen erzählen, so werdet ihr zum voraus darauf rechnen, daß es eine Begebenheit ist, die von dem gewöhnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem Gebiet bewegt, das nicht mehr durchaus irdischer Natur ist. Oder, um deutlicher zu sein, ihr werdet bei dem Märchen auf die Erscheinung anderer Wesen als allein sterblicher Menschen rechnen können; es greifen in das Schicksal der Person, von welcher das Märchen handelt, fremde Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten, ein; die ganze Erzählung nimmt eine außergewöhnliche, wunderbare Gestalt an und ist ungefähr anzuschauen wie die Gewebe unserer Teppiche oder viele Gemälde unserer besten Meister, welche die Franken Arabesken nennen. Es ist dem echten Muselmann verboten, den Menschen, das Geschöpf Allahs, sündigerweise wiederzuschöpfen in Farben und Gemälden, daher sieht man auf jenen Geweben wunderbar verschlungene Bäume und Zweige mit Menschenköpfen, Menschen, die in einen Fisch oder Strauch ausgehen, kurz, Figuren, die an das gewöhnliche Leben erinnern und dennoch ungewöhnlich sind; ihr versteht mich doch?" "Ich glaube, Eure Meinung zu erraten", sagte der Schreiber, "doch fahret weiter fort!"
"Von dieser Art ist nun das Märchen; fabelhaft, ungewöhnlich, überraschend; weil es dem gewöhnlichen Leben fremd ist, wird es oft in fremde Länder oder in ferne, längst vergangene Zeiten verschoben. Jedes Land, jedes Volk hat solche Märchen, die Türken so gut als die Perser, die Chinesen wie die Mongolen; selbst in Frankenland soll es viele geben, wenigstens erzählte mir einst ein gelehrter Giaur davon; doch sind sie nicht so schön als die unsrigen; denn statt schöner Feen, die in prachtvollen Palästen wohnen, haben sie zauberhafte Weiber, die sie Hexen nennen, heimtückisches, häßliches Volk, das in elenden Hütten wohnt, und statt in einem Muschelwagen, von Greisen gezogen, durch die blauen Lüfte zu fahren, reiten sie auf einem Besen durch den Nebel. Sie haben auch Gnomen und Erdgeister, das sind kleine verwachsene Kerlchen, die allerlei Spuk machen. Das sind nun die Märchen; ganz anders ist es aber mit den Erzählungen, die man gemeinhin Geschichten nennt. Diese bleiben ganz ordentlich auf der Erde, tragen sich im gewöhnlichen Leben zu, und wunderbar ist an ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der nicht durch Zauber, Verwünschung oder Feenspuk, wie im Märchen, sondern durch sie selbst oder die sonderbare Fügung der Umstände reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird."