In einem Zimmer des Hotel garni »Zum Pechvogel« wickelte sich folgendes Gespräch ab:
»Wir sitzen ohne eine Kopeke da«, sagte mein Freund Anders zu mir. »Die Miete sind wir schuldig. Gestern haben wir kein Nachtmahl gegessen – heute nicht gefrühstückt. Und dabei gibt es ein Mittel, sorglos zu leben! Wir könnten es wirklich einmal versuchen!«
»Was muß man denn tun?«
»Nichts. Nur dasselbe, was ich tue. Ziehen wir uns an und gehen auf die Gasse!«
»Der Besitzer des ›Pechvogels‹ wird uns aufhalten, wird die Miete verlangen und an die Schuld mahnen!«
»Das macht nichts. Ein Lebenskünstler weiß sich aus jeder Lage zu helfen!«
Als wir durch den Korridor schritten, kam uns das Zimmermädchen entgegen:
»Herr Anders, der Hausherr möchte Sie sprechen!«
Ich lehnte mich erschrocken an die Wand, aber Anders sagte gelassen:
»Sehr angenehm. Wir kommen!«
Der Besitzer des »Pechvogels«, ein alter, griesgrämiger Herr, begegnete uns sehr kühl:
»Entschuldigen Sie, meine Herren, ich habe mit Ihnen geschäftlich zu reden.«
Anders unterbrach ihn rasch:
»Wir wollten Sie heute aufsuchen. Wissen Sie, ich habe in den feinsten Hotels gewohnt, aber nirgends habe ich eine so musterhafte Ordnung wie in Ihrem ›Pechvogel‹ gefunden. Ich frage ihn täglich«, und dabei wies Anders auf mich: »woher findet der Besitzer dieses Hotels nur die Zeit, ein so großes Unternehmen so glänzend zu führen!«
»Auch ich begreife das nicht«, fiel ich rasch ein.
»Ja«, bemerkte der Alte zufrieden lachend, »es ist schwer, Reinlichkeit und Ordnung zu wahren.«
»Aber Sie wahren sie«, rief Anders. »Und dann diese ideale Ruhe! Ich erinnere mich, wie im Vorjahr bei Ihnen ein Trunkenbold wohnte. Hat er gewagt, die Ruhe zu stören? Nein . . .! Wenn seine Freunde ihn betrunken nach Hause brachten und ihn aufs Bett legten, schlief er sofort ein. Man muß Willenskraft haben, um solch einen Betrieb zu führen! Überhaupt sind Sie ein energischer Mensch und dabei noch so hübsch! Wenn ich verheiratet wäre, hätte ich Angst für meine Frau. Noch einmal Dank im Namen aller Mieter!«
Der Alte war durch diese Ansprache so verblüfft, daß er die unbezahlte Rechnung ganz vergaß, und wir verschwanden rasch aus dem Zimmer.
Auf dem Korridor trafen wir wieder die Zofe:
»Nadja«, sagte Anders, »was ich Sie fragen wollte . . . ja, wer war denn der fesche Offizier, mit dem Sie gestern sprachen?«
Nadja lachte hellauf:
»Das war mein Bräutigam. Er ist kein Offizier, sondern ein Militärschreiber!«
»Sie scherzen. Er schaut wie ein Offizier aus. So ein eleganter Mann! Dieses intelligente Gesicht . . .! Hm, ja . . . Nadja, haben Sie Kleingeld? Die Chauffeure können auf große Noten nicht herausgeben – leihen Sie mir etwas bis nachmittags!«
Nadja griff in die Tasche und gab Anders das Kleingeld. »Haben Sie bemerkt«, sagte sie, »was für rote Wangen er hat?«
»Ja. Ein hübscher Mann! Auf Wiedersehen, Nadja!«
Als wir das Haus verließen, blieb ich beim Portier stehen: »Hm, Sie lesen Zeitung? Sie befassen sich mit Politik . . . Wie angenehm ist es, einem klugen Menschen zu begegnen . . .!«
»Gehen wir«, sagte Anders, »das ist nicht nötig. Es zahlt sich nicht aus!«
Ich brach meine Rede ab und folgte Anders.
*
Als wir ein paar Schritte gingen, kam uns ein Herr entgegen. Es war die reinste Jammergestalt: er hatte eine eingefallene Brust, ging tief gebeugt und zog einen Fuß nach.
»Ah!« rief Anders. »Kolja Magnatow! Darf ich vorstellen? Wo warst du gestern?«
»Wie immer bei den Ringkämpfen«, sagte Kolja.
»Ach, Anders, wenn Sie gesehen hätten, wie der elegante Schwede den Finnen geworfen hat!«
»Und Sie selbst nehmen nicht an den Ringkämpfen teil?«
»Ich? Woher? Ich bin doch nicht besonders stark!« rief Kolja erstaunt.
»Unsinn! Solche hageren Menschen wie Sie sind muskulös und haben eine ungewöhnliche Kraft. Wie ist Ihr Griff? Packen Sie meine Hand, drücken Sie fest! Au! Sie haben ja einen Griff wie von Eisen. Meine Hand ist wie tot – es wäre interessant, Ihre Muskeln zu sehen!«
»Meine Herren«, rief Kolja, »da in der Nähe ist ein kleines Restaurant. Ich lade Sie zu einem Gabelfrühstück ein. Wir werden ein Extrazimmer nehmen, ich werde mich auskleiden und Ihnen meine Muskeln zeigen. Sie sind meine Gäste, kommen Sie!«
Im Restaurant bestellte Kolja ein opulentes Frühstück, Bier, Wein. Dann sperrte er die Tür zu und zog sich aus.
»Das habe ich mir gleich gedacht«, bemerkte Anders, »mager, aber elastisch und muskulös. Wenig Training. Aber wenn Sie ein anständiger Trainer in die Hand nimmt, können Sie mit der Zeit ein berühmter Ringkämpfer werden!«
Darauf bestellte Kolja noch mehr Wein . . .
*
Wir verließen das Restaurant um acht Uhr abends.
»Was fangen wir mit dem angebrochenen Abend an?« rief Anders. »Eine Idee – wir gehen ins Theater!«
Zehn Minuten später saßen wir in der Garderobe des ersten Helden. Anders sagte zu ihm:
»Ich war zweimal im Leben erschüttert: das erstemal, als meine Mutter starb, und das zweitemal, als ich Sie als Othello sah. Nein, diese Szene mit Desdemona – und erst die heutige Rolle . . .«
»Ich hoffe, daß Sie noch keine Karten gekauft haben?« bemerkte der Schauspieler.
»Wir gehen jetzt zur Kasse!«
»Wozu? Ich werde das gleich erledigen. Portier, tragen Sie den Zettel zur Kasse. Zwei Karten in der ersten Reihe. Auf Wiedersehen!«
In der Pause trafen wir im Foyer den reichen Kaufmannssohn Kalinin, der durch seine tollen Streiche in der Stadt sehr bekannt war.
»Ah!« rief Anders. »Sie haben schon wieder einen tollen Streich gemacht. Die ganze Stadt spricht davon. Ja, es gibt noch witzige Köpfe! Was ich sagen wollte – können Sie uns nicht auf ein paar Tage hundert Rubel borgen?«
Kalinin zog lässig seine Brieftasche und gab Anders hundert Rubel . . .
*
Wir fuhren in einem Auto nach Hause und rauchten Zigarren. Ich hatte mich zurückgelehnt und sagte zu Anders:
»Du bist ein kluger Mensch, du hast den richtigen Instinkt!«
Anders machte eine Bewegung mit der Hand:
»Möglich. Aber die Hauptsache ist und bleibt doch, daß man zu leben weiß.«