"Padamm, padamm" knackten die Räder des Zuges regelmäßig, wenn sie über die Gleisstücke donnerten. Dieses Geräusch machte schläfrig. Cornelia hatte ein Buch aufgeschlagen, aber ihre Gedanken waren ganz woanders. An jedem Wochenende fuhr sie die Strecke Hannover - Husum und zurück. In Husum war sie zu Hause, in Hannover machte sie ihren Job als Sekretärin. Ihre gemütliche kleine Mansardenwohnung in Hannover linderte ihren Kummer wenig. Ihr Herz hing an Bernd Abel, aber der hatte Husum längst verlassen und war zunächst für ein Jahr nach Amerika gegangen. Das hatte sie von ihren Eltern erfahren und war sehr traurig darüber.
"Aber wenn er nicht weggegangen wäre", grübelte sie im Stillen, "hätte er mich ja auch nicht angesehen." Sie war jetzt auf der Rückfahrt nach Hannover. Alle Mitreisenden in ihrem Abteil waren in Hamburg ausgestiegen und Cornelia sah aus dem Fenster. "Wer sieht mich denn überhaupt an", dachte sie resigniert, dabei war sie eigentlich eine echt hübsche, etwas mollige Supermaus.
"Es wird Zeit, dass du ein paar Pfunde von den Hüften kriegst," hatte ihre Mutter neulich gesagt und ihr eine Spezialdiät aufgedrückt. Cornelia dachte an ihre netten Kolleginnen Anke und Iris. Beide hatten keine Gewichtsprobleme und natürlich einen festen Partner. Iris war sogar schon verheiratet. Cornelias wenige Beziehungen dagegen waren nie von Dauer gewesen. Immer war sie an die Falschen geraten. "Such dir doch endlich mal jemanden, der wirklich zu dir passt", hatte ihr Iris geraten, "oder möchtest du etwa nur irgendeinen Mann, weil andere auch einen haben? Denk mal über meine Worte nach."
Karsten, ihr neuer Flurnachbar in Hannover, war auch ein Single, aber auf Dauer der totale Langweiler! Er hatte sich zwar voll bei ihr reingekniet, aber ihre Freundin Anke hatte es auf den Punkt gebracht: "Die Typen auf die du abfährst, haben meist null Bock auf dich, dafür kannst du die anderen Kerle, die auf dich fliegen immer in der Pfeife rauchen. Das ist nun mal so im Leben!"
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"Padamm, padamm" machten die Räder auch, als der Zug Hamburgs Hauptbahnhof verließ. Die Räder rollten längst wieder, als die Abteiltür aufgerissen wurde und sich ein junger Mann mit Koffer und Aktentasche eilig ins Abteil quetschte. "Einen wunderschönen guten Abend", sagte er strahlend und deutete eine leichte Verbeugung an. "Ist es gestattet, gnädige Frau, dass ich mich Ihnen gegenüber platziere?" Cornelia nickte, lächelte und staunte. Was war das für ein geschwollener Typ? Überhaupt sah der Junge für sein Alter verdammt konservativ aus. Eine korrekt gebundene Krawatte, Maßanzug und messerscharfe Bügelfalten. Als sein Koffer über ihm im Netzt lag, setzte er sich, holte eine Zeitung aus der Tasche, konnte sich aber wohl zum Lesen nicht recht durchringen. "Wirtschaftsblatt" entzifferte Cornelia.
Draußen flogen die Lichter vorbei und Cornelia griff zu ihren Zigaretten. Sie hatte den Stängel kaum am Mund, als der junge Mann ein Feuerzeug mit Flamme aus dem Nichts zauberte. "Vielen Dank", sagte sie, "sehr aufmerksam." - "Ich habe mir das Rauchen längst abgewöhnt, aber kann mich vom Feuerzeug nicht trennen und benutze noch gern das Raucherabteil", sagte er freundlich. - "Stark", bewunderte sie, "das würde ich nie schaffen". - "Man schafft alles, was man wirklich will", erklärte er lächelnd, änderte aber sofort das Thema. "Fahren Sie öfter diese Strecke?" - "Jedes Wochenende Hannover - Husum und zurück", nickte Cornelia. - "Ähnlich wie ich", antwortete er, "Göttingen - Hamburg und zurück". - "Ach, Sie studieren in Göttingen?" - "Nein, ich mache montags auf stressfrei und besuche meine Eltern in Göttingen, obwohl - auch das kann verdammt stressig sein", lachte er fröhlich. Cornelia nickte und überlegte. Dann war er sicher auch noch nicht verheiratet. "Sie sind sehr modebewusst gekleidet", sagte sie vorsichtig und deutete auf seinen schicken Zwirn. "Das bringt mein Beruf so mit sich. Heute hatte ich noch einen späten Kunden und keine Zeit mehr mich umzuziehen", erklärte er. - "Am Sonntag noch Kunden? Darf ich fragen..." - "Ich bin Vermögensberater und da spielen die Wochentage oft keine Rolle. Deshalb versuche ich ja wenigstens den Montag für mich abzuhaken, wenn es geht." Und nach einer Pause: "In der Bahn wären mir Pulli und Jeans auch lieber, aber bei meinen Eltern hängen noch genügend Klamotten rum, da kann ich dann richtig relaxen!" - "Hm", sagte Cornelia lauernd, "bei meinen Eltern ist es auch am besten. Man wird so schön verwöhnt und kann die Seele baumeln lassen." - "Ach, - auch Single?" Der sympathische Junge schmunzelte. - "Na ja, ich konnte mich noch nicht so richtig entscheiden", wich sie aus und griff zum nächsten Glimmstängel und ihr Gegenüber kam sofort mit dem Flammenwerfer. "Sie rauchen ziemlich stark", bemerkte er. - "Nein, das ist nur wegen meiner Diät - reine Ablenkung", lachte sie. - "Was höre ich da, Diät? Eine hübsche Frau wie Sie, mit dieser Traumfigur? Eine Diääät? Entschuldigung, aber sind Sie noch zu retten? Wer hat Ihnen denn diesen Schwachsinn eingebläut?"
Das war ein Kompliment! So was hatte Cornelia lange nicht gehört. "Meine Mutter meint, dass ich unbedingt abnehmen müsse". - "Nichts gegen Ihre Mutter, aber in diesem Punkt hat sie keine Ahnung! Baah....Sie sehn doch so super aus!" - "Quatsch, ich bin eine dicke Nudel!" Cornelia lachte. - "Eine Nudel? Vielleicht, - aber eine echt bezaubernde Supernudel!" - "Danke", freute sich Cornelia über die tollen Komplimente. Dann sahen sie eine Weile schweigend aus dem Fenster. Später sprachen sie über Musik, Literatur, Privatleben und fanden sich auf der gleichen Schiene. Small Talk vom Feinsten, aber dann war er da - Hannovers Hauptbahnhof. "Der Zug hat hier jedes Mal zwanzig Minuten Aufenthalt", sagte er. - "Sie Ärmster haben ja noch eine ganze Strecke vor sich", bedauerte sie. - "Halb so wild", winkte er ab, "ich sitze ja im Zug und muss nicht mit meinem Wagen fahren. Das Auto bleibt an meinen freien Tagen in der Garage. Die Zugreise brauche ich zum Entspannen. Aber - Sie werden mir jetzt echt fehlen", erklärte er charmant. - "Oh", flüsterte sie und griff nach ihrem Mantel. Sofort hatte der Junge zugegriffen und half ihr hinein. Dann schnappte er sich ihren kleinen Koffer und sagte: "Ich bringe Sie noch auf den Bahnsteig." - "Oh, danke." Cornelia hatte so etwas selten erlebt. - "Wie kommen Sie jetzt nach Hause?" - "Ich nehme ein Taxi". - "Gut. Ich bringe Sie zum Taxistand", sagte der junge Mann, "vielleicht fahren wir ja wieder mal zusammen. Nehmen Sie immer den gleichen Zug am Sonntag?" - "Ja immer, und - vielleicht fahren wir ja wirklich mal wieder zusammen", hoffte auch Cornelia. - "Das würde mich riesig freuen", sagte der Junge eilig und sah auf die Uhr, "und wenn Sie mal einen finanziellen Rat brauchen - hier ist meine Karte." - "Vielen Dank noch mal, es war sehr nett ", sagte Cornelia. Dann fuhr das Taxi los.
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Hatte er noch einmal "Nudel" gesagt? Cornelia wusste es nicht und überlegte. Aber sie war sich ja nicht einmal sicher, ob sie nicht überhaupt nur von ihm geträumt hatte. Dann fiel ihr seine Karte ein, die musste noch im Mantel stecken. Richtig! "Dipl. Ing. Mathias Wollner, Vermögensberater" nebst Anschrift, Rufnummer, Fax, Handy und E-Mail. Das war beruhigend. Es gab ihn also wirklich und er ging ihr die ganze Woche nicht mehr aus dem Kopf. Dieser Traummann war ganz anders als alle Jungen, die sie bisher gekannt hatte.
Diese Woche dauerte eine Ewigkeit und Cornelia konnte die Fahrt am Freitag nach Husum kaum erwarten. Ihren Eltern erzählte sie nichts und die wunderten sich, wie sorgfältig sie sich am Sonntag stylte. Sie tat das sehr geschmackvoll, denn sie tat es für die Rückreise. Ihre Vorfreude war enorm und ihr Herz schlug deutlich rascher, als sie sich endlich auf den Weg zum Bahnhof machte. "Einen wunderschönen guten Abend, Herr Wollner", würde sie lustig sagen, wenn er zu ihr wieder ins Abteil kam.
Dann sagten die Räder wieder "padamm, padamm" und brachten sie von Husum zunächst nach Hamburg. Ein älteres Paar war mit in ihrem Abteil und die weißhaarige Dame saß ausgerechnet auf Herrn Wollners Fensterplatz. Die alten Leute waren auch in Hamburg nicht ausgestiegen und Cornelia verfluchte sie insgeheim. Wo sollte denn Mathias Wollner gleich sitzen? Der Zug rollte schon wieder und Cornelia zitterte vor Spannung. Als endlich die Abteiltür aufgerissen wurde, sah sie nicht hin, sondern nestelte verlegen in ihrer Handtasche herum. Aber ihr Herz machte einen riesigen Freudensprung. "Noch jemand zugestiegen, bitte," fragte eine lustige Stimme und Cornelia lachte über diesen Scherz, doch dann sah sie enttäuscht auf den Schaffner. Von Mathias weit und breit keine Spur. Hatte er sie etwa nicht gefunden? Sie saß doch im gleichen Abteil wie in der vergangenen Woche. Das musste er sich doch denken können. Immerhin war er ja ein cleverer Junge. Cornelia wartete weiter ungeduldig, aber nach zwanzig Minuten hatte sie ihr anfängliches Glücksgefühl verlassen. Ihr war klar geworden, dass er nicht mehr kam. "Du rufst ihn sofort an wenn du nach Hause kommst", schrie der kleine Teufel in ihr, "du hast ja seine Nummer!" - "Das lässt Du schön bleiben", mahnte die innere Stimme, "denn er ist ja bei seinen Eltern und gar nicht zu Hause." - "Ruf ihn doch auf dem Handy an", ließ der kleine Teufel sich wieder hören. - "Du machst dich doch nur lächerlich mit solch einem Anruf", mahnte nun der Schutzengel, "das kannst du dir gar nicht erlauben!" - "Den Typen kannst Du gleich wieder vergessen", hatte ihre Freundin Anke dann später gesagt, als sie von dieser Schwärmerei hörte. Aber das war für Cornelia kein Trost.
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Am Sonntag darauf reiste Cornelia wie gewöhnlich im Zug von Husum nach Hannover zurück. "Wenn er nun vielleicht diese Woche...". Aber dann hatte sie sich sofort jeden weiteren Gedanken an Mathias Wollner abgeschminkt. "Nee, - wieder mal voll daneben!"
Sie war jetzt in Hannover angekommen und trabte in Richtung Taxistand. Natürlich war er auch heute nicht im Zug gewesen. Eile war nicht geboten, denn morgen waren einige Behördengänge angesagt und dazu hatte sie sich für Montag frei genommen. Sie steuerte nun das erste freie Taxi an, doch bevor sie den Wagen erreichte, wurde ihr der Koffer förmlich aus der Hand gerissen und sie erschrak. "Na, Sie bezaubernde "Nudel", habe ich Sie endlich erwischt? Dann hat sich meine Powerfahrt ja doch gelohnt", sagte Mathias Wollner völlig außer Atem. - "Wie bitte?" Cornelia traute ihren Augen und Ohren nicht, als sie Mathias neben sich erkannte. "Wo kommen Sie denn her", fragte sie verdutzt. - "Aus Hamburg natürlich", sagte er trocken, "am letzten Wochenende konnte ich nicht nach Göttingen fahren", klang das fast entschuldigend, "und an diesem Wochenende habe ich um wenige Minuten den Zug verpasst. Sie wissen ja, in meinem Beruf.....und die unberechenbaren Kunden" - "Aber wie kommen Sie denn jetzt hier her", fragte Cornelia erstaunt, die noch immer einen Geist zu sehen glaubte. - "Ich wollte bis zu unserem Wiedersehen nicht noch eine weitere Woche verstreichen lassen. Wozu hat man schließlich eine Blechkutsche? Wie der Teufel bin ich losgedüst, habe sämtliche roten Ampeln missachtet und hoffte, noch vor Ankunft des Zuges in Hannover zu sein!" - "Da hat Sie wirklich der Teufel geritten", lachte sie, "aber es ist Ihnen ja prima gelungen". Sie schüttelte ihren Kopf und murmelte verträumt: "Und das alles meinetwegen?" Mathias antwortete nicht, sondern nickte nur bescheiden lächelnd. Cornelia konnte ihre Freude nicht verbergen. "Das ist ja so total irre", rief sie begeistert, "ich fasse es nicht!" - "Nein, das ist nicht total irre, das ist echt cool", blödelte Mathias grinsend, "gehen wir nun nach meiner Höllenfahrt wenigstens noch gemeinsam ein Bier trinken?" Erst jetzt bemerkte Cornelia, dass Mathias in Pulli und Jeans war. Auch in dieser Kluft sah er toll aus. "Ein gemeinsames Bier", sagte sie, "ist ja nach Ihrem "Formel 1 - Rennen" eigentlich Ehrensache. Aber wohin denn?" - "Wohin? Ich bin froh, dass ich überhaupt den Bahnhof in Hannover gefunden habe! Völlig schnuppe wohin, Hauptsache zusammen überall hin!" - "Natürlich zusammen, überall hin", lachte Cornelia, "aber soviele Lokale und Kneipen kenne ich hier auch nicht, denn......", sie hob ihren Zeigefinger, "immerhin bin ich ja eine anständige Frau, die sich nachts nicht in Kneipen herumtreibt! Wie lange haben Sie denn überhaupt Zeit, wann müssen Sie weiter nach Göttingen?" - "Ich muss gar nichts", sagte er ernst, "nichts ist mir im Moment so wichtig wie ein erbauliches Gespräch und ein gemütlicher Abend mit meiner zauberhaften "Nudel", die mich nicht mehr schlafen lässt und von der ich nicht einmal ihren Namen weiß!" - "Ich heiße Cornelia", flüsterte sie, "das sollten Sie zumindest wissen, bevor wir zusammen eine fremde Kneipe betreten."
Nach wenigen Schritten sah Cornelia den großen Wagen mit dem hamburger Kennzeichen. Sie fragte: "Ist er das?" - Mathias nickte, öffnete den Kofferraum und legte ihren Koffer hinein. Dann öffnete er ihr die Beifahrertür und bat herzlich: "Steigen Sie ein"! Vor Glück wäre ihr fast das Herz zersprungen, als sie neben ihm saß und beide gemeinsam durch Hannovers Straßen fuhren und Ausschau nach einem hübschen Lokal hielten. Hatte sie diesmal den ersehnten Glücksgriff getan? Sie war fest davon überzeugt.................
德语杂文:Glückliche Reise
日期:2011-06-14 14:30 点击:11