Am 8. Mai war der Krieg endgültig zu Ende. Ich ging auch wieder zur Arbeit. Mit dem Kindergarten war nichts mehr. Den hatte die Kirche wieder übernommen. Obwohl die Arbeitsplätze knapp waren, hat meine Mutter eine Stelle für mich ausfindig gemacht. Es war die Milchsammelstelle. Jeder Bauer hatte in dieser Zeit mehrere Kühe. Die Milch wurde morgens und abends zur Sammelstelle gebracht. Die Milch wurde hier gereinigt und gekühlt, in große Milchkannen gefüllt und mit einem LKW abgeholt. Es war keine schwere Arbeit. Nur musste ich früh aufstehen und das jeden Tag, auch sonntags. In der Winterzeit habe ich mich gefürchtet. Überall war es dunkel und nirgends ein Mensch zu sehen. Die Sammelstelle war beim Bauer B. Doch in punkto Arbeit kannte meine Mutter keine Gnade.
Nun kamen auch die ersten Flüchtlinge in unserem Dorf an. Das waren die Deutschen aus Jugoslawien und Rumänien. Aus Ostpreußen und den Oststaaten wurden die Deutschen vertrieben. Ein großer Flüchtlingsstrom war unterwegs. Als die ersten Flüchtlinge ankamen, sind sie mehr bestaunt als begrüßt worden. Die älteren Frauen waren ganz in Schwarz gekleidet. Ihre Haare waren zu einem Zopf geflochten und wie ein Kranz um den Kopf gelegt. Meistens trugen sie ein Kopftuch. An ihre Essgewohnheiten haben wir uns schnell gewöhnt. Erst haben wir ihr Paprika belächelt, doch bald wurde es bei uns auch gepflanzt. Es herrschte eine große Wohnungsnot. Waren doch noch die vielen Mensche, die in der Stadt ihre Wohnung verloren hatten, auf den Dörfern, so mussten auch noch die Flüchtlinge aufgenommen werden. Jeder, der nur ein Zimmer mehr hatte, musste es zur Verfügung stellen.
Es war gleich nach Kriegsende, vielleicht war es auch schon früher, so genau weiß ich es heute nicht mehr, als wir mit dem Hausbau anfingen. Zuerst wurden die Ställe gebaut. Ein Platz für die Tiere geschaffen. Ein Schwein, eine Ziege, mindestens 20 Stallhasen, Hühner und Enten mussten untergebracht werden. Wir waren richtig froh und stolz, ein eigenes Plätzchen zu haben. Der Garten wurde zum größten Teil mit Tabak bepflanzt. Mein Vater war ein starker Raucher und Tabak wurde knapp. Auch für einen Zwetschgenbaum und Gemüse war noch Platz. Als wir dann mit dem Hausbau begannen, folgte Schwerstarbeit. Meine Eltern und ich haben mit dem Spaten den Keller ausgegraben. Heute ist so etwas nicht mehr denkbar. Helmut war Soldat und kam erst später zur Hilfe. In K. im Steinbruch haben wir mit einem LKW Steine geholt. Es waren unebene Steine, die wir im Keller verarbeiteten. In der Zuckerfabrik holten wir Abrisssteine, von denen zuerst einmal zu Hause der Mörtel abgeklopft werden musste, ehe sie vermauert wurden. Meine Mutter und ich haben den Kalk gelöscht und den Mörtel gerührt. Ohne Maschine. Es war eine harte Arbeit, bis die letzte Ziegel auf dem Dach war. Der Innenausbau war noch nicht fertig, als meine Eltern einzogen. In der Anfangszeit fehlte noch die Treppe, da ging es mit der Leiter hoch. Trotz harter Entbehrungen war jeder froh, im eigenen Haus zu sein.
Die Nachkriegszeit war für mich eine schöne Zeit. In C. war jeden Sonntag Tanzmusik. Dort gingen wir immer hin. Man kann schon sagen, die ganze Dorfjugend. Im Sommer 1945 habe ich meinen Mann kennen gelernt. Eigentlich mochte ich ihn gar nicht. Was mir gut gefallen hat: er konnte ausgezeichnet tanzen, obwohl auch er es nie gelernt hatte. Ich habe niemals mehr so gern und gut getanzt wie mit ihm. Außerdem hatte er schöne Hände und dunkle Augen. Das hat mir gefallen. Ansonsten fühlte ich mich noch zu jung, um mich an jemanden zu binden. Doch da war er sehr hartnäckig. Er kam einfach zu uns nach Hause. Das hat mich so geärgert, dass ich wegging wenn er kam. Da hat er bei meiner Mutter gesessen und gesagt, er kommt wegen Helmut. Zu meinem Geburtstag hat er mir Nähnadeln und etliche Metallknöpfe geschenkt. Da hat er sich mächtig angestrengt, und meine Freude über das Geschenk war riesengroß. Es gab ja nichts zu kaufen, das Geld war wertlos. Nur durch ein Tauschgeschäft konnte man zu etwas kommen. Fred hatte nachts einen Korb voll Trauben gestohlen und gegen die Nadeln eingetauscht.
Im Sommer 1946 waren wir fest zusammen. Als wir im Dezember 1947 heirateten, also noch vor der Währungsreform, gab es so gut wie nichts zu kaufen. Trotzdem war es ein schönes Fest. Mit Kaffee und Kuchen. Zum Abendessen gab es Knödel und einen deftigen Hasenbraten. Das hat allen geschmeckt. Meine Mutter hat sich sehr viel Mühe gemacht, bis sie endlich jemand fand, der Stoff für das Brautkleid gegen Zucker tauschte. Es war dunkelblauer Samt. Das Kleid war lang und der Schnitt in Prinzessform. Das Futter war aus Fallschirmseide. Die weißen Schuhe waren geliehen. Frau K. hat das Kleid genäht und mir auch die Handschuhe geliehen. Ich kann wirklich behaupten, dass es ein schönes Kleid war. Wie oft bin ich in all den Jahren noch angesprochen worden, wo sich die Leute daran erinnern konnten. Selbst jetzt, wo ich im nächsten Jahr meine Goldene Hochzeit feiern würde, können sich noch viele an das Kleid erinnern. Auf dem Hochzeitsfoto kann man leider nicht das ganze Kleid sehen. Auch der Christrosenstrauß war nicht mehr frisch. Die Aufnahme wurde später gemacht. Einen Fotoapparat hatten wir nicht. So sind wir erst Tage später mit dem Zug nach W. gefahren, um die Aufnahme machen zu lassen. Der Anzug von meinem Mann war von seinem Vetter geliehen. Kaufen konnte er keinen, die Geschäfte waren leer. Im Alltag trug er die Kleider von seinem Vater, in die er zweimal gepasst hätte. Seine Sachen sind beim Bombenangriff verbrannt. Es war eine schöne Hochzeit. Bei der standesamtlichen Trauung war es kalt und windig. Am nächsten Tag war der Himmel strahlend blau mit viel Sonnenschein. Als große Überraschung fing nach der Trauung die Musik an. Eine schöne Frauenstimme sang "So nimm denn meine Hände." Das war sehr ergreifend und es bleibt für immer unvergessen. Es war ein Geschenk von Frau K.