Sie verstand den schüchternen Blick und sagte: "Komm nur, Wiseli, wir gehen nicht weit, es geht schon so."
Dann nahm sie schnell Abschied von den Leuten, und als Wiseli dem onkel die Hand gab, sagte er: "Du kommst bald wieder heim, du brauchst dich nicht groß zu verabschieden."
Schweigend und sehr verwundert ging das Wiseli hinter der Frau Oberst her, die rasch über den beschneiten Feldweg schritt, so als befürchtete sie, man könnte sie samt dem Wiseli wieder zurückholen. Als aber der Buchenrain nicht mehr zu sehen war, drehte sie sich um und bleib stehen.
"Wiseli", sagte sie freundlich, "kennst du den Schreiner Andres?"
"Ja, freilich", antwortete Wiseli, und seine Augen leuchteten auf, als es den Namen hörte. Die Frau Oberst war erstaunt.
"Er ist krank", fuhr sie fort. "Willst du ihn ein wenig verpflegen und etwa vierzehn Tage bei ihm bleiben?"
Mehr als Wiselis schnelle und kurze Antwort: "Ja, gern!" sagte der Frau Oberst sein Gesicht. Das wurde ganz von Freudenröte übergossen. Die Frau Oberst sah das gern. Doch mußte sie sich wundern, daß Wiseli eine so besondere Freude zeigte. Denn sie wußte nichts von seinem Erlebnis mit dem Andres, aber das Wiseli hatte es nie vergessen.
Sie gingen nun wieder weiter. Aber nach einer Weile fügte die Frau
Oberst noch hinzu: "Du mußt es dann dem Schreiner Andres sagen, daß
du so gern zu ihm gekommen bist, Wiseli. Er glaubt es sonst nicht.
Vergiß es nicht."
"Nein, nein", versicherte das Kind, "ich denke schon daran."
Nun waren sie bei dem Haus angekommen. Hier hielt es die Frau Oberst für richtig, das Wiseli seinen Weg allein machen zu lassen. Denn nach allem, was sie bemerkt hatte, mußte es ihm nicht schwer werden, ihn zu finden. Sie verabschiedete das Kind an der Ecke und sagte ihm, am Morgen werde sie wieder herunterkommen und sehen, wie es ihm in dem neuen Haushalt gehe. Und wenn der Schreiner Andres etwas brauche, das nicht da sei, so solle es zu ihr kommen.
Wiseli ging nun zuversichtlich durch das Gärtchen und machte die Haustür auf. Es wußte, daß der Andres drinnen in der Kammer hinter der Stube liege. So trat es leise in die Stube ein. Darin war niemand, aber es war schön aufgeräumt, noch von der alten Trine her. Wiseli schaute alles gut an, wie es sein müsse.
An der Wand hinten in der Stube stand ein Bett. Der Vorhang davor war fast zugezogen, aber Wiseli konnte doch sehen, wie schön und sauber es aussah, und es fragte sich, wer da schlafe. Jetzt klopfte es leise an die Kammertür, und auf den Ruf des Andres trat es ein und blieb ein wenig scheu an der Tür stehen. Andres richtete sich auf in seinem Bett.
"Ach, ach", sagte er, halb erfreut und halb erschrocken, "bist du es, Wiseli? Komm, gib mir die Hand." Wiseli gehorchte. "Bist du auch nicht ungern zu mir gekommen?"
"Nein, nein", antwortete Wiseli.
Aber der Schreiner Andres war noch nicht beruhigt.
"Ich meine nur, Wiseli", fuhr er wieder fort, "du wärst vielleicht lieber nicht gekommen. Aber die Frau Oberst ist so gut, und du hast ihr vielleicht einen Gefallen tun wollen."
"Nein, nein", versicherte Wiseli noch einmal, "sie hat gar nicht gesagt, daß es ihr ein Gefallen sei. Sie hat mich gefragt, ob ich gehen wolle, und ich wäre auf der ganzen Welt nirgends so gern hingegangen wie zu Ihnen."
Diese Worte mußten den Andres ganz beruhigt haben. Er fragte nichts mehr, er legte seinen Kopf auf sein Kissen zurück und schaute stumm das Wiseli an. Dann mußte er sich auf einmal umdrehen und immer wieder über seine Augen wischen.
"Was muß ich jetzt tun?" fragte Wiseli, als er sich immer noch nicht umkehrte.
Jetzt wandte er sich zu dem Kind und sagte freundlich: "Ich weiß es gewiß nicht. Wiseli, tu du nur, was du willst, wenn du nur ein wenig bei mir bleiben willst."
Wiseli wußte gar nicht, wie ihm geschah. Seit es die Stimme seiner Mutter zum letztenmal hörte, hatte niemand mehr so zu ihm geredet. Es war gerade, als spüre es die Liebe seiner Mutter wieder in Andres' Worten. Es mußte mit beiden Händen seine Hand nehmen, so wie es oft die Hand der Mutter gefaßt hatte. Und so stand es eine Weile an dem Bett, und es war so glücklich, daß es gar nichts sagen konnte. Aber es dachte: Jetzt weiß es die Mutter auch und ist froh.
Gerade so dachte der Andres: "Jetzt weiß es die Mutter auch und ist froh."
Dann sagte das Wiseli: "Jetzt muß ich Ihnen gewiß etwas kochen, es ist schon über Mittag. Was muß ich kochen?"
"Koch du nur, was du willst", sagte der Andres. Aber dem Wiseli war es darum zu tun, es dem Kranken recht zu machen. Und es fragte so lange hin und her, bis es gemerkt hatte, was er essen müsse— eine gute Suppe und ein Stück von dem Fleisch, das im Kasten war. Und dann bestand er darauf, das Wiseli müsse noch einen Milchbrei für sich kochen.