"Nein! Nicht schon wieder! Du hast es doch versprochen! Dieses Geschöpf, egal ob Mensch oder Tier, kommt nicht ins Haus!" Manchmal bringt mich Georgs Mitleid zur Weißglut. Was hat er nicht schon alles angeschleppt! Inzwischen ist aus unserem Garten ein kleiner Privatzoo geworden. Und die Souterrainwohnung ist Ottilie Hansens Privatbereich. Nass, kalt, in Böen stürmisch! So präsentierte der letzte Sonntag im November sein Wetter.
"Ach, mein schönes ‚Grauselwetter' sagt Pia-Marie dann immer.
"Schätzchen! Meinst du vielleicht Schauer - oder Regenwetter?"
"Nee, Mama. Mein ich nicht! Weißt du! Wenn der Wind so braust und der Regen gegen die Fensterläden knallt, kann ich mich wunderbar grausen", erklärt Pia dann fröhlich. "Abends graust es sich besonders gut. Im Bett ist es dann soo gemütlich. Und dann. Und dann bin ich froh, nicht draußen zu sein und grause mich ganz vorzüglich." Pia-Marie sammelt Worte. ‚Vorzüglich' gefällt ihr ausnehmend gut. An diesem Novembersonntag hörten wir das Wort mindestens zwanzig Mal.
Mit Kaffee und frisch gebackenem Kuchen vor dem Kamin zu sitzen ist natürlich auch vorzüglich. Friedliches Schweigen, Herdfeuerträume garantiert!
"Bevor wir mit den Kindern über unsere Reise sprechen, gehe ich noch einmal um den Block", sagte Georg plötzlich.
In seinem alten, verschossenen Parka, Pudelmütze aus der Vorkriegszeit, sah er immer noch wie ein mittelloser Student aus. Nach wie vor, seit fünfzehn Jahren schon, zaubert sein jungenhaftes Lächeln Freude in mein Herz.
"Mensch, Professor Classen! Bei diesem Wetter jagt man nicht mal einen Hund vor die Tür!" rief ich ihm nach. Irren ist menschlich. Denn auch bei diesem Wetter jagte ‚man' einen Hund vor die Tür. Selbstverständlich musste besagter Hund meinem Mann vor die Füße laufen. Ob Mensch oder Tier. Hilflose Wesen wissen, an wen sie sich wenden müssen. Weshalb ausgerechnet Georg? Auf diese Frage habe ich bis heute keine Antwort bekommen. Georg sucht nicht nach hilfebedürftigen Lebewesen. Sie suchen ihn! Das habe ich inzwischen verstanden. Meine Weißglut wurde ungeheuerlich schnell zu kalter Asche. Denn ein winziges, vor Kälte zitterndes Etwas, zwängte seinen Kopf durch den Parkareißverschluss. Georg sagte das, was er in solchen Fällen immer sagt:
"Ach Rieke, meine Liebe. Ohne unsere Hilfe hat das Kerlchen keine Chance. Schau! Wir hatten so viel Glück. Die unerwartete Erbschaft. Ein paar Mäuler mehr zu füttern, tut uns doch nicht weh. In den Nebengebäuden der Villa ist Platz genug für die Tiere. Der Umgang mit unseren Schützlingen war und ist für Pia und Moritz sehr wichtig. Die zwei haben gelernt, Verantwortung zu übernehmen."
Oh ja! Verantwortung haben die Kinder übernommen. Aber nur so lange bis Ottilie zu uns kam. Ottilie! Anlass zum ersten, wirklich heftigen Streit. Tiere OK. Völlig fremde Menschen: Nein! Tagelang hatte mir Georg von einer Pennerin im Universitätspark erzählt:
"Sie sitzt nur da. Bettelt nicht. Trinken und Rauchen zählen scheinbar nicht zu ihren Lastern. Du glaubst nicht Rieke, wie dünn die Frau ist. Gestern hat sie mich zum ersten Mal angesehen. Die braunen Augen wirken riesig in dem schmalen, mageren Gesicht. Ihre Kleidung besteht aus Decken und Plastiksäcken. Nicht mal Schuhe trägt sie. So einen verwahrlosten Menschen habe ich noch nie gesehen!" Georgs bekümmerter Blick ließ langsam aber stetig meinen Adrenalinspiegel steigen.
"Komm ja nicht auf die Idee, diese Frau hier her zu bringen!", polterte ich los. "Wenn du das tust, ziehe ich mit den Kindern zu meiner Mutter! Weißt du. Gegen die Tiere habe ich nichts. Als Kind habe ich mir immer gewünscht, auf einem Bauernhof zu leben. In einem Obdachlosenasyl werde ich mich nie heimisch fühlen!"
Tagelang hatte ich Georgs - ‚Aber Rieke, ich will die Frau doch gar nicht in unser Leben holen.' - im Ohr. Beruhigt hat mich dieser Satz keineswegs. Wochen lang habe ich dann nichts mehr über die Obdachlose gehört, sie beinahe vergessen.
Der Mensch denkt, Gott lenkt. Ich weiß. Uralt und abgenutzt! Für mich jedoch immer wieder neu. Dieser Satz hat mir häufig geholfen, mit widrigen Situationen fertig zu werden. So wie am Abend des neunzehnten Oktober im letzten Jahr. Moritz, Pia und Georg versorgten wie jeden Abend die Tiere. Gerade als ich meine ‚Geschichte aus unserem Viertel' an die Morgenpost mailen wollte, klingelte es an der Haustür. Überraschungsbesuche um 21.00 Uhr mag ich nicht besonders. Xindy, unsere Neufundländerin wohl auch nicht. Unglaublich schnell lief sie zur Tür. Sie gebärdete sich nicht wie üblich. Weder Bellen noch Knurren. Im Gegenteil. Xindy winselte und jaulte in den höchsten Tönen, war nicht zu beruhigen. Bevor ich öffnete, leinte ich die Hündin an. Zu Recht! Sonst hätte sie sehr wahrscheinlich im Handumdrehen den blauen Müllsack im Eingangsbereich zerfetzt. Müllsack? Meinen Schrecken, als sich das merkwürdige Ding plötzlich bewegte, werde ich nie vergessen. Und die leisen Worte - ‚Ach Leonie, meine liebste Leonie, endlich habe ich dich wieder!', - auch nicht.
Ein dünnes Ärmchen ragte aus dem Lumpenbündel. In der knochigen Hand hielt das merkwürdige Wesen Georgs Brieftasche.
"Hier bitte. Die hat der Herr Professor heute Nachmittag am Parkplatz verloren. Zum Glück habe ich sie gefunden!" Das waren vorerst Ottis letzten Worte. Mit einem leisen Seufzer kippte sie einfach über die Türschwelle.
Xindy wich ihr nicht von der Seite. Nur mit Mühe konnten wir den großen, knurrenden Hund von den Sanitätern fernhalten.
Vierzehn Tage lag Otti im Krankenhaus. Pias Weg zum Kindergarten führt dort vorbei. Wir haben die Fremde jeden Tag besucht. Gespräche kamen zunächst nicht zustande. Otti lag da und schaute Pia und mich unentwegt an. Wir saßen da und schauten zurück. Zwei Tage vor ihrer Entlassung hat sie scheu nach Xindy gefragt. Aus ihrer Vergangenheit hat Frau Hansen bis heute nichts erzählt. Nur, dass sie ihren Riesenhund vor einem Jahr verloren habe. "Allein meine Schuld", sagte sie leise. Der Tag, an dem sie ihren Hund verlor, begann eigentlich recht viel versprechend. Ein Fremder hatte ihr einen fünfzig Euroschein in den Bettelhut gelegt. Ein Vermögen für Otti! Stundenlang hat sie über das Geld nachgedacht. Was kaufe ich uns? Ein Paar Schuhe vielleicht? Eine neue Bürste für Leonie? Oder richtiges Chappi für den Hund? Oder? Oder? Die fünfzig Euro eröffneten für wenige Augenblicke eine neue Welt. Na ja. Dann ist Herbert aus dem Stadtpark vorbei gekommen. Gemeinsam haben sie bei Aldi etliche Flaschen Fusel gekauft. Aber auch Hundefutter! Die anderen Obdachlosen haben sie an diesem Tag zu ihrer Königin erhoben. Daran konnte sich Ottilie noch erinnern. Wie sie ins Krankenhaus gekommen ist, nicht mehr. Nach drei Tagen ist sie aus dem Vollrausch erwacht. Wieder auf der Strasse, musste sie feststellen, dass der Hund und auch ihr restliches Geld weg waren. Das Geld war nicht so wichtig. Otti macht sich auf die Suche. Jedes Tierheim der Stadt und Umgebung hat sie aufgesucht. Niemand konnte oder wollte ihr über den Verbleib des Hundes Auskunft geben.
"Ich wäre nie in Ihr Viertel gegangen. Ein Bruder von der Strasse hat mir den Tipp gegeben. Woher er wusste, dass Leonie bei Ihnen wohnt? Keine Ahnung!"
Sie wollte ihren Hund wiederhaben. Wir wollten Xindy/Leonie nicht hergeben.
Georgs Satz. ‚Ach Rieke, meine Liebe' usw… drängte sich in meine Überlegungen.
Natürlich! Die Kellerwohnung! "Eine alkoholsüchtige Pennerin ist auf jeden Fall ein Highlight im Kreise unserer Hilfsbedürftigen", dachte ich damals spöttisch. Bereut habe ich mein Angebot an Ottilie allerdings nie. Nun lebt sie schon ein Jahr bei beziehungsweise mit uns. Sie kümmert sich um den Haushalt, die Tiere und mit Hingabe um unsere Kinder. Nach ihrem Zusammenbruch vor unserer Haustür hat Ottilie Hansen nie wieder zur Flasche gegriffen. Nur eines stört mich gelegentlich. Xindy schläft jede Nacht in der Souterrainwohnung. Ein kleines Übel im Vergleich zu den Möglichkeiten, die sich mir durch Ottis Anwesenheit boten. Inzwischen schreibe ich nicht nur meine ‚Geschichten aus unserem Viertel' für die Morgenpost. Fast jeden Tag bin ich für diese Zeitung im Einsatz. Mit den Kollegen in der Redaktion komme ich gut zurecht. Manny und Knut kenne ich seit der Uni. Die beiden sind für die Sportnachrichten zuständig. Dennoch habe ich viel von ihnen über Berichterstattung gelernt. Mein Hobby ‚Schreiben' ist schon lange keines mehr. Dank Otti ist mir die Rückkehr in das Berufsleben leicht gemacht worden. Voller Stolz und mit entsprechenden Stressseufzern habe ich meiner Familie erklärt, dass ich ‚echt' urlaubsreif sei! Gott sei Dank! Jetzt habe ich es doch noch geschafft, zum Kern meiner Geschichte zurück zu finden. Urlaub! Urlaub in Heiligenblut! Eine nicht alltägliche Geschichte. Doch wahrhaftig erlebt:
Stürmisch blieb besagter Novemberabend. Draußen und drinnen. Zunächst haben
wir uns um das winzige, erschöpfte Etwas gekümmert. Der nasse Wollknäuel entpuppte sich als Pekinesen-Welpe. Einfach niedlich. Wie kann man so etwas Kleines aussetzen? Oder ist der Winzling einfach weggelaufen? Über seine Herkunft haben wir trotz aller Bemühungen nichts erfahren.
Stürmisch verlief unsere Urlaubsbesprechung tatsächlich. Georg und ich halten uns für liberale Eltern. Selbstverständlich haben die Kinder bei der Urlaubsplanung ein Mitspracherecht. Als Moritz klein war, sind wir an Weihnachten immer zu Hause geblieben. Weihnachtsmarkt, die vielen bunten Lichter, Bescherung im Kindergarten, Krippenspiele in der Schule usw.. Das wollten wir dem Jungen nicht vorenthalten. Seit Jahren legt der ‚Junge' allerdings keinen Wert mehr auf Weihnachten.
In der unnachahmlichen Art eines alles durchschauenden, des Lebens erfahrenen Teenies, hat er uns erklärt, dass er inzwischen zu cool für irgendwelche Klingglöckchen sei. Es reiche ihm, seiner kleinen Schwester jeden Abend eine Weihnachtsgeschichte vorlesen zu müssen. Und den Urlaub in einem Ort, dessen Name Heilig beinhalte, zu verbringen, stelle er sich nicht besonders endgeil ( sehr erstrebenswert ) vor. "Wahrscheinlich lauter Wundergläubige, die in Sandalen durch den Schnee zur Wallfahrtskirche latschen und auf ein Wunder hoffen! Nee, da muss ich nicht hin! Kann ich nicht doch mit Don und seinen Eltern nach Amerika? Die Eltern wollen mir sogar den Flug bezahlen. Skiurlaub in Colorado! Das ist echt cool!"
Georg ist ein liebevoller Vater. Manchmal beneide ich ihn um seine durch nichts zu erschütternde Geduld für die Kinder. Moritz Argumente: ‚Für Euch ist Weihnachten auch nicht gerade das Fest der Liebe; früher haben wir es nie gefeiert und so ne Chance wie Amerika bekomme ich bestimmt nie wieder'! überzeugten nicht.
"Tut mir Leid, mein Junge. Selbst wenn dir dieses Gespräch wie eine ‚dogmatische Auseinandersetzung' vorkommt, in diesem Jahr heißt unser Urlaubsort Heiligenblut! Daran ist nicht zu rütteln. Und du fährst mit! Amerika wird dir nicht davon laufen. In den nächsten Tagen spreche ich mit Dons Eltern über diese Angelegenheit. Einverstanden, Moritz?" Selbstverständlich war Moritz nicht einverstanden, aber sprachlos! So kurz und knapp wurde noch nie eine Diskussion zwischen den beiden beendet.
Moritz zog es vor, sich nicht mehr am Gespräch zu beteiligen. Schmollend, mit verschränkten Armen, lehnte er sich zurück. Tränen? Undenkbar für einen Vierzehnjährigen! Die entstandene Spannung, das mürrische Gesicht ihres Bruders, störte Pia keineswegs.
"Was ist denn ein heiliges Blut, Papa? Und warum willst du dir das mit uns zusammen unbedingt ansehen? Du weißt doch, dass Moritz kein Blut sehen kann!"
Pias Fröhlichkeit und unermüdliche Neugier holten Moritz langsam aber sicher aus seinem Schmollwinkel. Er liebt seine kleine, sechsjährige Schwester sehr. Zudem gefällt es ihm, sein Wissen zu demonstrieren. Der Große zu sein, der Bescheid weiß.
"Ach, weißt du Pia. Wir fahren da nur hin, weil Papa und Mama sich dort - ausgerechnet in Heiligenblut - vor fünfzehn Jahren kennen gelernt haben. Damals haben sie sich versprochen, irgendwann, gemeinsam dorthin zurück zu kehren. Das Irgendwann ausgerechnet in diesem Jahr sein muss, gefällt mir absolut nicht."
"Weiß ich ja. Ich hab dich gar nicht gefragt, Moritz, sondern Papa. Papa soll mir über Heiligenblut erzählen. Nicht du. OK?" Charmantes Selbstbewusstsein einer Sechsjährigen hat schon was! Die Spannungen lösten sich in Luft auf und Georg erzählte uns an diesem Abend die Geschichte von Heiligenblut. Ein Glocknerdorf in Österreich, dessen Attraktion eine zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert erbaute Wallfahrtskirche ist. In ihrem weißen Sandsteinturm wird eine Monstranz mit dem heiligen Blut Christi aufbewahrt. Oftmals wurden heilige Hostien gestohlen. So auch in Weiten. Eine Gemeinde etliche Kilometer von Heiligenblut entfernt. Der Dieb versteckte die Hostie in seinem Handschuh und ritt davon. An der Stelle der heutigen Pfarrkirche bockte das Pferd des Diebes. Das Tier ließ sich weder durch gutes Zureden noch durch Schläge bewegen, seinen Weg weiter zu gehen. Plötzlich rutschte dem Dieb die Hostie aus dem Handschuh und fiel zu Boden. Das Pferd machte einen gewaltigen Sprung und raste davon. Niemand wagte, die am Boden liegende Oblate zu berühren. Wundersamerweise sickerte aus einem winzigen Riss in der heiligen Hostie Blut in den Sand. Eine Dame hatte den Vorfall beobachtet. Schützend hielt sie ihren Hut über das kostbare Kleinod. Die edle Dame namens Scheck hielt die blutende Hostie für ein Zeichen, wenn nicht gar ein Wunder. Deshalb ließ sie, genau dort wo die Hostie gelegen hatte, eine Kapelle errichten. Diese erwies sich bald als zu klein. Deshalb baute man gegenüber der kleinen Holzkapelle eine Wallfahrtskirche aus Stein, die bis zum heutigen Tag nichts von ihrer Anziehungskraft verloren hat.
Im 16. Jahrhundert war Heiligenblut nicht nur ein Wallfahrtsort. Zeitweilig wurde dort nach Gold gegraben. Heute ist dieses Dorf ein beliebtes Ausflugsziel für Skisportler und Wallfahrtstouristen.
"Und für uns! Ich möchte mir unbedingt den ‚blutigen Keks' angucken. Moritz braucht ja nicht hin zu schauen", erklärte Pia inzwischen sehr schläfrig, an diesem stürmischen Sonntag im November.
Ungewöhnlich milde Temperaturen bestimmten das Wetter vor den Feiertagen. Niemand glaubte noch an weiße Weihnachten. Georgs bester Freund Bernd, ebenfalls Hochschullehrer für Geschichte, lebt und lehrt in München. Vor Jahren hat er einen ziemlich herunter gekommenen Bauernhof in der Nähe von Heiligenblut geerbt. Bernd hat enorm viel Zeit und Geld für dieses Haus aufbringen müssen. Es hat sich gelohnt. Helga, seine Frau, hat uns mit der Einladung, den Urlaub dort zu verbringen, Vorher - Nachher Fotos geschickt. Den Schlüssel sollten wir uns in Helga und Bernds Münchener Wohnung abholen. Schließlich hatten wir uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Telefonieren, gut und schön. Aber manchmal darf es auch etwas mehr sein. Wir freuten uns sehr auf ein Wiedersehen mit diesen lieben Menschen.
"Hier gibt es ebenso wenig Schnee wie in Hamburg. Bringt trotzdem eure Skiausrüstungen mit. In Kärnten hat es kräftig geschneit", teilte Bernd uns am letzten Tag vor der Abreise mit.
Endlich! Dreiundzwanzigster Dezember! Reisefertig! Der Van bietet viel Raum. Zumal Georg Koffer und Skier auf dem Dachgepäckträger untergebracht hatte. Für Pia hatten wir einen kleinen Monitor installiert. Wohlweißlich etliche Lieblings - DVD s eingepackt. Moritz steigt niemals ohne CD-Player ins Auto. Der Abschied von Otti zog sich in die Länge. Die arme Frau weinte und weinte. Zuerst dachte ich, sie würde sich ohne uns einsam fühlen. Ausgerechnet Weihnachten! Kein Mensch ist da gern allein! Ottilie weinte nicht aus Schmerz. Sie weinte aus Freude. Freude über unser Vertrauen! Damit musste sie erst einmal fertig werden. Sie hatte Recht. Vide, cui fidas! Trau, schau, wem! Diese Mahnung der alten Lateiner hat mich niemals an meiner Menschenkenntnis zweifeln lassen. Ottis Vergangenheit wird uns sehr wahrscheinlich nie gegenwärtig werden. Und doch haben wir bedenkenlos das Haus und die Tiere in ihre Obhut gegeben.
Das morgendliche Verkehrschaos hatte noch nicht eingesetzt. Schnell erreichten wir die Autobahn. Wir hatten uns vorgenommen, die Strecke Hamburg - München in zwei Tagen zu ‚erfahren'. Georg schlug vor, in Kassel zu übernachten. Er wollte den Kindern die Wilhelmshöhe, ein Schloss und Hochwaldpark in Hessen, zeigen. Die Fahrt verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Abgesehen von den vielen Aufenthalten auf diversen Rastplätzen. Pias Blase war der Reiseaufregung unserer Kleinen nicht gewachsen. Wir beklagten uns nicht. Wir hatten Zeit!
In der Nacht hatte es einen Temperatursturz gegeben. Der Winter machte auf sich aufmerksam. Zaghaft noch. Raureif zauberte eine filigrane Welt. Verdächtig glitzernder Straßenbelag mahnte zur Vorsicht. Dennoch machten wir uns am nächsten Morgen sehr früh auf den Weg. Bernd und Helga erwarteten uns zum Mittagessen.
Fünfzehn Uhr dreißig. Weiterfahrt nach Heiligenblut. So war es geplant - und hätte auch klappen können! Wenn? Ja, wenn es nicht die Raststätte ‚Riedener Wald' gegeben hätte.
Mein Name ist Rieke, - nicht Kassandra! Intuition? Böse Vorahnung? Diese Raststätte wollte ich nicht anfahren.
‚Mit den Geschickes Mächten, ist kein ew(i)ger Bund zu flechten', fiel mir plötzlich ein als Moritz entrüstet sagte: "Mensch, Mama! Mein CD-Player funktioniert nicht mehr! Wieso hast du die Ersatzbatterien nicht eingepackt? Vorwürfe stoßen bei mir auf wahrhaft taube Ohren. Auch Georgs: "Rieke, meine Liebe, wir sollten doch noch einmal tanken", ignorierte ich. Doch der alles überzeugende Satz: "Ich muss aber wirklich nötig Pippi!", ließ das Auto fast von selbst anhalten.
Georg übernahm das Tanken, ich Pia. Die Tür zum WC-Raum wurde von innen aufgedrückt. Eine junge, dunkelhaarige Schönheit lächelte uns freundlich an.
Nicht nur schön, auch elegant gekleidet, registrierte mein Unterbewusstsein. Den herrlichen Poncho hat sie bestimmt nicht bei Charme und Armut gekauft. Ich hatte nicht erwartet, ihn jemals wieder zu sehen. Nur wenige Minuten später entdeckte Pia das schöne Kleidungsstück.
"An unserem Auto stehen fremde Leute. Guck, Mama! Die Frau mit dem Mantel ohne Ärmel redet mit Papa!"
Hatte ich schon erwähnt, dass sich hilflose Wesen immer zuerst an Georg wenden?
Hilflos wirkten die beiden jungen Menschen absolut nicht. Georg schien die Unterhaltung mit ihnen zu genießen.
So ist es halt auf Reisen, dachte ich. Menschen begegnen einander. Gespräche ergeben sich. Je nach Sympathie von kurzer oder längerer Dauer. Fröhliche Abschiede mit Anspruch auf Vergessen.
Moritz saß schon im Auto. Er winkte mir zu, schnitt Grimassen und machte seltsame Zeichen. Ich habe es kommen sehen! Ständige Berieselungen durch laute unmelodische Töne, werfen irgendwann auch geistig relativ gesunde Menschen aus der Bahn. Augenblicklich wurden Moritz und sein CD-Player zur Farce als ich meinen Mann sagen hörte: "Nein, nein! Sie sind nicht aufdringlich. Meine Frau mag junge Menschen. Sie hat bestimmt nichts dagegen..." "Hallo", versuchte ich das Versprechen, für was auch immer, aufzuhalten.
"Oh, da bist du ja, Rieke. Schau! Das sind Mara und Jo. Stell dir vor, die beiden sind auch auf dem Weg nach Heiligenblut. Nicht um Urlaub zu machen. Sie wohnen dort. Wenige Meter von hier ist ihr Wagen mit einem Motorschaden liegen geblieben. Es stört dich doch nicht, wenn die jungen Leute mit uns nach München fahren? Im Van fallen zwei Menschen mehr überhaupt nicht auf.
Georgs ‚Ach Rieke, meine Liebe - Blick' hatte ich nichts entgegen zu setzen. Meinen leisen Seufzer hielten alle für Zustimmung.
Erstaunlich! Die Fremden störten mich tatsächlich nicht. Schnell hatten sie sich mit unseren Kindern angefreundet. Mara spielte mit Pia. Jo und Moritz tauschten Wissen und Erfahrungen über Computer aus.
Georg übernahm das Fahren. Ich überließ mich unserer Musik. Ein Misston riss mich aus meinen und Schumanns Träumereien: "hat ein unerwartet heftiger Schneefall eingesetzt! Bitte fahren sie vorsichtig!", sagte eine angenehme Radiostimme.
"Du hast so schön geschlafen. Ich wollte dich nicht beunruhigen. Es schneit schon seit einer Stunde. Ich denke, wir schaffen es dennoch, pünktlich zum Essen in München zu sein", sagte Georg leise. Wirbelnde, dicke Schneeflocken bemühten sich, die Autobahn in eine Schneelandschaft zu verwandeln. Bald ging es nur noch im Schritttempo weiter. Die blauen Straßenschilder wurden beinahe unsichtbar. Georgs Zuversicht bezüglich unversehrter Ankunft in München verlor sich im immer stärker werdenden Schneetreiben. Er schlug vor, an der nächstmöglichen Ausfahrt die Bahn zu verlassen. Ein vorausfahrendes Auto setzte den Blinker und bog rechts ab. Wir folgten ihm. Plötzlich hielt der Fahrer. Georg wäre beinahe aufgefahren. Ein paar laute Flüche später, hielten auch wir an.
"Vielleicht ist die Person da im Wagen zu ängstlich, hat keinen Mut weiterzufahren. Möglicherweise braucht sie unsere Hilfe. Ich werde sie fragen. Ruf bitte Bernd und Helga an, Rieke. Die beiden machen sich womöglich Sorgen um uns!"
Moritz wollte seinen Vater begleiten. Ebenso Jo. Doch mein ‚Hilfe gesucht, Hilfe gefunden Mann', lehnte ab. Es reiche, wenn vorerst einer von uns sich diesem Unwetter aussetze. Eine kleine Ewigkeit dauerte es schon, bis Georg zurückkam.
Unterdessen erzählten Mara und Jo ein wenig von sich. Sie hatten Freunde in Würzburg besucht. Nur für ein paar Tage. Selbstverständlich hatte Mara vorher ihren Arzt gefragt. Er hatte nichts gegen unsere Reise. "Mara ist eine starke, junge Frau. Ein paar Stunden Autofahrt werden ihr nicht schaden. Außerdem ist es erst Anfang Januar so weit. Dann sollten wir allerdings zu Hause sein!"
Mitleidig schaute ich die junge Frau an. Obwohl sie vermutlich an einer schweren Krankheit leidet, sieht sie glücklich aus. Sie scheint sehr tapfer zu sein. Und das sagte ich ihr auch. Mara und Jo lachten und lachten. Sie konnten sich gar nicht beruhigen. Endlich sagte Jo, immer noch ein Kichern in der Stimme: "Mara ist nicht krank. Sie ist schwanger! Unser erstes Kind kommt vielleicht Anfang - ganz sicher Mitte Januar - zur Welt."
Mein Herz sackte etliche Etagen tiefer. - Schnee, soweit das Auge reicht! Vor uns ein liegen gebliebener Wagen, dessen Fahrer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in wenigen Minuten in unserem Auto sitzen würde und eine hochschwangere junge Frau! Der Poncho! Normalerweise sehe ich Frauen sogar, die in Bälde eintretende Schwangerschaft an! Dieser dunkelhaarigen, zierlichen Schönheit hatte ich Modebewusstsein, aber niemals eine Schwangerschaft zugetraut! "Augen schließen! Tief durchatmen! Vision gegen aufsteigende Panik abrufen!" befahl ich mir. Sekundenlang sah ich mich im Schloss Sanssouci. Dass der alte Fritz unbedingt ‚Stille Nacht, heilige Nacht' mit mir singen wollte, störte mich nicht. Ich machte ihm die Freude. Denn auch dort, auf dieser Insel meiner Ruhe, wurde Heiligabend gefeiert.
Georg riss die Wagentür auf und mich aus meinen schönen Vorstellungen.
"Wir haben Glück", sagte er fröhlich. Der Mann braucht keine Hilfe. Wir bekommen sie von ihm! Herr Huber ist auf dem Weg zu seinem Bruder. Dessen Bauernhof liegt
nur drei Kilometer von hier. Herr Huber, ich meine jetzt den Bruder, kommt in wenigen Minuten mit seinem Trecker hier her. Er wird uns den Weg bis zum nächsten Ort frei schieben. Tut mir Leid, Rieke. Den Namen der Ortschaft hat er nicht genannt."
Ich wusste gar nicht, wie gern ich Trecker mag. Nach etwa drei Stunden blieb der Trecker an einer durch Fahrspuren erkennbaren Weggabelung stehen. Die beiden Hubers wollten links, wir mussten rechts abbiegen.
"Es dauert nicht lange", versprachen unsere Helfer. Im Dorf beim Postwirt bekommen Sie bestimmt eine Jausen."
Seltsam! Solange wir uns auf der Fahrspur im weißen Niemandsland befanden, schneite es nicht. Nach einer Stunde erreichten wir das Dorf. Still und verlassen wirkte es. In keinem der sich unter gewaltigen Schneelasten duckenden Häuser brannte Licht. Es dauerte eine Weile bis wir den Gasthof ‚Zur Post' entdeckten. Der Wirt schien uns erwartet zu haben. Freundlich begleitete er uns in die gemütliche, warme Gaststube. Wie selbstverständlich setzten wir uns an den gedeckten Tisch. Woher wusste der Mann, dass er für sechs Personen eindecken muss?
Die Hubers haben uns angekündigt, dachten wir.
Pia schenkte mir ein sehr überlegenes Lächeln und sagte: "Ach Mama! Hast du die Engel mit dem Trecker vergessen? Die waren das! Sie sind schnell hier her geflogen und haben Herrn Brandauer Bescheid gesagt, ist doch klar! Oder?" Pias Fantasie wird wohl immer grenzenlos bleiben.
Erneut setzte Schneefall ein. Heftiger als zuvor. Ans Weiterfahren war nicht zu denken. Leider gab es im Gasthof ‚Zur Post' keine Fremdenzimmer. Darüber wollten wir uns später Gedanken machen. Zunächst fühlten wir uns ausgesprochen wohl in der gemütlichen Gaststube. Pia schaute sich erstaunt um.
"Du, Herr Brandauer! Wieso gibt es hier nix von Weihnachten. Ich meine. Keine schönen Kränze mit Lichtern oder einen Tannenbaum, oder eine Krippe?"
Moritz hatte sich ebensolche Gedanken gemacht. "Ach Pia. Hier ist es auch ohne Weihnachtsklimbim recht gemütlich. Etwas allerdings finde ich ziemlich ungewöhnlich. Ich habe nicht ein weihnachtlich dekoriertes Haus gesehen. Die Tannen der Vorgärten trugen nicht einmal Lichterketten. Was ist passiert in diesem Ort, Herr Brandauer. Wohnt hier niemand mehr? Der Wirt setzte sich zu uns an den Tisch und begann zu erzählen:
"Seit Jahrhunderten ist in diesem Ort immer am Heiligabend ein Kind geboren worden. Die Menschen hier hielten und halten das bis zum heutigen Tage für ein gutes Omen. Erstaunlicherweise haben die Leute Recht. Allen hier geht es wirtschaftlich gut. Alte werden tatsächlich uralt und keinem Kind ist jemals etwas Böses zugestoßen. Sie werden es nicht glauben! Unser Dorf ist wahrhaftig eine Insel des Friedens. Unwahrscheinlich in dieser hektischen Zeit? Bestimmt nicht! Gegebenenfalls können Sie sich morgen von der Harmonie, in der wir hier leben, überzeugen, wenn,….." "Aber, was ist denn jetzt mit den Leuten? Wieso feiern sie heute nicht?", fiel Moritz dem Wirt ins Wort. Herr Brandauer ließ sich durch Moritz Unterbrechung nicht aus der Ruhe bringen.
"Nun, mein Junge. Das wollte ich gerade erzählen. In diesem Jahr wird es keine Geburt am heiligen Abend geben. Also wird auch nicht gefeiert. Für uns ist dieses erste Weihnachten ohne Geburt ein schlechtes Zeichen. Jeder hier macht sich plötzlich Sorgen um seine Zukunft. So etwas gab es bei uns bisher wirklich nicht!"
Brandauer schaute uns traurig an. Lange ruhte sein Blick auf Mara.
"Tut mir Leid, dass wir Ihnen kein Zimmer anbieten können. Die junge Frau kann im Zimmer meiner Tochter übernachten. Und Ihnen kann ich Feldbetten in der Scheune aufstellen. Laut Wetterbericht lässt der Schneesturm erst in der Nacht ein wenig nach. Wenn Sie nichts dagegen haben, setzen wir uns am Abend gemeinsam vor den Kamin. Ach. Und das Auto dürfen Sie gern in dem Stall neben der Scheune unterbringen."
Super! Feldbetten in der Scheune! Genau das, was ich mir immer gewünscht habe! Vor allem Heiligabend! Kleiner Trost. Wir durften das Gästebad der Wirtsleute benutzen. Georg, Pia und Moritz schien dieses Weihnachtsabenteuer zu gefallen. Mir nicht! Doch das wissen Sie ja schon. Allein die Vorstellung eine Nacht in dem Stall zu verbringen, jagte mir Schauder über den Rücken.
Wie viel Ungeziefer dort wohl unterwegs war. In irgendeiner Zeitschrift hatte ich vor einiger Zeit einen Bericht über Spinnen gelesen. Fast zum Ende des Artikels erklärte der Autor, dass jeder Mensch in seinem Leben mindestens acht Spinnen verschlucke. Im Schlaf natürlich. Ich nahm mir vor, in dieser Nacht die Augen auf zu halten. Der Vorsatz war gar nicht nötig. Zum Schlafen sind wir in dieser Nacht tatsächlich nicht gekommen. Wir hatten gerade unsere Betten hergerichtet, als Jo in die Scheune gestürmt kam.
"Rieke, Georg. Irgendetwas ist mit Mara. Sie hat fürchterliche Schmerzen. Die Wirtin meint, dass Mara Wehen hat. Kann doch nicht sein. Das Kind soll erst in zwei Wochen kommen. Unser Arzt hat sich nicht verrechnet! Bestimmt nicht!" Wie ein hilfloser, ängstlicher, kleiner Junge wirkte Jo in diesem Moment. Gemeinsam liefen wir zum Gasthaus. Herr Brandauer begrüßte uns mit einem strahlenden Lächeln: "Ich habe es gewusst! Wir bekommen unser Christkind. Meine Frau ist zur Putthenne rüber gelaufen."
"Wer oder was ist Putthenne Herr Brandauer?", fragte ich. Wieder so ein Glanzlächeln.
"Ach so! Das können Sie nicht wissen. Putthenne ist die alte Hebamme. Solange ich denken kann, wird sie so genannt. Wissen Sie, die Alte lockt mit ihrem Putt, Putt die Hühner von den Nestern, um an die Eier zu gelangen. Na ja. Und manchmal versucht sie auch, mit diesen Worten ein Kind auf die Welt zu locken."
Putthenne stellte sich als ein kleines, verhutzeltes Weibchen heraus. Freundlich und mit ungeahnter Sanftheit kümmerte sie sich um Mara.
"Hat keinen Sinn, die Rettung anzurufen", erklärte die Alte. "Bei diesem Sturm fährt keiner mehr raus. Der Hubschrauber aus München schon gar nicht. Ist auch nicht notwendig. Die Sache hier ist bald überstanden. Aber das Mannsvolk will ich nicht im Zimmer haben! Der junge Vater sieht mir eh danach aus, als würde er bald umfallen. He, Brandauer! Gib ihm mal einen großen Obstler!"
Nicht nur Jo bekam einen Obstler. Inzwischen hatte sich das halbe Dorf in der Gaststube versammelt. Pia stürmte die Treppe hinauf. Moritz folgte ihr. Die Kinder wollten ihrer neuen Freundin beistehen. "Aber nur einen Augenblick", sagte Putthenne. "Gleich setzen die Wehen wieder ein. Dann brauche ich hier keinen Kindergarten. Moritz blieb in der Tür stehen. Zaghaftes Lächeln, kurzes Winken und schon war er verschwunden. Um Pia einzuschüchtern, braucht es mehr als eine Geburt. Fröhlich lief sie zu Mara, streichelte aufmunternd die Hand ihrer Freundin.
"Weißt du, Mara. Eine Geburt ist überhaupt nicht schlimm. Weiß ich genau. Als Penny, unsere Ziege, ihr Kind bekam, durfte ich dabei sein. Es hat nicht lange gedauert. Und als das kleine Zicklein da war, ist Penny bald wieder aufgestanden und hat sehr, sehr laut gemeckert. Das hat sie aber getan, weil sie sich so über ihr Kind gefreut hat. Soll ich euch noch etwas erzählen? Hinter der Stube ist ein kleiner Saal. Dort ist eine wunderschöne Krippe aufgebaut. Mit großen Figuren. Die sehen beinahe wie richtige Menschen aus! Das schönste an der Krippe ist das kleine Himmelbett. Nur weiß natürlich noch keiner, ob der rosa oder der blaue Stoff gebraucht wird. So! Ich gehe jetzt wieder. Ich darf nämlich gleich mit Frau Brandauer den Weihnachtsbaum schmücken. Machs gut, Mara."
Maras Lachanfall löste die nächsten Wehen aus, die nun in immer kürzeren Abständen auf eine schnelle Geburt hoffen ließen. Putthenne kannte sich aus. "Holen Sie bitte den Vater. Gleich ist es soweit. Meine Güte! So etwas habe ich lange nicht mehr erlebt. Erstgeburt, schnell und ohne Probleme!", hörte ich sie sagen als ich aus dem Zimmer lief.
Jo saß mit blassem Gesicht auf der Ofenbank. Schweißnasse Hände umklammerten ein Wasserglas.
"Ist auch gut, dass du nichts trinkst, Junge!", rief ein Mann ihm zu. "Sonst siehst du gleich zwei Kinder!" Lautes Gelächter begleitete uns nach oben.
Frau Brandauer stand auf dem Treppenabsatz. Spontan nahm sie Jo in die Arme und drückte ihn an ihre gewaltige Oberweite: "Herzlichen Glückwunsch, junger Mann! Ein paar Minuten zu spät! Das Kleine ist schon da! Schnell, schnell! Ihre Frau wartet. Ich werde die gute Nachricht nach unten bringen. Joi, Joi! So eine Freude! Jetzt können wir doch noch einen richtigen Heiligabend feiern! Komm, Putthenne! Wir sagen den Leuten Bescheid!"
Fünf Minuten überließ ich die beiden ihrem Glück. Dann konnte ich es nicht mehr abwarten, den neuen Erdenbürger zu begrüßen. Zart, ungeheuerlich winzig, sah das Kind auf den Armen seines Vaters aus. Mara lächelte mir zu. Riesige, braune Augen voller Glück. Selbstverständlich war Anna das schönste Kind, welches je geboren wurde. Als Georg und die Kinder Mara besuchten, hörten wir leisen Gesang von unten.
Die Hebamme hatte sich nicht lange bei den Leuten in der Gaststube aufgehalten. "Also. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Die Leute haben mich gebeten, euch zu fragen. Und von meiner Seite bestehen auch keine Bedenken", sagte sie.
"Was denn, Putti. Du kannst ja richtig verlegen sein!" rief die Wirtin. "Jetzt mach aber. Die anderen warten!"
"Na, gut. Wir alle möchten uns bei diesem wunderschönen Christkind bedanken. Deshalb möchte ich es gerne mit nach unten nehmen und in das Himmelbett legen. Keine Sorge Mara! Ich behüte es gut."
Immer wenn ich mir das Foto von dieser ungewöhnlichen Weihnachtsfeier ansehe, überfällt mich Rührung. Eine Rührung, die ich gerne mit den Menschen aus Weisen geteilt habe.
Mara und Jo sind am nächsten Tag mit dem Krankenwagen nach München gefahren worden. Aus unserer zufälligen Begegnung ist eine tiefe Freundschaft entstanden.
Anna ist mein Patenkind. Pia ist manchmal ein wenig eifersüchtig. All zu viel darf ich nicht über das Christkind von Weisen erzählen. Doch wenn wir in Heiligenblut sind, spielt Pia am liebsten den ganzen Tag mit Anna.
Herr Brandauer und einige junge Leute aus Weisen haben uns den Weg zur Autobahn geebnet.
Den ersten Weihnachtstag haben wir mit Bernd und Helga verbracht. Der sechsundzwanzigste Dezember endlich, versprach erholsame Urlaubstage in Heiligenblut. Ein ganz normaler Familienurlaub. Ohne bemerkenswerte Zwischenfälle. Doch halt! Beinahe hätte ich es vergessen. Moritz hat sich verändert. Er ist nachdenklicher geworden. Seit Annas Geburt hat er nie wieder verächtlich über das Fest der Liebe oder über irgendwelche Klingglöckchen gelästert.
有任何问题,请给我们留言, 管理员邮箱:[email protected] 站长QQ :56065533
免责声明:本站部分资料来源于网络,仅供英语爱好者免费学习,如果侵犯您的权益 ,请与我们联系,我们会尽快处理。
Copyright © 2009 de.tingroom.com