Wie es Herrn Schwan, Frau Jensen und Herrn Meibum erging
Herrn Schwans Glück bestand darin, daß er in der Lotterie gewann, wenn auch nicht das große Loos, doch so viel, um zufrieden sein zu können, so viel, daß er auf seine alten Tage genug hatte: er gewann 25.000 Thaler. Wir erinnern uns noch seines Scherzes in der Zeitung, in die er einen Artikel unter der Überschrift »Genie und blinder Lärm« hatte einrücken lassen; man nannte seinen Scherz eine gute Idee, und eine solche wurzelt stets in der Wirklichkeit. Jene Geschichte von den beiden Brüdern, von denen der eine ein Alltagsmensch war, dem es gut ging, und der andere ein Genie, dem es schlecht ging, bis er zuletzt in einer Krankheit für das vom Bruder erbetene und erhaltene Geld ein Loos gekauft und das große Loos gewonnen hatte, – dies alles hätte eben so gut zwischen Herrn Schwan und seinem Bruder, dem »General« stattfinden können. Es war nicht geschehen, aber es hätte geschehen können; dieses eigentümliche Verhältnis brachte Herrn Schwan auf die Idee, die nach einigem Schwanken zur Ausführung kam. Zwei Jahre lang hatte er nur die Illusionen, die schöne Phantasie-Komödie, in der sich unsere Hoffnungen paaren; das Loos war das Billet zur Vorstellung, die so endete, wie ein Lustspiel enden soll, mit unerwartetem Gelde. Die 25,000 Thaler wurden gewonnen und brachten tausend Thaler Zinsen; sie fielen, wie in jenem Scherz geschrieben stand, einem verkannten Genie zu. So geht es in der Wirklichkeit, und nun wird man s«ine anhaltende gute Laune verstehen.
Der Erste, der sein Glück erfahren sollte, war sein Pathe Niels Bryde, der gerade in demselben Augenblicke wie ein Freund in der Noth vor Frau Jensen stand. Sie hatte sich an ihn in einer wahren Lebensfrage gewandt, die durch ihre Magd Anna Sophie aufgeworfen worden war. Diese hatte sich nämlich verheirathet, nicht mit dem Hausknecht, sondern mit einem andern Burschen, der auch nichts taugte, und deshalb hätte sie ihn verlassen und eine »feine Kondition« angenommen. Sie wäre ja noch jung, wäre aber doch Mormonin geworden und wollte nun auch Frau Jensen dazu bestimmen, es zu werden. Dieser kam der neue Glaube in der That vielversprechend vor. Die Welt sollte ja, wie es hieß, in zehn Jahren untergehen; die Mormonen würden die Einzigen sein, die am Leben blieben, und bekämen dann das Ganze. Deshalb gingen jetzt schon viele nach Amerika, wo diese Religion ihre Königsstadt hätte, und drüben wüchse sowohl Kaffee wie Zucker. Alle Arbeit würde dort von schwarzen Menschen verrichtet, auch besäße man gemeinschaftliches Vermögen, und die reichsten Familien wären Mormonen. Dies wäre sehr einladend, und Frau Jensen hätte große Lust, Anna Sophie zu begleiten, aber nun hätte ihr der Krämer gesagt, es wäre kein wahres Wort daran, es gäbe daselbst im Gegentheile viel Widerliches: die Männer hätten mehrere Frauen, und der Bischof sogar fünfzig. Frau Jensen erachtete dies für sehr unmoralisch, und der Krämer hätte es ihr gedruckt gezeigt. Anna Sophie hätte jedoch gemeint, man sähe ja, daß es gar nicht anstößig sein könnte, denn das Gesetz könnte den Mormonen ja nichts anhaben und sie hätten die richtige Bibel, die schon viele tausend Jahre vor der unsrigen gedruckt wäre. – Nun sollte Herr Bryde sie aufklären, denn, wie sie sagte, wäre sie jetzt ganz verwirrt im Kopfe. Niels Bryde hielt es mit dem Krämer und machte ihr dessen Worte einleuchtend. Herr Schwan ergriff gleichfalls seine Partei, erzählte von seinem Glück in der Lotterie und gab der Frau Jensen den Rath, lieber zu dem Lotterie-Collecteur zu gehen, als ihr Glück im Lande der Mormonen zu suchen. Dies machte so großen Eindruck auf sie, daß sie wirklich ein Loos kaufte und Anna Sophie einen Antheil an demselben überließ. Sie gewannen nicht, reisten aber auch nicht, denn sie konnten doch nicht nach Amerika übersiedeln, ehe sie wußten, ob die Nummer herauskäme.
Niels Bryde hielt Herrn Schwans Erzählung von seinem Gewinne lediglich für eine Erfindung seiner guten Laune; aber das Geld wurde ausgezahlt, und das Gerücht von seinem Glücke lockte glückwünschende Bittsteller herbei. Zu diesen muß ein Jugendfreund von ihm gerechnet werben, »der nicht in der Lotterie gewonnen hatte« und sich brieflich an ihn wandte. Er verlangte kein Geld, sondern nur einen Besuch im Hospital, falls nicht das Glück den einst gutmüthigen Herrn Schwan übermüthig gemacht hätte. Der Brief rührte von Herrn Meibum her, jenem Herrn, der einmal das große Picknick gegeben hatte, in den letzten Jahren aber zurückgekommen war. Das hatte sein fadenscheiniger, ordentlich blank glänzender Rock, seine schiefen, schmutzigen Stiefel und sein eingedrückter Hut zur Genüge verrathen. Etwa vor zwei Jahren hatte er Herrn Schwan zum letzten Male auf der Straße angehalten und eine Mark von ihm geliehen. »Ich bin kein Trinker,« hatte er gesagt, »aber ich bin arm, dagegen läßt sich nichts thun. Ich habe ärmliche Kleider mit großen Flecken; um diese hinwegzubekommen, kaufte ich Branntwein. Ich wandte ihn nur äußerlich an, lediglich der Flecke wegen, und sie gingen auch aus; aber der Branntweingeruch blieb, und dieser ist es, der mich in diesem Augenblicke Lügen strafen wird. Hätte ich Wein getrunken, daß ich berauscht wäre, so würde ich nicht nach Branntwein riechen!«
Er war es, den Herr Schwan im Hospital besuchen sollte. »Zu dem dortigen high life will ich dich nicht einladen,« sagte er zu Niels Bryde und begab sich nach der großen widerlich aussehenden Menschenarche hinaus.
Er traf daselbst gerade zur Essenszeit ein. Die Bewohner holten ihr Essen in Tellern und Krügen; kränkliche, schattengleiche Gestalten schritten an ihm vorüber. Er glaubte einzelne unter ihnen wiederzuerkennen, die er früher geputzt und sicher auftretend gesehen hatte; alle zeigten die schäbige Seite des Lebens. Er kam über einen Gang, auf den man eines jeden mitgebrachte überflüssige Möbel gestellt hatte. Er war von ihnen so vollgepropft wie ein Möbelwagen an einem Ziehtage. Von ihm aus trat er in den Wohnsaal. Bett stand hier an Bett, und neben jedem befand sich ein kleiner Schrank, der als Speisekammer, Keller und Garderobe diente, so wie ein Holzschemel. Der Saal war nur für Männer bestimmt; einer saß da und flickte seine Kleider, ein anderer las, ein dritter schnitt sich ein Butterbrot. Herr Meibum stand nachdenklich da oder dachte vielleicht auch nicht nach. Sein eines Auge war blutunterlaufen; nach seiner Behauptung wäre er schwindlig geworden und hätte sich an dem Eßschranke gestoßen. Auf diesem lag ein Stoß schmieriger Manuscripte, ein Packet eingebundener Lustspiele, etwas Preßkopf und daneben stand ein Schnapsglas voll Tinte.
»Sie, Kind des Glückes!« rief Herr Meibum. »Der Besitzer von fünfundzwanzigtausend Thalern beehrt mich mit seinem Besuche!« Dies wurde so laut, so stolz gerufen, daß sich alle Köpfe im Saale nach Herrn Schwan hinwandten, das Buch in den Schoos sank, der Lappen nicht aufgenäht, das Butterbrot nur halb geschmiert wurde. Es war, als ob Pluto, der Gott des Reichthums, aus dem Lustspiele des Aristophanes in das Hospital hinabgestiegen wäre.
»So weit habe ich es gebracht!« sagte Herr Meibum bitter lächelnd. »›Das ist das Loos des Schönen hier auf Erden‹, aber jetzt sind wir ja schon im letzten Acte. Camoens hatte es nicht so gut; er empfing keinen solchen Besuch, wie er mir heute zu Theil wird!«
Herr Schwan fühlte sich in dieser Umgebung durch den Gedanken gedrückt: »Wenn meine Zukunft eben so geworden wäre! Weshalb geht es mir besser, mir, der ich doch nicht mehr ausgerichtet habe als er?« Prüfende Gedanken tiefen Ernstes erfüllten seine Seele, und während sie sie durchwogten, befand er sich in einer Stimmung, die ihn unfähig machte, Herrn Meibum Geld anzubieten. Das sollte derselbe aber doch bekommen, und deshalb versuchte Herr Schwan, es auf einem Umwege anzufangen. »Die Welt,« sagte er, »ist eine reine Komödie! Hätte ich Ihre Rolle erhalten und Sie die meinige, säße ich hier und hätte an Sie geschrieben, und sie wären hierher gekommen und hätten mir irgend eine Freude bereiten wollen, ich würde es dankbar angenommen haben. Sie möchten vielleicht Lust haben, einmal das Theater zu besuchen, oder sich Eines oder das Andere, irgend eine Annehmlichkeit anzuschaffen; und ich würde mich durch das Anerbieten einer Gabe nicht verletzt gefühlt haben – – von einem Freunde!« Bei diesen Worten drückte er Herrn Meibum einige Speciesthaler in die Hand. Dieser streifte sofort alles überflüssige Zartgefühl ab, indem er sagte: »Ich bin so tief gesunken, daß Sie mir anbieten können, was Sie wollen!«
Das Gespräch verlief nicht angenehm. Herr Meibum schwadronirte und endete mit der Erklärung, Herrn Schwan seine dramatischen Manuskripte, die ein reicher Mann unter seinem Namen leichter als er zur Veröffentlichung bringen könnte, abtreten zu wollen. Darauf ließ sich Herr Schwan nicht ein, und als er ging, hallte es durch den ganzen Saal: »Leben Sie wohl, mein geehrter alter Freund! Gratulire zu den fünfundzwanzigtausend Thalern!«
Dieser Besuch war Herrn Schwan nützlicher als eine Predigt. Er empfand sein Glück, die Gnade, die ihm widerfahren war. Das Lotterieloos und Herrn Meibums Brief dienten ihm als Erinnerungsblätter gegen die schlechte Laune. Und hiermit können wir Herrn Schwan verlassen, der auf seiner Dachstube blieb, sich aber, um es im Winter gemüthlich und warm zu haben, eine Fußdecke und Doppelfenster anschaffte. Im Sommer hatte er das Meer vor sich, auf dem die ganze Welt zu ihm kam.
Aber wir müssen zu Niels Bryde zurückkehren!