Der Frühling war ganz nah gekommen, als der Graue Biber seine Fahrt beendet hatte. Es war wieder April und Wolfsblut ein Jahr alt, als er in das heimische Dorf einzog. Schon jetzt konnte er sich mit erwachsenen Hunden messen, denn von beiden Eltern hatte er Wuchs und Stärke geerbt, und es fehlte ihm nur noch an Breite. Sein Körper war hager, und sein graues Fell zeigte die echte Wolfsfarbe.
Im Dorf sah er die Personen und Hunde wieder, die er vor der langen Fahrt gekannt hatte. Er hatte jetzt weniger Angst vor den Hunden und schritt mit sorgloser Sicherheit unter ihnen herum. Als ihm einmal ein älterer Hund das ihm zustehende Stück Fleisch wegfressen wollte, schnappte Wolfsblut seiner Gewohnheit gemäß ohne Vorwarnung zu und das Ohr des anderen hing in Fetzen herab. Dieser war durch die Plötzlichkeit des Angriffs so verblüfft, dass er von Wolfsblut umgeworfen werden konnte und am Hals gebissen wurde. Als er endlich wieder auf den Füßen stand, brachte dieser ihm noch zwei tiefe Wunden in der Schulter bei und einen Augenblick später war seine Nase aufgeschlitzt.
Der ältere Hund wagte keinen weiteren Kampf mit einem so blitzschnellen Feind. Dieses Abenteuer erhöhte Wolfsbluts Selbstvertrauen und seinen Stolz. Er suchte keinen Streit, aber er verlangte Achtung.
Um die Sommersonnenwende erlebte er etwas Merkwürdiges. Als er lautlos um einen neuen Wigwam strich, stieß er plötzlich auf Kische. Er blieb stehen und blickte sie an. Er erinnerte sich an sie, wenn auch nur dunkel, doch das war mehr, als man von ihr sagen konnte. Drohend wies sie ihm mit dem wohlbekannten Knurren die Zähne. Damit wurde seine Erinnerung noch deutlicher. Seine vergessene Kindheit kam ihm wieder in den Sinn. Bevor er die Menschen gekannt hatte, war sie für ihn der Mittelpunkt der Welt gewesen. Die alten vertrauten Gefühle jener Zeit stiegen in ihm auf. Er sprang freudig auf sie zu, aber sie empfing ihn mit blitzenden Zähnen und schlitzte ihm die Wange bis auf den Knochen auf. Er verstand das nicht und zog sich verwirrt zurück.
Kische hatte wie jede Wölfin gehandelt, die sich nicht an ihre früheren Kinder erinnern sollte. Wolfsblut war für sie ein Fremder, ein Eindringling und ihre jetzigen Jungen gaben ihr das Recht, seine Zudringlichkeit abzuwehren. Er sah zu, wie Kische ein Junges leckte und erkannte, dass sie ihm nichts mehr war. Was gewesen, war dahin. In seinem Leben hatte sie keine Stelle mehr, noch er in dem ihrigen.
Die Monate vergingen. Wäre Wolfsblut nie zum Feuer der Menschen gekommen, hätte die Wildnis einen echten Wolf aus ihm gemacht. So aber war er zum Hund geworden, der zwar etwas Wölfisches hatte, aber immerhin mehr Hund als Wolf war. Er wurde immer mürrischer, ungeselliger, einsamer, jähzorniger, und die Hunde sahen bald ein, dass es besser wäre, mit ihm in Frieden zu leben. Der Graue Biber aber fing an, ihn von Tag zu Tag mehr zu schätzen.
Im dritten Jahr seines Lebens brach über die Indianer am Mackenzie eine Hungersnot herein. Im Sommer waren die Fische knapp gewesen, und im Winter verließen die Rentiere ihr gewöhnliches Quartier. Die Elche wurden selten, die Kaninchen verschwanden fast ganz, und die Raubtiere starben oder fielen übereinander her. Nur die Starken blieben am Leben.
Die Indianer waren von jeher nur Jäger gewesen. Also starben die Alten und Schwachen vor Hunger. Es war viel Jammer und Wehklagen im Dorfe, denn die Frauen und Kinder hungerten, damit das wenige, das noch da war, den hageren Männern zugute käme, die vergeblich in die Wälder auf Jagd auszogen. So groß war die Not, dass die Menschen das weiche Leder ihrer Mokassins und Handschuhe verzehrten, während die Hunde sich über die Riemen und selbst über Peitschenschnüre hermachten. Auch fraßen die Hunde einander auf, und die Menschen aßen die Hunde. Einige der kühnsten und klügsten von ihnen verließen das Feuer des Lagers und flohen in den Wald, wo sie jedoch entweder verhungerten oder von den Wölfen zerrissen wurden.
Zu dieser Zeit schlich auch Wolfsblut fort in die Wälder. Er war durch seine erste Kindheit besser als die anderen Hunde auf dieses Leben vorbereitet. Er war besonders geschickt, die kleinen Lebewesen zu überfallen. Stundenlang lag er aufmerksam im Verborgenen, um dann wie ein Blitz aus dem Versteck auf die Beute zu springen. Nie verfehlte er sein Ziel.
Wenn der Hunger ihn gar zu sehr quälte, schlich er in die Nähe des Lagers und beraubte die Schlingen und Fallen der Indianer, wenn sich ein Wild darin gefangen hatte. Er stahl sogar dem Grauen Biber ein Kaninchen, als dieser völlig geschwächt sich im Wald hinsetzen musste.
Das Glück stand ihm bei. Immer, wenn er besonders schlimm dran war, fand er eine Beute. Dadurch besaß er noch so viel Kraft, dass er eines Tages einem ganzen Rudel hungriger Wölfe entfliehen konnte.
Am Anfang des Sommers, als die Not zu Ende ging, traf er auf Liplip, der ebenfalls in die Wälder geflohen war und ein elendes Dasein geführt hatte. Plötzlich standen sie sich Angesicht zu Angesicht gegenüber, hielten beide erschrocken inne und blickten sich misstrauisch an. Wolfsblut war in den letzten Tagen sehr erfolgreich gewesen und war wohlgenährt. Liplip versuchte auszuweichen, aber Wolfsblut stieß ihn so kräftig mit der Schulter, dass jener das Gleichgewicht verlor und auf den Rücken rollte. Ein Biss in den mageren Hals, und Liplip rang mit dem Tode, während Wolfsblut mit steifen Beinen und gespanntem Blick rund um den Feind herum ging.
Darauf setzte er seine Wanderung fort. Einige Tage später kam er an den Mackenzie, wo jetzt wieder ein Dorf stand. Der Anblick, die Töne, die Gerüche waren ihm wohlbekannt. Es war sein Dorf, nur an einem anderen Platz! Kein Wehklagen erklang mehr, denn es gab wieder Fische und andere Speisen. Wolfsblut trabte ins Lager gerade auf den Wigwam des Grauen Biber los. Dieser war nicht da, aber Klukutsch begrüßte ihn mit einem Freudenschrei und gab ihm einen ganzen Fisch. Er legte sich nieder, um auf die Rückkehr seines Herrn zu warten.