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德文短篇:Nachbarinnen
日期:2011-05-10 15:55  点击:12

Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Weidenstraße kaum von den übrigen Straßen in dem ruhigen, nahe des Stadtrandes gelegenen Quartier. Das Haus mit der Nummer 21 hat wie seine benachbarten, gleich ausschauenden, weil zur selben Zeit erbauten Häuser vier Stockwerke und ein liebevoll gestaltetes Vorgärtchen. Dort findet man nur Rosen. Eine einzige, sehr alte, dunkelrot blühende Sorte von Rosen, die an warmen Tagen einen Duft verströmen, der sich wie Honigbalsam in die Seele des Vorbeigehenden ergießt und ihn einige Augenblicke stehenbleiben, die Augen schließen und tief atmen lässt.

Gehegt werden diese Rosen von der im obersten Stockwerk wohnenden Eigentümerin des Hauses, Frau Giuliana Griesser, geborene Pisani. Wäre sie dreißig Jahre jünger, würde man sie top gestylt nennen, doch für ihr Alter - immerhin ist sie bereits über siebzig - passen die Worte gepflegt und elegant besser. Ihre Wohnung verlässt sie nur, nachdem sie sich sorgfältig frisiert hat, und sei es auch nur für einen Gang in die Waschküche oder zum Briefkasten. Vor fünfzehn Jahren, vier Jahre nach dem Tod ihres Mannes hat sie das oberste Stockwerk zu einem komfortablen Appartement umbauen lassen. Giuliana Griesser wurde früh Witwe, verlor ihren innig geliebten Gatten durch eine schwere, über lange Zeit falsch diagnostizierte Krankheit. Von dem Arzt, der den Hirntumor erst entdeckte, als es bereits zu spät war, spricht sie in versöhnlichem Ton. "Er war halt auch nur ein Mensch", sagt sie, "und Menschen machen nun einmal Fehler."

Die übrigen Wohnungen des Hauses sind einfach, zweckmäßig, wie es Stadtwohnungen halt so sind und werden ausschließlich von alleinstehenden Frauen bewohnt.

Frau Schwyters Alter ist schwer zu schätzen. Auf jeden Fall ist sie ein gutes Stück jünger als Frau Griesser. Ihre Wohnung teilt sie mit einem bissigen, grauweißen Kater, dem sie den Namen Peppo gab, als sie ihn vor Jahren schwer verletzt an einem Straßenrand auflas.

Rein äußerlich gesehen ist Frau Schwyter das pure Gegenteil von Frau Griesser. Groß, stämmig, mit vor Kraft strotzenden Armen und Beinen könnte sie in jungen Jahren Kugelstoßerin oder Gewichtheberin gewesen sein. Elegante Kleidung trägt sie nie, nur mehr oder weniger ausgeleierte schwarze Jogginghosen, dazu schwarze T-Shirts mit aufgedruckten Bildern von Wölfen. Klug guckende, den Mond anheulende, miteinander schmusende, schlafende, stehende, rennende, kleine, große, junge, alte Wölfe. Nichts als Wölfe. Frisieren muss sie sich nicht. Ihre Haare schneidet sie sich selbst, so kurz, dass man meinen könnte, sie verwende dazu eine Art Rasenmäher. Um die Meinungen anderer kümmert sie sich grundsätzlich nicht, sie sagt, was sie denkt, tut, was sie für richtig hält, wie zum Beispiel an jenem warmen Frühsommertag, als sie Peppo fand. Wie immer in Jogginghose und T-Shirt gekleidet, stand sie in diesem Augenblick vor der Wahl, entweder das eine oder das andere zu opfern, um das in Todesangst um sich kratzende und beißende Tier darin einwickeln und aufheben zu können. Sie entschied sich für das T-Shirt. Obwohl sie es nicht weit hatte bis nach Hause, rief sie auf dem Weg dorthin bei den Passanten ziemliche Verblüffung hervor, denn unter dem Wolf-Shirt hatte sie nichts getragen.

Neben Frau Schwyter wohnt Magda Kuster, die älteste Bewohnerin des Hauses und Freundin von Giuliana Griesser.

Jetzt sind es schon fast zwei Jahre her, dass Madga Kuster das Haus zum letzten Mal allein verlassen hat. Ihre Beine und auch ihr Kreislauf versagen ihr hin und wieder den Dienst. Dann stürzt sie wie ein vom Blitz getroffenes Bäumchen zu Boden. Dass sie sich dabei noch keine ernsthafte Verletzung zugezogen hat, beweist unzweifelhaft, dass es Schutzengel gibt. In jener Zeit, als das überaus eigensinnige Mütterchen die Notwendigkeit einer Begleitung außer Haus noch nicht einsah und felsenfest davon überzeugt war, seine Einkaufstouren noch alleine bewältigen zu können, muss der Chefschutzengel wohl eine ganze Abteilung seiner Mitarbeiter für diesen starrköpfigen Schützling abkommandiert haben. Einige davon in Menschengestalt, die dem klapprigen Weiblein die Einkaufstasche nach Hause trugen oder es nach Hause begleiteten, wenn es den Heimweg nicht mehr wusste. Der alten Dame ist durchaus bewusst, wie vergesslich sie geworden ist. Sie kommentiert diese Tatsache mit geradezu umwerfendem Humor. "Bi doch scho en alte Schruubedampfer", sagt sie und ihr Gesicht legt sich in hundert Lächelfältchen, "do dörf au mol e Schruube locker sii" (für Nicht-Schweizer: Bin doch schon ein alter Schraubendampfer, da darf auch mal eine Schraube locker sein).

Den gut gemeinten Vorschlag ihres Hausarztes, sich ab und zu von einer freiwilligen Sozialhelferin im Rollstuhl durch den nahen Park kutschieren zu lassen - "Etwas frische Luft würde Ihnen doch guttun, meinen Sie nicht?" - wies sie entrüstet zurück, als hätte der gute Mann ihr ein unsittliches Angebot gemacht.

Immerhin tragen ihre alten Beine sie noch durch ihre mit Bildchen, Postkarten, getrockneten Blumensträußen und vielen anderen Andenken vollgestopfte Wohnung, und - man würde es kaum glauben, sähe man es nicht mit eigenen Augen - zweimal pro Tag die vier Treppen hoch zu ihrer Freundin Giuliana, bei der sie am Mittag essen und am Abend Fernsehen schauen geht. So bekommt sie jeden Tag eine warme, liebevoll zubereitete Mahlzeit und verbringt die langen Abende nicht allein.

Frau Schwyter ist Frühaufsteherin. So gegen acht Uhr beginnt sie aufzupassen, wartet, bis ihr das ruckelnde Qietschen des Rollladens nebenan verrät, dass die Nachbarin aufgestanden ist. Eine halbe Stunde später geht sie hinüber, um deren Bett zu machen und, falls nötig, Wäsche zu waschen oder Einkäufe zu besorgen.

Eines Tages, fürchtet sie, weiß sie, wird dieses Geräusch ausbleiben. Dann wird sie in Frau Kusters Wohnung gehen und wenn das Schicksal es gut meint mit der alten Dame, wird sie sie in ihrem Bett finden, tief schlafend, von Ewigkeit träumend. Das hofft sie zumindest.

Ja, Frau Schwyter und Frau Griesser sind wirklich sehr verschieden. Unter normalen Umständen gäbe es für sie kaum Anlass, miteinander zu sprechen. Aber als festangestellte Schutzengel einer alten Frau tun sie es, immer dann, wenn es um die gegenseitige Ablösung geht - schließlich brauchen auch Engel hin und wieder mal frei, zumindest jene, die als Menschen getarnt sind. So verschieden ihre Lebensauffassungen sonst auch sein mögen, darin sind sich beide einig: ein einundneunzig Jahre altes Fraueli, das alles aufschreibt, was es früher so gut im Kopf behalten konnte, dann aber meistens vergisst, wo es die Zettel hingetan hat, nein, so ein Fraueli kann man nicht einfach seinem Schicksal überlassen!

 


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