Fräulein Bertrand zeigte lebhaftes Interesse für die von den Großen beabsichtigte Schlußfeier und erkundigte sich in jeder französischen Stunde nach den Fortschritten. Sie hatte den feinen Geschmack und Sinn für alles Schöne, der den Französinnen eigen ist, und wie sie früher schon den Rat gegeben hatte, die Mädchen sollten sich in Gruppen im Schulzimmer verteilen, so brachte sie auch heute wieder einen Vorschlag, um der Sache ein festliches Gepräge zu verleihen.
„Jede Gruppe,“ sagte sie, „sollte sich eine Büste ihres Dichters verschaffen und diese Büste, mit Grün geschmückt und von Blattpflanzen umgeben, als Mittelpunkt auf einem Tischchen vor sich haben. Das würde dem ganzen Zimmer ein elegantes Aussehen verleihen.“
Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall.
„Wir haben eine Schillerbüste, wir Schiller, Goethe und Lessing,“ riefen verschiedene der Mädchen. Schiller und Goethe waren mehrfach vorhanden, aber wer hatte einen Uhland, wer einen Rückert?
„Wenn wir in allen Klassen Nachfrage halten, werden wir schon welche bekommen,“ meinte die eine. „Aber dann wird unser Geheimnis leicht ausgeplaudert,“ sagte eine andere.
Als man so eine Weile beraten hatte, ließ sich Elise Schönlein vernehmen; in ihrem gewohnten, gleichgültigen Ton sagte sie: „Die Büsten könnt ihr von mir haben.“ „Von dir? Welche? Rückert? Uhland?“ So fragten die verschiedenen Gruppen durcheinander.
„Mir ist’s gleich, welche ihr wollt.“ „Ach,“ sagte Ottilie geringschätzig, „die weiß wieder nicht, was man eine Büste heißt.“ „Wenn ihr sie nicht wollt, braucht ihr sie ja nicht zu nehmen,“ entgegnete Elise empfindlich. „Doch, doch,“ beschwichtigte Gretchen, „es wäre ja reizend, wenn du sie verschaffen könntest; wie sehen denn deine Büsten aus?“
„Wie werden sie aussehen? Füß’ haben sie nicht, aber Köpf!“
„Wie groß?“ „In drei Größen könnt ihr sie haben, zu 15 Zentimeter, zu 30 und zu 50, vom Sockel an gerechnet, weiß oder bronziert.“ Bei diesen fachmännisch genauen Angaben horchten alle erstaunt auf und Ottiliens spöttische Bemerkungen verstummten. Fräulein Bertrand wollte nun wissen, wie Elise zu diesen Büsten käme.
„Mein onkel hat sie alle in seinem Laden und verleiht sie. Wer eine zerbricht, muß sie eben bezahlen, aber mit Rabatt sind sie nicht teuer.“ „Vielleicht könntet ihr die fünf Büsten zu billigem Preis bekommen und Fräulein von Zimmern zur Erinnerung verehren. Wie hübsch würden sie sich auf dem Bücherschrank ausnehmen!“ Dieser Vorschlag von Fräulein Bertrand wurde von allen begeistert aufgenommen. Sie wollten heute noch ihre Eltern um Erlaubnis bitten. Elise wurde nun mit Fragen über Preis und Größe bestürmt und zum erstenmal in all ihren Schuljahren war sie der Mittelpunkt, die Hauptperson.