Ich spreche in Slow German selten von der Vergangenheit. Warum das so ist, kann ich Euch erklären: Weil ich die Gegenwart so spannend finde! Aber natürlich ist die Geschichte wichtig, also heute mal ein Thema aus der Vergangenheit.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Deutschland in Schutt und Asche. Das sagt man so. Es bedeutet: Vieles war zerstört. Häuser waren kaputt, weil Bomben explodiert waren. Es hatte gebrannt, übrig blieben von vielen Gebäuden nur noch Trümmer. Trümmer sind die kaputten Einzelteile, also in diesem Fall zum Beispiel Teile von Mauern, Balken, kaputte Fenster. Der Krieg war vorbei, also war es Zeit, die Städte wieder bewohnbar zu machen. Alles musste wieder aufgebaut werden. Wer Fotos von damals ansieht, sieht meistens Frauen, die am Wiederaufbau arbeiten. Sie befreien Ziegelsteine von Mörtel (das ist sozusagen der Klebstoff, der Ziegelsteine zu einer Mauer verbindet) und klopfen sie zurecht, so dass man aus ihnen neue Wände bauen kann. Sie ziehen Nägel aus Balken, schaffen Müll beiseite. Diese Frauen nennt man Trümmerfrauen.
Stellt Euch vor, wie es damals in Deutschland aussah. Viele Männer waren im Krieg gefallen oder schwer verletzt – oder als Nazis verurteilt worden. Sie saßen im Gefängnis oder waren hingerichtet worden. 1945 gab es 7 Millionen mehr Frauen als Männer in Deutschland – normalerweise sind es ungefähr gleich viele Männer wie Frauen.
Die Alliierten hatten Deutschland unter sich aufgeteilt. Sie hatten Befehle erteilt. Zum Beispiel mussten sich alle Frauen zwischen 15 und 50 Jahren zum Aufbaudienst zu melden. Natürlich bauten nicht nur Frauen Deutschland wieder auf: Ehemalige Nazis wurden von den Alliierten zum Wiederaufbau gezwungen – wer nicht mithalf, der bekam zum Beispiel keine Lebensmittelmarken. Mit Lebensmittelmarken bekam man wichtige Lebensmittel von Brot bis Zucker.
Hier in Deutschland kennt jeder die Trümmerfrauen. Aber gab es sie wirklich? Natürlich gab es Frauen, die beim Aufbau halfen. Aber ob sie eine so wichtige Rolle gespielt haben wie wir denken, ist nicht sicher. Manche Forscher gehen davon aus, dass an dem Mythos der Trümmerfrauen auch vieles einfache Propaganda ist. Die Fotos der Trümmerfrauen sollen oft gestellt gewesen sein – also nicht echt, sondern inszeniert. Warum? Um etwas Positives zu zeigen, um den Krieg und die Schuld am Krieg zu verdrängen, um die Frauen als Heldinnen zu porträtieren und vom Grauen abzulenken, das der Krieg gebracht hat. Die Trümmerfrauen packen an, sie arbeiten hart, sie legen den Grundstein für eine bessere Zukunft. Wahrscheinlich wollen wir deswegen daran glauben. Wie auch immer die Wahrheit aussieht: Die Frauen waren sehr wichtig, um Deutschland wieder aufzubauen. Sie mussten härter arbeiten denn je, mussten ihre Kinder oft ohne die Hilfe von Männern aufziehen, mussten vieles alleine schaffen. Es waren starke Frauen, die während des Krieges und danach gelebt haben. Ich habe Hochachtung vor ihnen und danke hiermit allen Frauen, die Deutschland wieder aufgebaut haben – ob aus Trümmern oder aus Träumen ist mir egal.