Rasch spornt er seinen Zelter
Im Dämmersonnenlicht; – –
Die Locken flattern prächtig,
Weit hin sein Auge trug.
Wie scheint er kühn und mächtig
In seinem Adlerflug.
H. P. Holst.
Hab' ich doch einen Tag gelebt, einen Tag, wie du dir nie einen gewähren noch erschaffen kannst! Hab' ich doch den Traum eines lustigen Tages gehabt, kurz und anmuthig wie ein Frühlingsmorgen, ein Champagnerrausch! Aber dann – –
Cavalierperspektive.
Das Haus des Barons, in welchem Naomi sich aufhielt, war ein reiches Haus. Alle galten sie für Patrioten und fanden, daß Naomi es nicht sei, und doch würde jedes Landes Armand Carrel sie für die Tauglichste von Allen erklärt haben, unter des Zeitalters Freiheitsfahne als Recrut zu dienen. Es wurde viel gelesen und doch beschränkte sich die Bekanntschaft mit der Literatur des Landes auf den Adreßkalender und die originalen Stücke, welche die Familie an ihren Abonnementsabenden im Theater zu sehen bekam. Dagegen hörte man immer mit Begeisterung von einem oder dem andern englischen Romane sprechen. »O, der ist ganz superb!« hieß es dann und doch stand er weit unter dem, was unsere eigene Literatur hervorbrachte. Man erinnerte sich nicht, daß Alles in der Welt Naturgesetzen unterworfen ist, so auch der Dichter. Seine Berühmtheit hängt nicht von der Vortrefflichkeit seiner Werke ab, sondern von seines Vaterlandes Größe; diese und seine eigne Größe werben mit einander multiplicirt und das Vaterland ist immer ein Zehner. Die Familie war sehr religiös, das heißt, man ging gern in die Kirche und hörte, wen der Hof hörte. Naomi dagegen war eine ganze Ketzerin. Wie in unserer Zeit der Künstler Adam es gewagt hat, dem Willen der Pariser Geistlichkeit zum Trotz, das Pantheon mit Voltaire und andern Heiligen des Geistes zu schmücken, so brachte sie statt der frommen Bilder Genoveva und der Legenden, in dem Tempel ihrer Religion Sokrates neben Paulus, Mohammed neben Zoroaster an. Hübsch, aber noch mehr bizarr fand man Naomi. Daß sie Alle ihr Geschlechtsregister kannten, war ziemlich gewiß und so fehlten ihr ein paar Nullen hinter dem Nennwerthe. Alles war indeß Höflichkeit, die feine, eiskalte Höflichkeit, so glänzend und blank, daß eine eigentliche Opposition nicht möglich war. Hatte Naomi aus einem oder dem andern berühmten Geschlecht gestammt, so dürfen wir mit Sicherheit glauben, daß sie Werth darauf gelegt haben würde, wie es ja immer ein angebornes Gut ist, zu einer Familie zu gehören, welche Auszeichnungen vor andern verdient hat. Sie würde kaum jene Adeligen nachgeahmt haben, von denen die Geschichte erzählt, daß sie begeistert von der ersten Revolution Frankreichs ihren Adel aufgaben und einfache Bürgerliche sein wollten. So aber huldigte sie dem Muthe derselben und erklärte, daß sie erst hierdurch ihren Geistesadel bewiesen. Würde der alte Joel in den Salon zu ihr und den adeligen Fräulein getreten sein, würde sie vielleicht jetzt den Stolz gehabt haben zu sagen: »Ich kenne ihn.«
Ein dänischer Schriftsteller hat bereits darauf aufmerksam gemacht, daß es in Dänemark so viele Kammerjunker gebe, daß, wenn ein Däne nach Hamburg komme und man im Hotel seinen Titel nicht kenne, man ihn Kammerjunker nenne, da dies gewöhnlich zutreffe. Hier ins Haus kam fast diese ganze Kaste und Einer war darunter, der mit Rücksicht auf Naomi mit ganz eignen Augen angesehen wurde, nämlich als ihr erklärter Anbeter, das heißt, er machte alle Krümmungen, welche A bezeichnen, aber sie wollte nicht B sagen. Es war ein Holsteiner, also ein Deutscher, und das mit Leib und Seele. »Darum könne man ihn nicht tadeln,« meinte Naomi, »die Sprache, nicht die politische Grenze oder Flüsse und Berge seien es, welche die Nationen scheiden. Im Norden bleiben Norwegen und Dänemark Bruder und Schwester, Schweden ist ein Halbbruder, Deutschland ein Vetter und England ein entfernter Verwandter.«
Der Vater des Kammerjunkers war kürzlich Jubilar geworden. »Das,« meinte Naomi, »könnten Alle, welche nichts Anderes gethan, als daß sie der liebe Gott nicht haben wollte.« Aber dergleichen durfte sie nicht sagen.
Im Februar kam von Schweden eine Kunstreitergesellschaft, die schon im Mai nach Wien gehen wollte. Der Kammerjunker nahm eine Loge und lud die ganze Familie ein. Fräulein Emma war besonders passionirt für Pferde. Alle vierzehn Tage gab sie zwei Reichsthaler aus, um eine Tour mit einem königlichen Bereiter zu reiten. Niemand konnte deshalb vergnügter über die Einladung sein als sie. Als Duenna für die vielen jungen Damen, die der Kammerjunker in seine Loge führte, diente seine Tante, Gräfin Höhn, welche nach der von vielen aus der hohen Gesellschaft angenommenen Sitte statt des Titels dem Namen die Endung en hinzufügte und Höhnen hieß. Unter ihr Portrait hätte man mit Fug Le Sages Wort setzen können:
» C'est la perle des duègnes, un vrai dragon pour garder la pudicité du sexe.«
Der Kammerjunker sprach seinen Wunsch aus, ein Schauspiel zu sehen; was man auf unserm Theater gab, hatte er besser in Hamburg gesehen, diesem eigentlichen Nordcap unseres civilisirten Europa.
Mit welcher Schnelligkeit rollte der Wagen durch die winterlichen Straßen. Die Wagenräder drehten sich viele hundertmal und mit diesen die Schicksalsräder. Wäre doch der Wagen umgeworfen worden, daß die Damen einen kleinen Schreck bekommen und Naomi den Arm gebrochen hätte. Ja, das wäre ein schreckliches Unglück gewesen. Aber wann hörte man je, daß ein Unglück mit einem Delinquenten geschehen wäre, während er zur Richtstätte fuhr? Nie gehen da die Pferde durch, nie bricht eine Achse.
Der Zuschauerraum war sehr gut besetzt. Das Orchester spielte eine von den leichten, hinschwebenden Melodien, welche beim ersten Anhören auf uns wirken, wie der Anblick der hübschen Balldame selbst, wenn sie eintritt: Alles ist frisch, lebensfroh und schwebend; aber später – da gleicht sie ebenfalls der Balldame nach einer durchtanzten Nacht – die Frische ist fort.
Prächtige Hengste wurden vorgeführt. An dem ersten Ritt betheiligten sich noch nicht die Ausgezeichnetsten der Truppe, aber Naomi hatte genug gesehen, um zu wissen, daß es dieselben Kunstreiter waren, die sie in Odense gesehen. Sie griff nach dem Zettel und fand Ladislaus' Namen.
Die Dame mit der wehenden Feder stand bereits auf dem Pferde und schwang die Fahnen in ihrer Hand. Es war Naomi, als wenn sie nur die Augen geschlossen und einen kurzen Traum geträumt hatte, seit sie sie zum letzten Male gesehen. Es waren dieselben Bewegungen, es war dasselbe Lächeln und zu derselben Musik wie das letzte Mal, und doch war die Dame seit jener Zeit in Stockholm und Petersburg gewesen. Noch in diesem Sommer sollte sie zur selben Musik dieselben Fahnen vor den liebenswürdigen, lustigen Wienern schwingen. »O, welch' ein glückliches, abwechslungsreiches Leben! Wie herrlich muß es sein, sich immer in fremden Ländern umherzutummeln, immer Neues zu sehen! Nie zurückzukommen, um zu bleiben. Zurückkommen! das bedeutet auch in unserer Sprache nichts Gutes: Nun ist er zurückgekommen!«
Die Trompeten erklangen, die Schranken öffneten sich und Ladislaus jagte auf einem stolzen Rappen in die Bahn. Er grüßte, wie ein Herr seine Vasallen grüßt. Er war in polnischer Tracht, ein dunkler Besatz von Bärenfell schloß sich um die Mütze, aber sein eignes Haar trat nur noch schwärzer hervor. Jede Spur von Kränklichkeit war verschwunden, aber das Blut leuchtete doch nicht durch die Wangen, eine dunkle Broncefarbe ergoß sich über die stolzen Züge. Ernst und Schärfe des Gedankens lag in den dunkeln Augen.
Sobald er auftrat, hatte der hübsche, jugendkräftige Mann das volle Interesse des gemischten Publikums für sich; das hörte man an dem Gemurmel der Bewunderung. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf das Pferd gerichtet, nicht ein Blick fiel auf die Zuschauer. Nun durchschwebte er in wildem Flug die Bahn, spielte in der Luft mit scharfen Säbeln und machte die verwegensten Sprünge. Alles erschien wie ein Spiel, es war, als ob er und das Pferd ihre Künste nur zu gegenseitigem Vergnügen machten. Der Reiter entwickelte eine Verwegenheit, welche ängstigte, während seine Geschmeidigkeit und seine Muskelkraft dem Ganzen den Charakter eines Spieles verlieh. Man betrachtete ihn mit der Ruhe, womit man den Vogel betrachtet, der sich über eine schwindelnde Tiefe hinbewegt. Wir wissen, daß ihn seine Schwungkraft nicht im Stiche lassen wird.
Mehr als eine Frau legte ihre feine Hand vor das Auge, während der Haufe ihm Beifall jubelte. Naomi bog sich vor über die Schranken; ihre Augen funkelten, er war der erste Mann, den sie mit Bewunderung betrachtete, der Erste, zu dem sie mit dem Gefühle aufsah, daß er ihr in Etwas überlegen sei.
Nach Ladislaus zeigten Andere ihre Künste, aber Keiner war so hübsch wie er, Niemand so keck und kühn er beschloß die Vorstellung als Mazeppa, indem er auf des Pferdes Rücken ausgestreckt, den Kopf nach unten, in wilder Flucht wie der Kosakenhäuptling über die ungeheuren Steppen jagte.
Es war ein herrlicher Abend. Selbst der Kammerjunker war interessant, er sprach nur von Ladislaus. Die ganze Nacht träumte Naomi von – Christian. Das sei auch Einer, von dem man träume, meinte sie, und dachte ordentlich mit einer Art von Bitterkeit an ihren Jugendfreund.
Ein paar Tage später erzählte Fräulein Emma, daß einige Damen von Stand bei Ladislaus Reitunterricht nehmen wollten.
»Ich bin dabei!« sagte Naomi und da die älteste Tochter des Hauses mit von der Partie war, konnte es Naomi nicht gut versagt werden. Der Kammerjunker meinte freilich, die Landstreicher hätten zu viel Glück.
Das Jahr 1820 war für Dänemark ein ereignißreiches. Die Staatsschuld bekam einen Leck. Doctor Dampe mit einigen unruhigen Köpfen wollte dem Staatsschiff einen Leck beibringen. Meinungsstreitigkeiten entwickelten sich in Religionsangelegenheiten und jede von diesen Parteien fand einen Leck bei der Gegenpartei. Unter so vielen und so großen Lecken dürfen wir nicht von dem sprechen, welchen Ladislaus in so manchem weiblichen Herzen verursachte, ein solcher ist für die Staatsmaschine, was der Wassertropfen für das Mühlenrad. Indessen war Ladislaus seiner großen Macht sich bewußt, wenn er auch nicht das Mindeste von diesem Bewußtsein merken ließ. In den Unterrichtsstunden war er der chevalereskeste, aber auch der stummste Lehrer; seine Worte beschränkten sich auf das Nothwendigste, was zur Belehrung diente. Nur ein einzig Mal sah man ein Lächeln um den hübschen Mund spielen, den ein dunkler Bart beschattete, und da leuchteten auch seine dunkeln Augen auf. Emma fand, daß in diesem Ausdruck etwas Böses liege, während Naomi meinte, es spreche sich ein geheimer Schmerz darin aus. Wie dem nun war, er wurde ihnen auf die Art, wie er sich gab, weit interessanter, als wenn er die Beredtsamkeit eines Mirabeau besessen hätte.
Keine von den weiblichen Eleven konnte mit Naomi an Gewandtheit und entschiedenem Talent, eine vorzügliche Reiterin zu werden, verglichen werden; aber keine von den Andern war auch wie sie früher, frei und ohne Sattel durch Feld und Wald gejagt.
In der Vorzeit ritzte man hier im Norden Liebesrunen in einen Apfel und die, in deren Schooß der Äpfel fiel, wurde von heftiger Liebe ergriffen. Aber es können Runen in mehr als in einen Apfel geritzt werden: auf der Stirne, im Lächeln um den Mund und um das Auge können Runen stehen, sagt der Dichter. [Fußnote] Ein Händedruck, ein Blick kann der Apfel sein, woraus der, der schon ergriffen ist, das Gift saugt.
Wenn man zum ersten Male liebt, sieht man die Welt durch ein prismatisches Glas: auf jeder scharfen Ecke, aus jeder Begrenzung ruht die siebenfarbige Hoffnung. Der Alltagsmensch bekommt poetische Gedanken und der Dichter gibt uns seine begeistertsten Lieder.
Ein zweiundzwanzigjähriger Mann, der für ein Mädchen von achtzehn Jahren bereits interessant ist, braucht nur ein paar Tage, um von ihr geliebt zu werden.
Um die Mitte des April gaben die Kunstreiter ihre letzte Vorstellung. Noch war der Zuschauerplatz nicht offen. Zwei von den Stallknechten standen im Stalle und waren mit den Pferden im Eckstande beschäftigt. Bei dem hübschen Hengst, den Ladislaus gewöhnlich ritt, sah man den athletischen hübschen Mann selbst mit dem broncefarbenen Gesichte. Die rabenschwarzen Augenbrauen zogen sich über den dunkeln Augen zusammen. Noch war er in seinen gewöhnlichen Kleidern, der kurzen Jacke und den gelben Lederbeinkleidern, die jede Muskel schön hervortreten ließen. Seine linke Hand ruhte auf des Pferdes Bug und hob sich schön von ihm ab; sie war stark und doch edel geformt. Ladislaus las einen Brief; es war nur ein ganz kleines Stück Papier, aber es war rosenroth mit Goldschnitt und eine bunte Oblate klebte noch daran. Man sah deutlich, daß der Brief von einer Dame war, deshalb spielte wol auch das feine Lächeln um seine Lippen.
Die Kunstforscher unserer Zeit wollen behaupten, daß mehrere der vorzüglichsten Bildwerke der alten Zeit bemalt gewesen. Die Einwendung, daß durch die Bemalung das Bild das Steife im Ausdruck erhalte, das sich bei Wachsfiguren findet, beantworten sie damit, daß im Allgemeinen eine Wachsfigur kein wahres Kunstwerk sei; sobald sie sich zu diesem Rang erhebe, dann seien auch die Farben von erhöhter Wirkung für die meisterhaft gegebenen Formen. Ob sie Recht haben oder nicht, wissen wir nicht, es ist auch nur die gegebene Idee, an die wir uns hier halten wollen. Wir wollen uns den vatikanischen Apollo ebenso künstlerisch bemalt als geformt denken, die Gesichtsfarbe bronceartig, wie Napoleon sie hatte und das Auge dunkel und sprechend, wie bei den Söhnen Arabiens, dann haben wir ein Bild von Ladislaus.
Es war die letzte Vorstellung, die die Kunstreiter gaben, also der letzte Abend, an dem man sie sah. Die Familie des Barons hatte zwei Logen. Naomi und Fräulein Emma fehlten nicht.
Es wurde ein Turnier gegeben. Ladislaus, ritterlich costümirt, trat in die Schranken, er grüßte mit der Lanze und grüßte gerade nach der Loge, wo Emma und Naomi saßen; sie waren ja seine Eleven. Emma erröthete, Naomi lächelte nur.
Welche Träume hatte Emma in der folgenden Nacht! Naomi hatte ihre Träume dagegen sicher erst in der zweiten Nacht, recht lange Träume, denn es war schon gegen zehn Uhr und noch erschien sie nicht beim Theetisch. Das Mädchen rief, fand jedoch kein Fräulein, dagegen einen Brief, der eine leichte Entschuldigung enthielt, eine Art Bitte, man möge nicht erschrecken, daß sie gestern Abend nach Fühnen gereist sei. Es sei mehr als eine blose Laune, schrieb sie. Die Notwendigkeit zwinge sie dazu und sie würden mit nächster Post einen Brief bekommen, der sie über das Ganze aufkläre.
Man war aufs Höchste erstaunt; man schrieb noch am selben Tage einen Brief an die alte Gräfin und unterrichtete sie von der seltsamen Abreise. Im Uebrigen war man nicht unruhig; es stimmte ganz zu Naomi's Charakter, plötzlich den Gedanken zu fassen, nach Fühnen zu reisen, und ihn sofort auszuführen.
Einige Tage darauf traf ein Brief von der alten Gräfin ein; sie war sehr erschrocken, denn es war keine Naomi bei ihr eingetroffen, nicht einmal ein Schreiben hatte sie von dem bösen Kinde erhalten.
Es war, wie gesagt, in der Mitte des April. Der Frühling war im Anzug und die Störche mußten kommen. Ja, der Storch, das ist ein seltsamer Vogel. Wenn er vom Süden zu uns kommt, fühlen wir Lust, dahin zu reisen, woher er kommt. Der warme Sonnenschein lockt uns aus der Stube, wir wollen sehen, wie groß die grünen Knospen auf den Bäumen sind, wir gehen hinaus auf die Straße. Der Kopenhagener geht ans Meer und sieht, wie die Schiffe dahin fliegen. Das Dampfschiff läßt seine schwarze Rauchsäule aufsteigen, die Räder rauschen und das Schiff fliegt; man wird wehmüthig vor Sehnsucht, seltsam wehmüthig. Es mag der Eine und Andere wohl sagen: »Ich habe es gut genug zu Hause!« Aber man reist nicht, um es gut zu haben, man lebt nicht, um es gut zu haben! Aber das begreift der gute Mann nicht. Das Dampfschiff eilt dahin, vorbei segeln die stolzen Segelschiffe.
Gutzkow sagt in seiner Wally: »Für die schalen Gemüther ist nichts genialer, als sich selbst zu zeichnen, wie sie sind; ihre Tante, ihre Katze, ihren Shawl, ihre kleinen Sympathien, ihre Schwachheiten. Es gibt Kritiker und Literaten, die sich nur für das Copiren der Wirklichkeit enthusiasmiren können. Die Poesie ist jetzt Selbstbefruchtung. Die Wirklichkeit nährt sich von ihrem eignen bürgerlichen, überquellenden Fette.« Das Haus des Barons könnte uns eine große Ausbeute dieser Art geben, aber wir wollen nicht blos das Alltägliche aus dem Alltagsleben herausgreifen und müssen von dem Orte entfliehen, wo nur dies allein sich findet.
Naomi nahm sich die Freiheit, plötzlich zu reisen; wir wollen dasselbe thun, wir wollen auch von Kopenhagen fortreisen, es ist ja Frühling, das Dampfschiff ist segelfertig – aber es geht nicht nach Fühnen, wir können nicht Christian, Lucie oder eines von allen unsern Bekannten dort besuchen; über die Ostsee fährt das Schiff mit seinen zwei wasserspaltenden Rädern. Nun wohl! um der Originalität willen, wollen wir mitreisen. Eine oder die andere Ausbeute wird sich doch machen lassen. Etwas muß uns doch begegnen. Wir treffen die Abrede, daß wir nicht nach Dänemark zurückkehren, bis wir ein Abenteuer erlebt haben, das die Reise einigermaßen lohnt. Begegnet uns nichts, so bleiben wir draußen, kehren nie mehr zurück. Einen Bekannten, Christians Vater, den armen Schneider, haben wir ja im fremden Lande, vielleicht sendet er gerade in diesem Augenblicke Grüße heim nach Dänemark durch den Storch, der uns besucht.
Wir sind an Bord. Das Dampfschiff geht unter Segel.
Man sagt:
Was das Meer im Schooße birgt
Ist vergessen und verwirkt.
Nein, was die Oberfläche bewahrt hat, das ist ganz anders ausgelöscht und vergessen. Wenn das Kielwasser sich geschlossen, ist keine Spur mehr von des Schiffes Weg. Wie manches Antlitz würde nicht aus der Wasserfläche emporschauen, wenn ihr Spiegel den Eindruck von Jedem bewahrte, der hinunterschaute. Dann würde sie uns auch Ladislaus zeigen, sein stolzes, schönes Gesicht. Es sind ja kaum ein paar Tage, seit er mit der ganzen Truppe diesen Weg gesegelt. Die Gesellschaft war durch einen Dänen vermehrt, einen jungen Burschen, sicher nur fünfzehn Jahre alt, und doch beinahe zu alt, um diese Künstlerlaufbahn zu beginnen; aber zart und geschmeidig waren seine Glieder, aus dem Auge sprach Kraft und Entschlossenheit, ein feiner Schnurrbart kräuselte sich um die frischen Lippen. Man hieß ihn Herr Christian. Im Passe stand, daß er von Fühnen sei. Er hatte seinen Arm auf Ladislaus' Schulter gelegt. Arm in Arm standen sie, als sie sich Mecklenburgs Küsten näherten. Der Däne sah gegen Nordwest hin über das Meer, unsere schwimmende Alpenkette, die uns von dem vierzehn Tage zeitigeren Frühjahr trennt.
Ja, volle vierzehn Tage waren die Bäume und Felder voran, als die Landreise begann.
Der dänische Jüngling drückte einen Kuß auf Ladislaus' Lippen: »Dein!« sagte er, »ja, dein allein!«
Und Ladislaus lächelte: »Mein! – mein warst du schon draußen auf der See!« Und es war, als ob der dänische Jüngling erröthete, aber das Gesicht barg sich an Ladislaus, der den Kuß erwiderte.
»Mein warst du schon auf der See!« Ja, könnten die Wolken erzählen, daß wir sie verständen, dann erführe man sicher manche artigen Geschichten. Die Fische wissen Bescheid, aber sie wurden stumm erschaffen. Ueberall sieht man die Weisheit der Natur. Die Fische sind stumm, um nicht zu erzählen, was die Wellen plaudern, und die Würmer auf der Erde wurden stumm, um nicht zu erzählen, wie sich die Todten in den Gräbern langweilen. – – Auch wir wollen stumm sein und diese Worte nicht verdolmetschen.
Die Gesellschaft wählte den kürzesten Weg, sie ging also nicht über Lübeck nach Hamburg, sondern legte die Reise über die kleine Stadt Mölln zurück, bekannt wie Verona und Assisi durch ein Grab: hier ruht Eulenspiegel. Er soll mit dem Kopf in das Grab gestellt sein; eine Eule und ein Spiegel sind in den Stein gehauen. Einst stand hier ein Baum, in welchen jeder wandernde Handwerksbursche einen Nagel zur Erinnerung und als süße Hoffnung einschlug. Der Baum ist in den Kriegszeiten gefallen. Man verweilt bei dem Grabe. Selbst das Emblem: Eule und Spiegel ist ja ein Calembourg. Es ist Eulenspiegel wie Homer begegnet, man hat seine Existenz bezweifelt, gemeint, es stecken mehrere Personen unter diesem Namen. Wir wollen darüber jedoch nicht grübeln, sondern in Eulenspiegels Stadt weiter wandern und unsern Eulenspiegel, das heißt, Naomi aufsuchen.
Mölln ist eine alterthümliche, interessante Stadt. Wir treten in einer der schmalen Straßen in ein Haus mit dicken Mauern, einem Treppengiebel und wenigen schmalen Fenstern. In dem geräumigen Hauseingang, in den wir treten, steht der Wagen der Kunstreiter, der Wagen des Wirths und eine große Mange. Der Tisch ist gedeckt. Es sieht aus, als wenn alle Zimmer des Hauses, bis auf das Schlafzimmer in diesem einen, das man »Dile« nennt, vereinigt gewesen wären.
Die Truppe hatte, seit sie ans Land gestiegen, eine Reise von sechs Meilen gemacht, deshalb that man sich nun gütlich. Der Däne, Christian, wie man ihn nannte, saß zwischen Ladislaus und Josephine, der Dame, die wir bereits kennen, mit der wehenden Feder und den bunten Fahnen. Alles war lauter Lachen und Freude, selbst Ladislaus sah weniger finster und ernst drein, der stolze Blick war seltsam sprechend.
»Noch einmal die schöne Gegend!« sang Bajazzo und schwatzte von »Gefrorenem« und »gebackenen Händeln«. Alles im veritabeln Wiener Dialect, und da der dänische Christian von Müdigkeit, von Schlafen und Träumen sprach, da lachte Bajazzo, sah ihn an, nickte Ladislaus zu und sang im österreichischen Dialect:
A Trambiachl kaffa?
I wißt nit: zweg'n we;
I ha nur dan oanzig'n Tram:
Den woas i eh. [Fußnote]
Es steht in der heiligen Schrift eine Geschichte vom Erlöser im Tempel. Man führte eine Frau vor ihn, die gefehlt hatte; sie sollte verurtheilt werden, und er forderte den, der ohne Schuld sei, auf, den ersten Stein auf sie zu werfen, da schlichen sich alle fort. Laßt uns daran denken, indem wir in dem dänischen Christian Naomi erkennen, laßt uns an ihre Erziehung, ihre Umgebung und namentlich an ihre Anschauungen denken.
Sie war allein mit Ladislaus.
»Ich habe viel für dich gethan!« sagte sie mit einer Wehmuth in der Stimme, die nie früher darin gelegen hatte. »Wirst du es je vergessen?«
»Du wirst mich dann wol daran erinnern,« antwortete er mit einem Lächeln.
»Nein, nie!« versetzte sie, »welches Ende es auch nehmen mag. Ich habe mit freiem Willen gehandelt. Ich ertrug die Menschen um mich her nicht, ich achtete sie nicht. Dich liebe ich! Du kannst mich verwunden, ich liebe dich doch! Wie ein Fieber kocht es in meinem Blute, aber nie habe ich mich glücklicher gefühlt. Ein langes, einförmiges Leben mit guten Tagen, wie sie es nennen, widert mich an. Lieber kurz leben, aber leben!«
»Viele Frauen haben mich geliebt!« sagte Ladislaus, »ich werde dir wunderliche Geschichten erzählen. Es ist nicht viel am ganzen Geschlecht. Aber du bist mehr Mann als Weib, darum mag ich dich leiden! Ja, ich liebe dich, daß ich eifersüchtig werden könnte! Deine Fehler kenne ich noch nicht, aber ehe wir nach Wien kommen, haben wir einander wol studirt. Hübsch bist du! Glühend wie ein Weib es sein soll, und Gedanken hast du wie ein Mann.« Er küßte ihre Lippen und Stirn. »An meiner Brust mußt du an Madonna glauben, vor ihr mußt du dich beugen!«
Naomi schlang ihre Arme um ihn und erwiderte seinen Kuß. »Deine Frau muß für's Erste noch ein Bärtchen tragen!« sagte sie mit einem Lächeln. »Als der dänische Christian scheue ich mich nicht, mein Pferd zu tummeln. Aber du wirst immer größeres Glück machen als ich, darum könnte ich dich beneiden.«
»Und ich,« antwortete er, »würde es dir wahrscheinlich nicht vergeben, wenn du mehr Beifall gewönnest, als ich.«
Man hörte Tritte auf dem Gang. »Es sind Hochzeitsgäste,« sagte der Kellermeister; »morgen wird hier in der Stadt eine prächtige Hochzeit gefeiert. Die Fremden sind aus Lübeck; es sind ein paar Seeleute darunter.«
Als Naomi später mit dem Lichte in der Hand über den Flur ging, begegnete ihr einer der Gäste, ein kleiner vierschrötiger Mann mit jovialem Gesicht; er freute sich gewiß auch auf das Hochzeitsfest am nächsten Morgen. Er hatte sein Licht in der Hand und kam gerade auf Naomi zu. Der Luftzug blies sein Licht aus, aber sie hatte genug von ihm gesehen, um den Mann zu erkennen; es war Peter Wik. Das Blut stieg ihr in die Wangen, aber sie tröstete sich, daß er sie unmöglich erkannt haben könne. Wie sollte er auch darauf kommen, ein Kopenhagener Fräulein als Kunstreiter verkleidet und mit einem Schnurrbart hier in der guten Stadt Mölln zu sehen. Rasch ging sie ihm entgegen, zündete sein Licht an und war noch so keck zu sagen, daß sie an seinem Deutsch höre, daß er kein Eingeborener sei.
Peter Wik lachte und schlug ihr vertraulich mit einem: »Gute Nacht, Bruder!« auf die Schulter.